Kaiserslautern Der Sturm der Frauen

91-73530881.jpg

Der Expressionismus als reine Männersache? Die Argumente scheinen erdrückend. Beckmann, Kandinsky, Nolde, Munch, Kirchner – die Liste ließe sich schier endlos fortsetzen. Doch die Frankfurter Schirn wagt den Widerspruch. 18 Künstlerinnen, allesamt aus dem Umkreis von Herwarth Waldens „Sturm“, sollen den Beweis antreten, dass es auch Frauen waren, die den Expressionismus geprägt haben. Die Ausstellung „Sturm-Frauen“ präsentiert bekannte Namen wie Gabriele Münter, Else Lasker-Schüler oder Marianne von Werefkin, aber auch einige spannende Entdeckungen.

Es ist die Zeit, in der die Form zerfiel, das Tongebäude der Dur-Moll-Harmonik in sich zusammenbrach, das Wort zerbröselte, entwertet wurde, weil es inhaltsleer geworden war. Nahezu zeitgleich bricht sich zwischen 1910 und 1920 in allen Kunstrichtungen die Moderne Bahn. Kandinsky verabschiedete die Gegenständlichkeit aus der Malerei, Schönberg erfand die Zwölftontechnik, und der Dada-Papst Hugo Ball aus Pirmasens atomisierte die Sprache so lange, bis nur noch sinnfreier Nonsens übrigblieb. Alles Männersache, so will es die Geschichtsschreibung. Die Ausdruckskrise des Menschen im frühen 20. Jahrhundert war ein gesamt-europäisches Phänomen. Der Einzelne war überfordert von der ihn umgebenden Wirklichkeit, von der Großstadt, der Technologisierung, erst Recht dann vom Ersten Weltkrieg. Das Alte hatte ausgedient, das Neue wurde herbeigesehnt, heraufbeschworen, herbeigeschrien. Der Neue Mensch musste es schon sein. Willkommen im Expressionismus! Es war eine stürmische Zeit. Eine Sturm-Zeit. Und mittendrin: Herwarth Walden, 1878 als Georg Lewin geboren. Schuld an dem Künstlernamen war die exzentrische Dichter-Malerin beziehungsweise Maler-Dichterin Else Lasker-Schüler. 1903 bis 1912 waren die beiden verheiratet, und sicherlich hatte Lasker-Schüler auch ihren Anteil an Waldens Entscheidung, 1910 die legendäre Zeitschrift „Der Sturm“ zu gründen. Nun hatte die Moderne ihr Sprachrohr. Expressionistische Dichter lieferten Texte, expressionistische Maler Illustrationen. 1912 folgte die Eröffnung der „Sturm-Galerie“ in Berlin. Bis Anfang der 1930er Jahre schlug hier mit insgesamt 192 Ausstellungen das Herz der modernen Kunst. Alle, wirklich alle, stellten hier aus, die Namensliste ist quasi vollständig, Kandinsky, Klee, Macke, Marc, Chagall, es wird einem schwindlig. Aber der aufziehende Kulturfaschismus der Nazis vertrieb den Kämpfer für die künstlerische Avantgarde nach Russland, wo Walden – grausame Ironie des Schicksals – Opfer des stalinistischen Terrors wurde Waldens Kunstverständnis, sein Sinn für das Außergewöhnliche, Neue, Provokative, Unangepasste machten ihm zum wichtigsten Förderer der modernen Kunst mindestens in Deutschland, vielleicht sogar in ganz Europa. Expressionismus war ihm alles, was sich gegen das Etablierte stemmte, was aufbegehrte gegen die Bürgerlichkeit des 19. Jahrhunderts. Ganz egal, ob dies nun Kubismus oder Futurismus oder Konstruktivismus oder Primitivismus war. Völlig unabhängig auch, ob es Männer oder Frauen waren, die dem expressionistischen Schlachtruf folgten. Mehr als 30 Künstlerinnen stellten bei Walden aus, kein anderer Galerist entdeckte und förderte so viele Frauen. Während Kunstakademien für Frauen noch verschlossen waren, während Kunsttheoretiker der Frau allenfalls das Nachahmende, Kunsthandwerkliche zutrauten, niemals aber das genuin Schöpferische, machte der mit so selbstbewussten Künstlerinnen wie Else Lasker-Schüler und ab 1912 mit Nell Walden liierte Walden keinen Unterschied zwischen Wassily Kandinsky und Gabriele Münter, zwischen Oskar Kokoschka und Alexandra Exter. 18 Künstlerinnen hat Kuratorin Ingrid Pfeiffer ausgewählt. Von den anderen „Sturm-Frauen“ fehlt zum Teil jede Spur, ihre Werke sind verschollen, in zwei Kriegen verbrannt. Die gezeigten Künstlerinnen werden in Biografien vorgestellt und mit Ausschnitten aus ihrem gesamten Werk präsentiert, also nicht nur mit den Arbeiten für die „Sturm-Galerie“. Es ist alles da, kein Ismus der Moderne fehlt. Und die Assoziationen sind vielfältig. Picasso, Beckmann, Chagall, Kandinsky, man fühlt sich dauernd an etwas erinnert, und macht dabei natürlich einen unverzeihlichen Fehler. Denn diese Frauen, die oft – wie Gabriele Münter mit Kandinsky – mit Künstlern liiert waren, sie waren ja nicht nur Nachahmerinnen, sondern eben auch Vorahmerinnen. Waren auch Wegbereiterinnen der Moderne, die – wie das Beispiel der 1860 in Russland geborenen Marianne von Werefkin zeigt – dem Expressionismus mit zum Durchbruch verholfen haben. „Die Farbe bestimmt über die Form und unterwirft sie sich“, wird Werefkin im Ausstellungskatalog zitiert. Ein Satz, den auch ihre männlichen Kollegen unterschrieben hätten, Kandinsky zumal, mit dem zusammen sie zu den Mitgliedern des Münchener „Blauen Reiter“ gehörte. Werefkin gelingen düstere, harte Szenen aus dem Leben der kleinen Leute. Die Gesichter dieser Menschen sind, wenn überhaupt erkennbar, entstellt, verzerrt. Die Farben, die sie für Naturschilderungen wählt, wirken verstörend, beängstigend. Das 20. Jahrhundert als radikal veränderte Lebenswirklichkeit spiegelt sich in ganz unterschiedlichen Werken: die Großstadt, das Schicksal der Industriearbeiter, der Erste Weltkrieg, aber eben auch die moderne, selbstbewusste Frau, die wir in Gabriele Münters Porträt der Marianne Werefkin ebenso erkennen können wie in Marcelle Cahns „Frau mit dem Tennisschläger“, das 1927 entstand, als der expressionistische Sturm längst abgezogen war. Die 1885 in Antwerpen geborene Marthe Donas schafft Großartiges im Kubismus mit ihren „Abstrakten Kompositionen“, die Russin Natalja Gontscharowa erweist sich mit ihren neo-primitivistischen Volksszenen als wahre „Wilde Russlands“; die aus Wuppertal-Barmen stammende Emmy Klinker, die unter anderem bei Lovis Corinth studiert hat, malt die ganze Bedrohlichkeit in banal-alltägliche Situationen hinein und Lavinia Schulz, von der vor allem faszinierende Bühnenkostüme zu sehen sind, erweist sich als Weggefährtin der Theaterreform der Jahrhundertwende. Man könnte immer so weiter aufzählen. Oft wird der Lebensweg dieser Künstlerinnen unterbrochen. Das ist vielleicht das einzig typisch weibliche. Manche retteten sich aus der Mittellosigkeit in eine Ehe, andere opferten das eigene Talent für den Künstler an ihrer Seite. Der künstlerische Weg aber dieser Frauen war kein Sonderweg. Kein weiblicher Weg. Es war dasselbe Ringen um Ausdruck in einer Welt, die sich kaum mehr in Kunst ausdrucken ließ. Manche waren dabei erfolgreicher, andere weniger, und auch das unterscheidet sie nicht von den viel berühmteren Männern aus dieser Epoche. Die Ausstellung Bis 7. Februar, Schirn-Kunsthalle Frankfurt, dienstags sowie freitags bis sonntags 10 bis 19 Uhr, mittwochs und donnerstags 10 bis 22 Uhr.

91-73530882.jpg
91-73530883.jpg
91-73530884.jpg
x