Kaiserslautern Der Exzentrische

Der türkische Komponist und Pianist Fazil Say.
Der türkische Komponist und Pianist Fazil Say.

Im Mittelpunkt der nächsten Konzertreihe, welche die Staatsphilharmonie nach Wörth, Neustadt, Kaiserslautern und Mannheim führt, steht das Werk eines der wichtigsten Komponisten der Gegenwart: Fazil Says Konzert für Klarinette und Orchester, 2011 von Sabine Meyer beim Schleswig-Holstein-Festival uraufgeführt.

Den 1970 in Ankara geborenen Fazil Say, dessen Vater Musikwissenschaftler und Schriftsteller war, im Konzert zu erleben, ist eine prägende Erfahrung. Mit exzentrisch ist sein Auftreten eigentlich nur sehr unzureichend beschrieben. Der Geniegedanke jedenfalls ist auch nicht weit.

Zwischen den Welten

Fazil Say arbeitet sich am Klavierspiel ab. Mit vollem Körpereinsatz. Er sitzt stark gekrümmt, nach vorne gebeugt auf seinem Hocker, sollte er eine Hand frei haben, dann greift diese auch schon mal gerne über die Tasten hinweg in den Flügel hinein. Er stampft mitunter mit den Füßen auf, und wie der legendäre kanadische Ausnahmepianist und Bach-Interpret Glenn Gould summt und singt er mit. Die Augen sind meist geschlossen, er wirkt völlig entrückt, abwesend. Der Konzertsaal, das Orchester hinter ihm, der Dirigent und auch das Publikum, das alles scheint dann keine Rolle mehr zu spielen.

Auch wenn das Talent Says – und zwar sowohl sein pianistisches als auch sein kompositorisches – in seiner türkischen Heimat entdeckt wurde, seine wichtigsten Ausbildungsstationen waren die Musikhochschulen Düsseldorf und Berlin, wo er seine Studien im Jahr 1995 abgeschlossen hat. Was folgte, war eine Weltkarriere als Pianist, der sich nie damit zufriedengab, nur die Werke anderer Komponisten zu spielen. Er schrieb sich – in bester Tradition von Mozart oder Beethoven oder Chopin oder Rachmaninow – seine Klavierkonzerte selbst. Mittlerweile umfasst sein Werk auch Sinfonien, Oratorien und Konzerte für andere Soloinstrumente wie das Klarinettenkonzert, das die Staatsphilharmonie in den vier Konzerten in Wörth, Neustadt, Kaiserslautern und Mannheim aufführt.

Man könnte Say auch als einen Wanderer zwischen den Welten bezeichnen. Oder an Goethes „West-östlichen Diwan“ denken. Denn das genau passiert in Says eher sinnlichen, den Zuhörer unmittelbar ansprechenden Werken: die Versöhnung, der Brückenschlag zwischen Orient und Okzident. Er ist von der mitteleuropäisch-klassischen Tradition ebenso geprägt wie vom Jazz Nordamerikas. Und eben auch von der orientalischen Musik der Türkei, vor allem Anatoliens. Fazil Say selbst sagt über seine Kompositionen: „Meine Musik ist nicht super Avantgarde.“ Er hält sie eher für konkret und fassbar – und eben deshalb auch für so erfolgreich beim breiteren Publikum.

Brücken schlagen

Jahrelang wurde Fazil Say auch als hochpolitischer Künstler wahrgenommen, der sich sowohl mit seinen strenggläubigen Landsleuten, als auch noch viel mehr mit Präsident Erdogan angelegt hat. In beißend-bösen Tweets hat er den Islam zum Teil der Lächerlichkeit preisgegeben, das Paradies der Muslime, in dem ja der Wein in Flüssen fließen soll und die Jungfrauen auf die Strenggläubigen warten sollen, gar als Kneipe und Bordell bezeichnet. Das blieb nicht ohne Folgen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Herabwürdigung der Religion, ein Gericht verurteilte ihn 2013 zu zehn Monaten auf Bewährung. Zwei Jahre später wurde das Urteil allerdings wieder aufgehoben und seine Äußerungen mit der Meinungsfreiheit gerechtfertigt.

Den von der Staatsgewalt brutal niedergeschlagenen so genannten Gezi-Protesten widmete er sogar eine Werktrilogie, welche sehr plastisch und drastisch die Situation von den friedlichen Protesten bis hin zu der heftigen Polizeigewalt schildert. Umso überraschter war die liberale Öffentlichkeit, als Say 2019 Erdogan zu einem Konzert einlud und danach sogar eine tiefe Verbeugung mit zusammengefalteten Händen vor dem mächtigen Mann vom Bosporus machte. Für viele seiner politischen Anhänger kam dies einer Art Verrat gleich. Say selbst hat sich seitdem nicht mehr zur politischen Situation in seiner türkischen Heimat geäußert.

Termin

Sinfoniekonzert der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, Solist: der Schweizer Klarinettist Reto Bieri, Dirigent: Tung-Chieh Chuang, Generalmusikdirektor der Bochumer Symphoniker. Das Konzert unter dem Titel „Lebensstationen“, das zur Reihe „Konzerte der Stadt Kaiserslautern“ gehört, findet am Freitag, 27. Januar, 20 Uhr, in der Fruchthalle Kaiserslautern statt. Flankiert wird das Fazil-Say-Konzert von zwei Werken der russischen Romantik: Michail Glinkas Ouvertüre zu „Ruslan und Ljudmila“ und Alexander Borodins Sinfonie Nr. 2 h-Moll op. 5, die den Beinamen „Heroische“ trägt.

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