Kaiserslautern Der Erlebnistag für Sehbehinderte beim Deutschen Alpenverein kommt gut an

Der erste Erlebnistag „Klettern für blinde und sehbehinderte Menschen“ erlebte großen Zuspruch: Sonja Brand sichjert Tanja Grüne
Der erste Erlebnistag »Klettern für blinde und sehbehinderte Menschen« erlebte großen Zuspruch: Sonja Brand sichjert Tanja Grünebaum (in der Wand).

Für große Freude sorgte der erste Erlebnistag „Klettern für sehbehinderte Menschen“ des Deutschen Alpenverein (DAV) Kaiserslautern und des Blinden- und Sehbehindertenverbundes Pfalz (DBSV) am Samstag im Kletterzentrum der Barbarossahalle. Sehbehinderte Menschen durften über sich hinaus klettern.

Wer an diesem Morgen in die Barbarossahalle kam, dem eröffnete sich ein besonderes Bild: Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die nahezu oder vollständig blind sind, kletterten die schwindelerregend hohen Wände empor – ohne Angst und mit voller Energie. Und jedes Mal, wenn sie mit einer Hand die Decke berühren konnten, strahlten sie übers ganze Gesicht. Es war der erste Erlebnistag dieser Art, der vom Deutschen Alpenverein (DAV), Sektion Kaiserslautern, in Zusammenarbeit mit dem Blinden- und Sehbehindertenbund Pfalz (DBSV) initiiert wurde. Sonja Brand vom DAV hatte den Bund angefragt. Und dessen Vorsitzender Wilhelm Lickteig hatte als „begeisterter Bergsteiger und Kletterer“ sofort zugesagt.

Lickteig hat bereits im Jugendalter aufgehört, die Welt durch seine Augen zu sehen. Von Geburt konnte er seine Umgebung nur anhand von Lichtverhältnissen und angedeuteten Farben wahrnehmen. „Zum Fahrradfahren hat es eigentlich nicht mehr gereicht, gemacht habe ich es trotzdem“, verriet er. Und so wenig, wie er sich vom Fahrradfahren abhalten ließ, ließ er sich vom Bergsteigen abschrecken. Mit einem Bergführer, der Lickteigs Schritte und Griffe lenkte, hat er bereits fünfmal 4000er erklommen – ein Drahtseilakt zwischen Fels, Eis und Dunkelheit. Einen Vorteil, so sagt er, hätte er durch die Blindheit: „Bei vielen Sehenden, die sich den Berg hoch und wieder runter kämpfen, geht irgendwann die Panik los. Bei mir gab es wohl schon kritische Situationen, die ich gar nicht mitbekommen habe, die mir der Bergführer erst hinterher offenbart hat. Für mich ist das Gefährlichste An- und Abreise.“

Klettern entspannt

Für viele sehende Menschen erscheint es unverständlich, dass Blinde sich für Klettern und Bergsteigen begeistern können, obwohl sie die Aussicht vom Gipfel aus nicht sehen können. Die Frage, warum er das macht, beantwortet Lickteig so: „Die Begeisterung fürs Klettern und Bergsteigen muss man nicht erklären. Die kommt von selbst. Wenn man oben am Gipfel steht und dann eine eisig kalte Wolke an einem vorbeizieht, merkt man, dass man dem Weltraum ein bisschen näher ist.“ Und nach einer Stunde Bergsteigen – ohne Handy und in völliger Ruhe – sei er „erholter, als andere nach ein oder zwei Wochen Urlaub.“

Genau das war die Grundidee, die Sonja Brand zu der Aktion in der Barbarossahalle inspiriert hatte. Neben ihrer Tätigkeit als Jugendleiterin im DAV, absolviert sie derzeit eine Zusatzqualifikation für die Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigung. Und in dieser Fortbildung ist der Klettertrainerin „bewusst geworden, dass Klettern etwas für alle sein kann. Man muss die eigenen Grenzen für sich selbst ausloten – was geht und was geht nicht. Aber beim Klettern müssen viele Einschränkungen keine Behinderung sein.“

Deshalb hat sie zusammen mit anderen Vereinsmitgliedern beim DAV Kaiserslautern das „Inklusive Klettern“ für Menschen mit Behinderung ins Leben gerufen – und zum ersten Mal auch für sehbehinderte Menschen. „Es geht. Man braucht nur Konzentration, Gehör und Gefühl.“

All das half an diesem Tag auch einem blinden Mädchen namens Emma dabei, hoch hinauf und über sich hinaus zu steigen. Brand navigierte die Griffe und Tritte des Mädchens, Mut und Unbeschwertheit brachte Emma ganz allein mit. Teamwork und gegenseitiges Vertrauen seien das A und O beim Klettersport: „Die Kinder haben mich heute das erste Mal kennengelernt und vertrauen mir quasi direkt ihr Leben an. Das ist eine zusätzliche Herausforderung.“ Und bei Emma und Brand ist sie auf Anhieb geglückt. „Super. Noch ein Griff, dann hast du es geschafft und bist am Ziel“, motivierte die Trainerin. Und schon erreichte Emma die Hallendecke. Die Freude über den Erfolg konnte man in dem Gesicht des Mädchens ablesen.

Grenzen sprengen

„Es entspannt, es gibt mentale Stärke und durch die Teamarbeit lernt man die Umgebung ganz anders kennen“, zählte Lickteig die Vorzüge des Kletterns auf. Und es sprenge Grenzen. „Viele Nicht-Sehende bekommen von irgendjemandem gesagt: ,Das kannst du nicht’ oder ,Das ist zu gefährlich’. Wir versuchen, den Menschen solche Ängste zu nehmen und ihre eigenen körperlichen Grenzen auszureizen. Wir wollen die Menschen mit dem ganz normalen Leben konfrontieren. Und dadurch lernen oftmals auch die Angehörigen, was alles geht. Denn nur, weil man blind ist, muss man nicht Essen auf Rädern bekommen.“ Deshalb soll im November auch ein Kochkurs im DBSV Pfalz folgen.

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