Kaiserslautern Der „Drehhofer“ sorgt für Missklänge

In Bayerns Kultur-Metropole München toben aktuell die Debatten. Es geht um die Frage, ob die Landeshauptstadt einen neuen Konzertsaal bekommt. Für manche geht es um mehr, nämlich um den guten Ruf Münchens als Musikstadt.

Der Welt gestorben war er eben noch, ihr abhanden gekommen, da kehrte er in die Realität zurück. Bewaffnet mit einem Mikrofon lieferte Christian Gerhaher in Münchens Philharmonie nach Mahlers Rückert-Liedern eine gesangslose Zugabe. Möglichst lange, so bat der Bariton in leisem, bescheidenem Tonfall, solle man den Ministerpräsidenten daran erinnern, dass er ein Versprechen gebrochen habe. „Ich bitte Sie zu protestieren.“ Bravi, heftiger Applaus. Ein Solist durchbricht die Konzertordnung, spätestens jetzt dürfte dem Letzten klar geworden sein: Das Kulturleben an der Isar ist in Aufruhr. Schuld daran sind zwei Herren, die fast noch nie in Klassikkonzerten gesichtet wurden, nun aber in Sachen Musik erstmals gemeinsame Sache machen. Ein paar Mal haben Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) in Spitzengesprächen gekreißt. Was dabei herauskam, wird als blamable Mini-Lösung verspottet. Kein weiterer Konzertsaal soll entstehen, dafür wird die Philharmonie im Kulturzentrum Gasteig, berüchtigt für ihre dürftige Akustik, ab 2020 aufwändig saniert und der kleinere Herkulessaal „ertüchtigt“. Münchner Philharmoniker und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks sollen sich beide Räume teilen und dafür ihre Abo-Struktur umkrempeln. Dass die neuen Politfreunde mit nur zwei Jahren Renovierungszeit rechnen, hat ihnen kübelweise Hohn eingetragen. Nicht mehr zum Lachen ist aber: Weder Freistaat- noch Stadtspitze haben sich über die Konsequenzen Gedanken gemacht. Nicht klar ist zum Beispiel, wohin die Philharmoniker und BR-Symphonieorchester während der Sanierung sollen. Kein Mensch hat auch bisher kalkuliert, wie viel eine Gasteig-Entkernung kostet, ob sie bautechnisch so einfach möglich ist – und ob all das nicht den Verantwortlichen à la Elbphilharmonie finanztechnisch um die Ohren fliegt. Völlig vergessen wurden die privaten Konzertveranstalter, für sie kommt das Seehofer-Reiter-Modell einem Berufsverbot gleich. Weiterer Kostenfaktor: Die neue Abo-Struktur nach der Umbauphase erfordert viel mehr Konzerte – für die 1800 Dauergäste, die pro Konzert beim BR und bei den Philharmonikern sitzen, ist der Herkulessaal mit seinen 1200 Plätzen viel zu klein. Was aber am meisten erbost, ist der Wortbruch des Ministerpräsidenten. Mehrfach hatte der als „Drehhofer“ berüchtigte dem BR-Symphonieorchester und seinem Chef Mariss Jansons eine eigene Heimat versprochen, um sich nun lächelnd aus der Affäre zu winden: Eine renovierte Philharmonie sei doch quasi ein neues Konzerthaus, oder? Andernorts, wo Theater und Orchester fusioniert bis liquidiert werden, mag das alles als weiß-blaues Luxusproblem gesehen werden. Tatsache ist allerdings, dass die Nachfrage nach klassischer Musik in München steigt. Seit dem Amtsantritt von Jansons im Jahr 2003 hat sich die Anzahl der Abonnenten von 5000 auf 11.000 hinaufgeschraubt. Und auch die Philharmoniker, die traditionell mehr Abende anbieten, liegen derzeit bei 18.000 – trotz der Wutkündigungen nach dem Thielemann-Rauswurf. Im Großraum München rechnet man in den nächsten Jahren mit einem Einwohnerzuwachs im sechsstelligen Bereich: mehr als genug Potenzial für den Musikgenuss also. Unterschriftenlisten, eine Online-Petition, Leserbrief-Attacken, nicht zuletzt harsche Worte von Promis wie Anne-Sophie Mutter („katastrophale Fehlentscheidung“): Einen solchen Sturm haben weder Ministerpräsident noch Oberbürgermeister erwartet. Seit zehn Jahren wird in München die Saal-Debatte geführt. Der Marstall hinter der Oper entpuppte sich als zu klein, der ehemalige Kongresssaal des Deutschen Museums scheiterte am Widerstand des dortigen Kuratoriums, zuletzt wischte Seehofer die Variante Finanzgarten unweit des Odeonsplatzes vom Tisch. Dabei wäre gerade die verführerisch. Die U-Bahn-Anbindung stimmt, die Lage ist zentral, außerdem könnte ein Areal, das selbst vielen Münchnern dem Namen nach nichts sagt, vom Aschenputtel zum Prinzesschen herausgeputzt werden. Mariss Jansons hat sich gestern erstmals zur Vereinbarung zwischen Seehofer und Reiter geäußert – und zwar sehr deutlich:„Wir wurden zum Narren gehalten“, sagte er in München. Er kündigte an, zusammen mit dem Orchester weiter für einen neuen Saal zu kämpfen. Der Druck auf Ministerpräsident und Oberbürgermeister steigt also enorm, zudem sind die Parteireihen nicht geschlossen. Sowohl bei CSU als auch bei SPD gibt es Fans eines neuen Saals. Und mittlerweile scheint auch die Staatsregierung zurückzurudern. Das Kabinett hat sich zwar am Dienstag dafür ausgesprochen, die Gasteig-Herkulessaal-Lösung zu untersuchen. Sollte sich die aber als nicht realisierbar erweisen, dann sei doch der Finanzgarten eine sehr gute Variante. Ein Hintertürchen also. Und eine Option auf eine erneute Pirouette.

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