Kaiserslautern Das Karussell dreht sich wieder

Am Ende der ersten Staffel der Serie „Mad Men“, die Anfang der 1960er in einer New Yorker Werbeagentur spielt, hat der Werber Don Draper einen delikaten Auftrag. Zu verkaufen wäre ein so genanntes Rundmagazin für den Diaprojektor. Die Erfinder von Kodak nennen es „the wheel“, das Rad. Aber überzeugt von der Richtung sind sie nicht. Zwei Vertreter der Firma nehmen Platz im Konferenzraum der Agentur. Es wird dunkel. Und etwas Magisches passiert. Zu sehen sind fortlaufend Ansichten einer glücklich wirkenden Familie. Es ist die des in privaten Dingen sonst eher reservierten Don Draper: Kinder beim Baumklettern, Mama und Papa beim Hot-Dog-Essen, beim Küssen. Der Zuschauer weiß, dass von diesen Glücksmomenten im Moment der Erzählung nur Fassaden übrig geblieben sind – die Drapers werden sich trennen. Dennoch fällt es schwer, sich der Wirkung der Bilder zu entziehen – und der Werber weiß das. Es gebe, sagt er erläuternd, etwas, dass alles Neue auf der Welt immer wieder übertreffe, und das sei das Gefühl von Nostalgie. Ein leicht schmerzhafter Gedanke, der einen sehnsüchtig dorthin zurückkehren lasse, wo man mal war (oder gewesen zu sein glaube): daheim. Folgerichtig nennt Draper das Rundmagazin „das Karussell“. Es verspreche immer wieder eine neue Reise: „around and around and back home again“. Fast überflüssig zu sagen, dass die Idee die Kodak-Leute schwer begeistert. Wenn jetzt wieder die Fußball-Bundesliga anfängt, wird eine Variation des Draper’schen Karussells besonders Konjunktur haben, auf allen Kanälen. Die alten, betriebsbestätigenden, Wohlfühl- und Weißt-Du-Noch?-Szenen kehren zurück: Wie erst der morsche, Holzpfosten und dann das ganze Tor am Gladbacher Bökelberg beim Spiel gegen den SV Werder Bremen 1971 in sich zusammenklappt – und der Verein dann doch zum zweiten Mal Deutscher Meister wird. Oder wie sich Torhüter Sepp Maier im Münchner Olympiastadion während eine Spiels die Zeit nimmt, auf Vogeljagd zu gehen – weil der FC Bayern ohnehin meistens Meister wurde und wird. Oder wie der Trainer Jürgen Klopp nach dem Treffer von Felipe Santana gegen den FC Malaga im April 2013 in Dortmund in nicht gespielter Ekstase auf den Rasen läuft – und dann doch nicht Champions-League-Sieger wird (und auch nicht Deutscher Meister). Dann dreht sich das Karussell und dreht sich, bis einem wieder ganz wohlig nostalgisch schwindelig ist. Falschen romantischen Stimmungen ist allerdings direkt vorzubeugen. Die Phase, in der Lyriker Großgedichte auf Bundesligaspieler schrieben (Eckhard Henscheid: „Hymne auf Bum Kun Cha“) ist lange vorbei. Wie inniglich trotz allem immer noch das Fußballfeld mit einer poetischen Morgenröte in eins gesehen wird, erlebte jüngst das Publikum im Münchner Literaturhaus. Es debütierte in Deutschland der nach Otto Rehhagel erste Trainer seit langer Zeit (Rehhagel hielt es gerne mit Goethe), dem Gedichte etwas zu bedeuten schienen. Pep Guardiola, der Trainer des FC Bayern München, las Poeme seines katalanischen Lieblingsdichters Miquel Marí i Pol. Auf seine eigene Art hatte die Lesung etwas Anachronistisches, ja: Nostalgisches. Als seien „alle unsere Schlachten“ (wie der Real-Fan Javier Marías schrieb) eben doch nicht denkbar ohne ein wenig homerische Begleitung und Fußball emotional doch so etwas wie Heimat. Am Ende aber bediente auch Guardiola lediglich das Karussell. Als er gefragt wurde, ob er je seinen Spielern Lyrik vorliest, schaute er erstaunt und widersprach sofort: Kein Gedanke. Gedichte seien Privatsache. Da seufzte der Saal, und der Moderator sagte: „Es wäre so schön gewesen…“ Zum Weiterlesen —Klaus Zeyringer: „Fußball. Eine Kulturgeschichte“; S. Fischer Wissenschaft; 448 Seiten; 22,99 Euro.

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