Kaiserslautern Das falsche Märchen
Kein Lebensporträt, kein Biopic im klassischen Sinn: Im Cannes-Eröffnungsfilm „Grace of Monaco“ geht es nur um das Jahr 1962, in dem Grace Kelly, nun die Fürstin von Monaco, sich endgültig entscheiden muss zwischen Leinwandkarriere und Landesmuttersein. Dabei hat Regisseur Olivier Dahan nicht nur Privates, sondern auch Politisches dazu erfunden.
Es war wie ein Märchen, als die Oscar-gekrönte Schauspielerin Grace Kelly, die vorher bereits eine Prinzessin gespielte hatte (Prinzessin Alexandra von den Niederlanden in „Der Schwan“ von King Vidor, 1956) Fürst Rainier von Monaco heiratete. Aber mit der Hochzeit 1956 hält sich der Film nicht auf, er spielt im Krisenjahr 1962 und lenkt den Blick auf Grace als eine Frau, die hat, was sie wollte, und unglücklich ist. Sobald sie sagt, was sie denkt, wird sie von der Hofdame, die sie permanent überwacht, in ihre Schranken gewiesen. Sie soll nur repräsentieren und sich nicht in die Politik einmischen. Alfred Hitchcock bietet Grace die Hauptrolle in seinem Thriller „Marnie“ an, für eine Million Dollar, und er besucht sie in Monaco (was erfunden ist). Und das, nachdem Grace gerade wütend im offenen Cabrio durchs Land brauste, genauso wie in ihrem früheren Leben, im Film „Über den Dächern von Nizza“ (Regie: Hitchcock). Und beim Telefonieren steht sie genauso da wie früher in Hitchcocks „Bei Anruf Mord“. Die beiden Leben Hollywood/Monaco auch optisch immer wieder unvermittelt zu verbinden, ist die schönere Idee des Cineasten Dahan. Nach gut fünf Jahren Ehe ist Grace erdrückt vom höfischem Protokoll und davon, dass sie ihren Mann wenig sieht. Sie muss sich fragen, wie ihr Leben weitergehen soll – diese Verzweiflung spielt Nicole Kidman sehr überzeugend. Eigentlich will Grace wieder zurück nach Hollywood, als in ihre ohnehin nicht mehr so heile Märchenwelt die Politik einbricht. Frankreichs Staatspräsident de Gaulle ist sauer, weil die französischen Firmen zu Hunderten nach Monaco ziehen, da sie dort keine Steuern zahlen müssen. Er droht, dem finanziell klammen Monaco gewaltsam die Unabhängigkeit zu nehmen und es in französische Hoheit zurückzuholen. Bei Dahan ist das der Wendepunkt im Leben von Grace. Sie befolgt den Rat ihres väterliches Freundes, eines US-amerikanischen Priesters am Hof (den es so wohl nie gab), das Fürstin-Sein als Kino aufzufassen und ihre Rolle zu spielen. Gut zu spielen. So fügt sich Grace plötzlich ins Protokoll – Kleidung, Haltung, Wohltätigkeitsveranstaltungen –, geht zu den einfachen Menschen auf den Markt, und bezirzt ihren Mann, sie etwas tun zu lassen, das vielleicht Monaco die Unabhängigkeit retten könnte. Es beginnt damit, dass sie französischen Gendarmen, die an den Grenzen Monacos einen Stacheldraht als Barrikade errichtet haben, etwas zu essen bringt. Und es geht damit weiter, dass sie einen Ball organisiert und es schafft, dass ganz Europa daran teilnimmt, auch de Gaulle (was erfunden ist) und eine flammende Rede hält (was auch erfunden ist), die alle anwesenden Politiker überrascht und für sie einnimmt. Als Landesretterin bleibt Kidman seltsam blass und kühl, aber das liegt auch an der Inszenierung, die keinerlei Spannung aufkommen lässt, sondern vieles einfach nur pittoresk abbildet, anstatt emotional zu packen. Das tat Olivier Dahan schon bei seinem größten Erfolg, „La vie en rose“ (über die Sängerin Edith Piaf, 2007), ebenfalls das Porträt einer Frau, die sich entscheiden muss. Zwar hatte Dahan diesmal mehr Geld, denn der US-Produzent Harvey Weinstein finanzierte das Projekt, so dass die Hofszenen durchaus glamourös ausgestattet sind. Aber er verstand es nicht, seine Schauspieler zu fordern und die richtigen anzuheuern: Die Darsteller von Hitchcock (Roger Ashton-Griffiths) und de Gaulle (André Penvern) sind lachhaft. Und Tim Roth spielt Rainier als distanzierten Eisblock, dass man sich fragt, wie sich Grace in so einen Mann verlieben konnte. Nur US-Routinier Frank Langella (76) als väterlicher Freund ist überragend und stiehlt allen die Schau – auch Kidman. So plätschert der Film über weite Strecken lustlos dahin. Weinstein fand ihn so schlecht, dass er eine neue Fassung schnitt, aber unschlüssig ist, ob er selbst die überhaupt in den USA herausbringt. Das Filmfestival von Cannes – das naturgemäß gerne Filme programmiert, die in der Nähe spielen oder dort gedreht wurden –, entschied sich für die Fassung von Dahan, die in Europa ins Kinos kommt und von der sich die Kinder von Grace distanzierten („zu unrealistisch, kein Biopic“). Sie blieben gestern Abend der Eröffnung des Festivals fern. Oder spielen auch sie nur eine Rolle: die der beleidigten Adligen, denen man es nie recht machen kann?