Kaiserslautern Das Bachfest bewegt sich

2014 gedenkt die Musikwelt anlässlich seines 300. Geburtstags Carl Philipp Emanuel Bach, dem zweitältesten Sohn des großen Johann Sebastian. „Die wahre Art“ stand als Motto über dem diesjährigen Leipziger Bachfest. Mit diesem Teilzitat des wohl bedeutendsten Lehr- und Studienwerks zur Aufführung von Musik im 18. Jahrhundert, „Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen“, war der Rahmen abgesteckt: Das Bachfest offerierte Werke des Bach-Sohnes aus verschiedenen Gattungen.

Diese wurden fast immer mit den Stücken seines Vaters oder seines Taufpaten Georg Philipp Telemann in Beziehung gesetzt und überwiegend interpretiert überwiegend durch Künstler der historisch informierten Aufführungspraxis – was für Leipzig nicht selbstverständlich ist. In den vergangenen Jahrzehnten hat das Bachfest unter dem Dach des Bacharchivs großen Wert darauf gelegt, alle Spielarten der Bach-Interpretation zu fördern und nicht der einen oder anderen Richtung den Vorzug zu geben. Dies hatte zur Folge, dass die Leitung des Bacharchivs den Vorwurf des Konservatismus ertragen musste. Das ist vorbei: So viel historische Aufführungspraxis wie 2014 war nie; dafür stehen Ensemble- und Künstlernamen wie das Amsterdam Baroque Orchestra und Ton Koopman, die Academy of Ancient Music und Paul Goodwin, das Tafelmusik Baroque Orchestra aus Toronto, der Pianist Malcolm Bilson und viele andere. Der Akademie für Alte Musik Berlin wurde die begehrte Bach-Medaille der Stadt Leipzig verliehen, und seit Januar 2014 ist John Eliott Gardiner, einer der renommiertesten Dirigenten der Alten Musik, Präsident des Bacharchivs Leipzig. Und wer Gardiner kennt, der weiß, dass er nicht nur zum Händeschütteln nach Leipzig kommt, sondern natürlich inhaltliche Akzente setzen will. So erzählte der Intendant des Bachfests, Dettloff Schwerdtfeger, dass Gardiner eine Kooperation mit dem Gewandhausorchester und dessen derzeitigem Chefdirigenten, Riccardo Chailly, anstrebt, die den Planungen zufolge bereits bis ins Jahr 2020 reicht. In dieses Bild der Erneuerung passt auch, dass der langjährige Direktor des Bacharchivs, der Musikwissenschaftler und Harvard-Professor Christoph Wolff, 2013 aus dem Direktorium ausschied und Platz machte für seinen Nachfolger Peter Wollny. Es tut sich etwas in Leipzig: Die Stadt pulsiert, sie ist prachtvoll restauriert, sie strahlt Energie und Dynamik aus und zieht die Jugend an. Glückliches Leipzig, dessen Geschichte von bedeutenden Musikern so stark geprägt ist wie die kaum einer anderen Stadt! Diese Erkenntnis scheint in den Köpfen der Politiker angekommen zu sein, denn das Bacharchiv als zentrale Einrichtung für Forschung und Pflege des Werks der Familie Bach steht gut da. Das Bachmuseum ist ein kleines Wunderwerk der digitalen Technik, mit Bachbibliothek und Bachfest-Organisation sehr repräsentativ im historischen Bosehaus, einem vorbildlich restaurierten Kleinod der Stadtgeschichte gleich neben der Thomaskirche, untergebracht. Rund zwei Millionen Euro jährlich beträgt das Budget des Bachfests, davon steuern Land und Kommune eine Million bei. Die finanzielle Situation des Bachfests und des Bacharchivs ist stabil, und die rund 100 Veranstaltungen pro Festivalsaison – Konzerte, Vorträge, Gottesdienste, Orgelreisen, Open Airs und vieles andere mehr – sorgen dafür, dass die Einnahmeseite stimmt, wobei rund ein Drittel der Angebote kostenfrei ist. Das Bachfest ist ein Magnet für Besucher aus aller Welt: Rund 30 Prozent des Publikums ist internationaler Herkunft. Es sind nicht die spektakulären Hochglanz-Ereignisse – auf diese legte das Bachfest bisher weniger Wert –, sondern es ist vor allem die Authentizität des Ortes und der Spielstätten, die das Festival für das Publikum so attraktiv macht. Insofern lässt sich Leipzig durchaus mit Salzburg vergleichen; auch dort steht ein Komponist im Zentrum der kulturellen Historie und des Stadt-Marketings. Jedoch sei zu Leipzigs Ehrenrettung schnell angefügt, dass die Messestadt noch weit davon entfernt ist, Johann Sebastian Bach so gnadenlos zu vermarkten, wie Salzburg es mit Mozart macht. Bachs Werk und Leben verschließen sich glücklicherweise dieser Art von Kommerzialisierung. Das künstlerische Niveau des Bachfests 2014 war dann eher heterogen; Spitzenensembles wie die Academy of Ancient Music standen beispielsweise neben den soliden Musikhandwerkern der Capella Cracoviensis. Doch dem Publikumszuspruch tat dies absolut keinen Abbruch: Die Konzerte waren meist ausverkauft. Und wenn der japanische Altmeister in Sachen Bach-Pflege, Mazaaki Suzuki, mit dem Gewandhausorchester und dem MDR-Rundfunkchor einen musikalischen Ausflug zu Joseph Haydn unternimmt und eine in allen Belangen überzeugende Interpretation der „Schöpfung“ präsentiert, ist das Gewandhaus nicht nur bis auf den letzten Platz gefüllt; es erbebt auch durch die Begeisterung des Publikums. Mit Bachs grandioser h-Moll-Messe endete schließlich am Sonntagabend traditionell das Bachfest Leipzig. Diesmal waren Ton Koopman und seine Amsterdamer Ensembles die Interpreten eines tief beeindruckenden Abends. Die 1.600 Bach-Enthusiasten in der Thomaskirche spendeten zu Recht mehr als 20 Minuten euphorischen Beifall.

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