Kaiserslautern Blickpunkt: Die Lange Nacht der Kultur: Und immer wieder Brille putzen
Nasse Hosen, die am Fahrradsattel kleben, und ständiges Brille putzen gehörte dazu, wollte man sich bei der Kulturnacht einen Überblick über das Angebot an bildender Kunst schaffen. Von eindrücklicher Videokunst vergangener Jahrzehnte, dokumentarischer Fotografie aus China oder engagierter Kunst von Schülern war denn auch so einiges zu finden, das zumindest für einen zweiten Blick gut war. Dass man in den 1970ern oder 1980ern auch mal gerne mit seiner Kunst das Publikum provozierte, zeigte die Videokunst in der Fruchthalle. Arbeiten bekannter Videokünstler wie Marina Abramovic luden zum Verweilen und genaueren Hinsehen ein. Ein nacktes Pärchen links und rechts des Eingangs der Galeria Communale in Bologna, an dem sich das Publikum 1977 vorbeidrängen musste, sorgte augenscheinlich für amüsierte bis verschämte Reaktionen. Auch aktuelle Videokunst wie die von Ulrike Rosenbach regte zumindest zum Nachdenken an. Etwa über ideale Frauenbilder des Spätmittelalters bis heute. Ein weiteres Glanzlicht präsentierte die Architekturgalerie in der Alleestraße. Dort ging es um aktuelle Entwicklungen in China, genauer in Beijing. Dokumentarische und doch auch stimmungsvolle Fotografien belegten, dass immer mehr privat betriebene Läden das Straßenbild bunter machen. Sehr übersichtlich angeordnet und mit erklärenden Texten versehen, überzeugte die Schau. Schön auch das bunte Treiben vor der Galerie, wo chinesische Studierende asiatisches Bier oder gefüllte Pfannkuchen anboten, bis sie der Regen leider ins Innere zwang. Bei der Künstlerwerkgemeinschaft im Waldschlösschen gab’s Arbeiten von Schülern des Albert-Schweizer- und Ritterberg-Gymnasiums, entstanden in Kursen von Klaus Hartmann und Veronika Olma. Stillleben moderner Art, etwa mit Coladose oder Plastikwasserflasche, ganz klassische mit Weinflasche und Schachbrett oder kleine Bronzegüsse menschlicher Torsi zeugten vom künstlerischen Engagement der Schüler. Noch herrschte da eine lockere, intime Atmosphäre, noch war niemand vom Regen überfallen worden. Das Fahrrad den Berg hoch in die Morlautererstraße 80 zur Galerie Wack zu treten, nässte die Kleider auch noch von innen, wurde aber durch die klar strukturierten Werke von Doris Kaiser aus Gips oder Ton belohnt. Dabei gefällt vor allem der sauberst verfügte Gips, selten genug verwendet in der bildenden Kunst. Den Berg runterzurollen in Richtung des Hotels Alcatraz war dann schon wesentlich leichter. Dort fanden sich die Zeichnungen und Collagen von Kathrin Kirsch unter dem Titel „Gesichter der Ukraine“. Blond bezopfte Soldatinnen mit Käppi, alte Frauen mit Kopftüchern und abgearbeiteten Gesichtern sowie himmelblau angemalte Schrottpanzer, umfunktioniert zum Kinderspielplatz, nahm sich Kirsch zum Motiv ihrer fein ausgearbeiteten Bilder. Zeugnisse einer ganz anderen, als der werbequietschbunten westlichen Welt. Fast von einer anderen Welt kündete auch die Schau „Das FCK-Museum zu Gast“ im Zink-Museum. Neben gängigen Devotionalien wie Postkarten mit den Konterfeis der „Walter-Elf“ aus den 1950ern fand sich dort etwa auch eine historische Werbeschrift für den mit schwerem Blech verkleideten Goggo-Roller. Ein schönes Gefährt ganz ohne Steuergeräte. Über einen Bildschirm konnte man legendäre Weltmeisterschaftsspiele aus der Nachkriegszeit verfolgen. Ein bisschen größer als nur mit einem Schaukasten angelegt, hätte das Ganze schon sein dürfen. Die Schmiedefeuer von Karsten Stoffel, Mischa Volkmann oder Thomas Schmidt vor dem Art Hotel Lauterbach gegenüber der Fruchthalle sorgten bis zum großen Regen für eine fast magische Atmosphäre. Unter den schweren Hämmern verwandelte sich das rotglühende Eisen in große, stählerne Masken oder collageähnliche Figuren. Im Art Hotel, im Fraunhofer-Zentrum, entlang des Wegs Bremerhof-Humbergturm und an einigen anderen Orten gab’s noch mehr Kunst. Vielleicht alles in allem sogar ein bisschen zu viel. Gestreckt auf drei Tage oder reduziert auf weniger Anlaufstellen wäre wohl mehr Publikum zu erreichen gewesen. So herrschte beinahe ein Überangebot mit gegenseitiger Konkurrenz. Die Organisation weiterer langer Kulturnächte könnte darauf Rücksicht nehmen. (afk) Der Bereich Rock, Pop, Jazz und Artverwandtes war diesmal bemerkenswert gut bestückt. Wobei es schon einen starken Vorlauf gab: Bereits beim „Opening“ am Vorabend kam es im rappelvollen Kasino der Kammgarn zu einem ersten Höhepunkt, als zuerst die Lauterer Band Winterland mit melodischen Rocksongs Gas gab und danach Vanden Plas als Haupt-Act noch ordentlich eins draufsetzte. Das hatte internationales Format. Sogar aus dem fernen Japan waren drei Fans angereist, um Andy Kuntz & Co. beim ersten Konzert ihrer „Chronicles Of The Immortals – Netherworld“-Tour mit Titeln aus dem gleichnamigen Album und anderen Prog-Rock-Glanzstücken live zu erleben. Diese Reise hat sich allemal gelohnt. Gelohnt hat sich in den meisten Fällen auch der Besuch der anderen Darbietungen aus diesem Bereich. Schon beim Betreten der Fruchthalle, wo wie schon immer die meisten Veranstaltungen dieser Art stattfanden, gaben sich seit dem frühen Samstagabend diverse DJs unterschiedlichster Art bis in den neuen Tag hinein die Ehre und stimmten dabei unablässig auf die Auftritte weiter oben im Hause ein. Dort, im großen Konzertsaal vor allem, zeigten erstmal die ganz Jungen, was sie drauf haben. Die Schülerband der IGS Bertha von Suttner (Leitung: Roland Lehmann) präsentierte mit viel Elan rockige Songs, und das Junge Vokalensemble unter der Leitung von Ulrich Nolte eindrücklich zeitgenössische Titel aus den Bereichen Film- und Popmusik. Dass auch experimentelle Kultur ihren Platz in einer solchen Nacht hat, bewies die Sopranistin Montserrat Barber mit einer nicht alltäglichen Kombination aus menschlicher Stimme und dem Klang einer Nähmaschine. Das hatte schon was... Wer sich danach eine Weile aus dem Fruchthallen-Geschehen ausklinkte, erlebte im weiteren Umfeld des kulturellen Epizentrums dieser Nacht ebenfalls etliche interessante Events. Im Art Hotel Lauterbach etwa intonierte Martin Haberer anspruchsvolle Kabinettstückchen auf der Gitarre, und vorm Paneo interpretierte Sänger und Gitarrist Franco Jaqués mit sonorer Stimme unter die Haut gehenden Latin Fusion – angenehm im Klang und ein schöner Kontrast zum sich langsam verdüsternden Sommerhimmel. Auf der Open-Air-Bühne auf dem Stiftsplatz ging es fast zeitgleich in eine ganz andere Stilrichtung: Dort rappten im Rahmen eines Newcomer-Programms die Nachwuchs-Sänger Jonas Kreher und Patryk Opala schon mal ganz ordentlich – die beiden haben Talent. Später am Abend sollten am gleichen Ort die Jungs von 7ty Proof ordentlich das Areal rocken. Leider musste das Konzert des die ganze Lange Nacht beeinträchtigenden Regens wegen vorzeitig beendet werden. Etwas weiter weg im WebEnd spielte in diesen Minuten die Band 4 In Time mit Sängerin Georgia Böhmer. Sie beeindruckte mit sauber gestalteten Klassikern à la „How High The Moon“. Rock-Oldies (und noch manches andere) gab’s wenig später nun wieder stadteinwärts in der Smola-Musikschule, wo gerade zwei junge Sängerinnen den 1950er-Jahre-Hit „Why Do Fools Fall In Love“ frisch entstaubt präsentierten. Während weiter oben in der Steinstraße im Irish Pub leider keine Live-Darbietung stattfand (der irische Musiker Darren Byrne war leider verhindert), bot der Verein Jazzevau in der Scheune des Zink-Museums umso aktiver eine gern genutzte Möglichkeit zu einer zünftigen Jam-Session – Kultur also auch zum Mitmachen. Zurück in der Fruchthalle ging es vor allem vokal weiter. So spielten die Gospel Voices unter der Leitung des Musikers und Komponisten Marcel Busch etwa den Titel „Hell Durch Die Nacht“ aus Buschs Erfolgs-Musical „Jesus“, und Andy Dodt präsentierte erstmals seinen neuesten Chor „Fresh!“. Er klingt genau so, wie er heißt. Ein Glanzlicht auf der Hauptbühne setzte nicht zuletzt der umjubelte Chansonnier Tim Fischer. Weiter oben, im berstend vollen Roten Saal des Hauses, ging derweil die salsa-getränkte Latin-Post mit der Grupo Andaré ab. Und zu bereits ziemlich später Stunde zeigte Günther Fingerle gegenüber auf der Werkstattbühne des Pfalztheaters einen mitreißenden Ausschnitt aus seinem erfolgreichen Schlager-Programm „Ein Festival Der Liebe“ – da kamen Erinnerungen auf bei jedem, der die samstäglichen Hitparaden-Zeiten bewusst miterlebt hat... (kel) Selbst eine Mammutveranstaltung wie die Lange Nacht der Kultur kann nicht die ganze Vielfalt von regionalen künstlerischen Äußerungen abbilden. Doch die Klassikauswahl hatte größtenteils einen elitären – somit diskussionswürdigen – Charakter. Im Casino der Volksbank gab es am Freitag beim „Opening“ ein Wiedersehen mit der in Lautern aufgewachsenen Geigerin Barbara Lüneburg. Sie absolvierte Violinstudien in London, Moskau, Karlsruhe und Lübeck. Für ihren Soloabend stellte sie Meilen- und Prüfsteine der virtuosen Geigenliteratur vor, etwa die Solosonate von Ysaye und die Partita d-moll von Bach. Solche Werke wirken auch als Experimentierfeld für weiter entwickelte geigerische Finessen und spieltechnische Anforderungen. Die Geigerin wirkte souverän in der Beherrschung aller bogen- und grifftechnischen Möglichkeiten, setzte sie stilistisch und klanglich überlegt und werkgerecht ein. Dabei entstand minutiöse Präzision bis ins Detail. Die kammermusikalische Gattung des Streichquartetts bildet zwar seit der Klassik einen Schwerpunkt, dennoch sind in unserer Region mit überaus vielen Blasorchestern und Bigbands Streicher noch immer in der absoluten Minderheit. Die geringe Resonanz auf zwei Werke dieser Literatur (von Haydn und Brahms) im SWR-Studio schmälert allerdings nicht die engagierte Leistung von Musikern der DRP. Durch den beherzten Zugriff von Xiangzi Cao und Helmut Winkel (Violine), Benjamin Rivinius (Viola) und Mario Blaumer (Cello) gewann die Gattung eine entwaffnende Lebendigkeit. Sehr pastos und ungewöhnlich ruhig wurde Haydns langsamer Satz angegangen und Con Brio die schnellen, mit drängendem, straffen, rhythmischen Impuls. Das „Duo Songways – Lebensbogen“ wählte für den Liederabend im Zink-Museum Stücke von Flotow, Wagner („Wesendonck-Lieder“), die sich selbst Spezialisten erst bei mehrmaligem Hinhören erschließen. Dennoch überzeugte Mezzosopranistin Julia Oesch, die mit ihrer Fähigkeit des hochdifferenzierten Darstellens textlicher Stimmungsbilder und ihrer stimmlichen Reinkultur aufhorchen ließ. In Jens Barnieck fand sie einen sensiblen Begleiter, der ebenfalls feinste klangliche Schattierungen in den Dienst der poetischen Aussage stellte. Noch mehr überzeugten die Interpreten bei der Kurzoper von Patricio da Silva, nach einem Libretto von Irene Dische, in der Fruchthalle. Eine dem Duo gewidmete Kurzoper des zeitgenössischen, portugiesisch-amerikanischen Komponisten. Die Handlung thematisiert die Suche nach einem „zweiten Ich“. Eine gut situierte Ehefrau und Büroangestellte sehnt sich nach Ausbrüchen, flüchtet sich in Liebschaften, verliert aber in ihrem Doppelleben zunehmend die Übersicht. Für die zwischen opernhaften und jazzigen Elementen angesiedelte Musik war hier die Mezzosopranistin mit ihrer eindringlichen Gestaltung und Bühnenpräsenz eine Idealbesetzung. Das Tanzprojekt des Pfalztheaters auf der Werkstattbühne musste krankheitsbedingt kurzfristig völlig umgestellt werden. Ein Sonderlob für die programmatische Alternative: Ballettdirektor Stefano Giannetti ließ sich offenbar von der letzten Ballettgala inspirieren, legte mit modernem Tanztheater zu einem Medley des Bigbandleaders und Jazzgiganten Duke Ellington nach: Seine Compagnie verband tänzerische Ästhetik, akrobatische Artistik und stilisierte Ausdruckskunst in hohem Maß. Ebenso gab Giannetti Solisten seiner Truppe die Möglichkeit, eigene Choreographien vorzustellen: Anna-Manja Larcher zum Thema „Duo“ und der Musik Mascagnis und Salvatore Nicolosi in einer sensationellen Umdeutung des Märchenstoffs „Rotkäppchen“ zur Musik der Rockband „Agora“ mit interessanten psychologischen Charakterisierungen. Kreative Grenzverschiebung war auch das Thema mit Psalmvertonungen auf der Orgel der Apostelkirche und daneben aufbereitet mit den Klängen eines Synthesizers durch Albert Csiki. Beide stellten auf ihre Art den Gefühlsgehalt der Musik dar. (rhe) Auch die „Lautern liest“-Aktionstage wurden in das Mammutprogramm integriert: Der literarische Auftakt zur Langen Nacht der Kultur stand in diesem Jahr unter dem Motto „Wörter, Wissen, Welten“. Entsprechend glich das Spektrum der verschiedenen Leseproben einer Reise durch klangmalerische Wortgeflechte, eröffnete wissenswerte Einblicke in die deutsche Kriegsgeschichte, ließ die Sinne in exotische Welten abtauchen und sprachliche sowie kulturelle Grenzen überwinden. Von exotischen Welten, die dann doch seltsam vertraut wirkten, erzählten die lautpoetischen Texte und ausdrucksstarken Bilder von Ina Bartenschlager. Hier war die Rede von brasilianischen Einheimischen, die tiefsten Pfälzer Dialekt sprechen, Eisbein mit Sauerkraut als kulinarische Spezialität im tropischen Regenwald genießen und von wildwestlichen Saloons im östlichen Dubai. „Wortreisen durch nahe Wirtshäuser und ferne Länder“ nennt sich das Gesamtkonstrukt Bartenschlagers, das sie in Zusammenarbeit mit der Autorin Eva Paula Pick am Freitagabend im Lauterer Glockencafé präsentierte. Pick verfeinerte das literarische Reiseerlebnis mit einem spielerisch intonierten und durch Kunstworte geprägten Bittgebet im feinsten „Allah-Rabitisch“, das sie daraufhin ins „Gottische“ übersetzte. Anschließend romantisierte sie in dem Auszug „Liebe ist.“ aus ihrem Buch „Lapidosa“ die Erfahrungen im fremden Land. Fazit: Die Erde ist tatsächlich rund, der Westen fängt bereits im Osten an, und alles hängt vom eigenen Standpunkt ab. Einen kritischen zeithistorischen Standpunkt nimmt Pfarrer Michael Landgraf, Leiter des Religionspädagogischen Zentrums Neustadt, in seinem literarischen Werk „Felix zieht in den Krieg“ ein. Das Buch beleuchtet die Grundlagen und Voraussetzungen des Ersten Weltkriegs aus der Perspektive des 17-jährigen Felix, der über sein Heranwachsen im deutschen Kaiserreich und seine Kriegserfahrung reflektiert. Passenderweise fand die Lesung in der Kapelle der Apostelkirche am Vorabend der Ermordung des österreichischen Thronfolgerehepaars vor 100 Jahren statt, die als Initialzündung zum Weltkrieg gilt. In seinem Vortrag begründete Landgraf subtil die dem Buch immanente Kritik an der (anerzogenen) Mentalität im Kaiserreich. Das Zink-Museum lockte ebenfalls am Freitagabend mit weniger kritischen als spirituellen Texten von Dieter Fohr, der aus gesundheitlichen Gründen nicht persönlich bei der Lesung zugegen sein konnte, jedoch dank Videoaufzeichnung doch noch einige Worte an das Publikum richtete. Der Lauterer Buchhändler Morphy Burkhart lieh dem Autor seine Stimme und las einen Ausschnitt aus dem Roman „Und sie hatte nicht diesen Blick“. Die Geschichte, die sich zwischen spirituellen Drogenerfahrungen und Einblicken in die Naturreligiosität der schriftlosen Völker bewegt, fesselte durchgängig. Die regionale Band „Forty Eight“, bei der Dieter Fohr seinerzeit selbst als Sänger fungierte, lieferte dazu musikalische Auflockerungen aus Rock und Pop. Autobiographische Züge haben auch die Gedichte von Mila Haugová. Bei der „Langen poetischen Nacht“ am Samstag in der Buchhandlung Blaue Blume las die gebürtige Slowakin aus ihrem Buch „Schlaflied wilder Tiere“, in dem sie ihre Gedichte sowohl in der Heimatsprache als auch in der entsprechenden deutschen Übersetzung verfasste. Thematisch ging es um Kindheitserfahrungen, Liebe und persönliche Gedanken der Autorin. Als Repräsentantin der fremdsprachigen Schriftkultur überwand Haugová mit ihrer Lesung teilweise die üblichen Sprachbarrieren. Denn obwohl das Publikum die slowakischen Texte nicht verstand, so löste die Poetin durch ihre expressive Art des Lesens eine Grundstimmung aus, die jeder im Raum zumindest fühlen konnte. Ein wunderbarer Ausklang des literarischen Rundgangs. (kkv)