Ramstein-Miesenbach Ausstellung über den „heißen Herbst“ 1983

Demonstration gegen Aufrüstung und Militarismus am Rand des Ramsteiner Flugtags, vor 40 Jahren fotografiert von Thomas Brenner.
Demonstration gegen Aufrüstung und Militarismus am Rand des Ramsteiner Flugtags, vor 40 Jahren fotografiert von Thomas Brenner.

Es sind weder Barbarossa noch der FCK, nicht Nähmaschinen und erst recht nicht die Kluft zwischen durchdachter Gestaltung und „Neuer Stadtmitte“, die Kaiserslautern prägen. Ihren Hauch von Internationalität verdankt die flächenmäßig größte Stadt in Rheinland-Pfalz der „Kaiserslautern Military Community“. Die Schattenseiten dieses Nimbus zeigt die neue Ausstellung im Ramsteiner Docu Center. Der Titel: „1983. Kalter Krieg und heißer Herbst“.

1983 war ich 16 Jahre alt, Mopedfahrer und Oberschüler. Wir sahen den zu Jahresbeginn verstorbenen Louis de Funès im Kino, dazu „Flashdance“, „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ und „Gandhi“. Die Illustrierte „Stern“ blamierte sich mit ihren Hitler-Tagebüchern. Vom Kassettenrekorder dudelten Mike Oldfield, Pink Floyd und „The Wall“, Michael Jacksons „Thriller“, schließlich die „99 Luftballons“ von Nena. Derweil sang Udo Lindenberg auf einem „Friedenskonzert“ in Ost-Berlin. Wenige Wochen später billigte der westdeutsche Bundestag im Zuge des Nato-Doppelbeschlusses die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper. Tausende Gegner der Aufrüstung demonstrierten dagegen. Sie wurden von der Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas drangsaliert. Das war der „Heiße Herbst“ im Kalten Krieg.

In meiner damaligen Clique haben wir diese Vorgänge zunächst eher nebenbei wahrgenommen. Dann begriffen wir, dass da direkt vor unserer Nase etwas im Gang war, das alle, alle, alle anging und angehen musste. Damit sind wir mitten in der Ausstellung des Docu Centers. Der kontrovers debattierte Doppelbeschluss war 1979 von allen Nato-Staaten unterzeichnet worden. Er besagte, dass die Westmächte das Zweifache an Flugwaffen vorhalten sollten, sofern die Sowjets nicht binnen vier Jahren – also bis Herbst ’83 – ihre Raketen abbauen würden.

Nach dem Doppelbeschluss stand die Westpfalz auf

Das wurde in der Westpfalz, wo die US-Streitkräfte ihre zahlreichen Stützpunkte mit schwerem Kriegsgerät bestückt hatten, mit großer Besorgnis zur Kenntnis genommen. Hier befand sich das Auge des drohenden Sturms zwischen Ost und West. Friedensaktivisten, Intellektuelle, Kirchen, auch (Kommunal-) Politiker und viele Bürger fassten ihre Angst in Worte. Sie machten mobil. Noch ehe Hunderttausende Abrüstungsgegner im Bonner Hofgarten gegen den Nato-Doppelbeschluss demonstrierten, gingen die Pfälzer auf die Straße. Die aktuelle Schau in Ramstein ruft die friedliche Massenbewegung in Erinnerung.

Ein paar Stichworte: „Festival für Entmilitarisierung“ in Hütschenhausen. „Beten um den Frieden“ in Landstuhl. Sitzblockade vor dem Depot in Miesau. Aktionstag in Sembach. Autokorso durch Mehlingen. Podiumsdiskussion in Enkenbach-Alsenborn. Anti-Kriegs-Tag in Kaiserslautern. Die Akteure nannten sich „Künstler für den Frieden“, „Ärzte warnen vor dem Atomkrieg“, „Frauen-Friedensbewegung“. Eine Demo war ausgerechnet am berüchtigten Flugtag auf der Air Base Ramstein anberaumt. Menschenketten, friedliche Aufmärsche, „Sit-ins“. Ende August fand die berühmte Bitburger Blockade statt.

40 Jahre alte Friedensfahne

Plakate und Flugblätter, Zeitungsschnipsel und Fotos, Aufkleber und Anstecker vermitteln ein lebhaftes Bild von der Angst des Jahres 1983. Und von der Wirkmacht einer Bewegung, die tatsächlich Massen mobilisierte. Wo lassen sich heute noch derart große Menschenmengen durch wirklich bedeutsame Schreckens-Szenarien zum geordneten Protest zusammenrufen?

Die Bilddokumente stammen vom Lauterer Fotografen Thomas Brenner (Jahrgang 1961) und seiner 1935 geborenen Kollegin Erika Sulzer-Kleinemeier aus dem südpfälzischen Gleisweiler. Beiträger sind außerdem die Galionsfiguren der hiesigen Friedensbewegung: Fee Strieffler (70) und ihr nimmermüder Mann, der 86-jährige Wolfgang Jung, haben persönliche Aufzeichnungen und Erinnerungsstücke bereitgestellt, darunter eine Friedensfahne von der Hofgarten-Demo.

Mündigkeit und Courage

Die Biografien der damaligen Friedenskämpfer könnten eine Ahnung vermitteln, auf wie viel Widerstand, Unverständnis und Schikane die Ausübung der verbrieften Meinungs- und Versammlungsfreiheit stieß. Die politische und arbeitsrechtliche Resonanz, auch die Schmähungen vonseiten wirtschaftlicher Nutznießer der Militärpräsenz bleiben in der Ausstellung weitgehend unerwähnt. Dabei wäre auch dies ein Aspekt dieses Paradebeispiels für pfälzische Zivilcourage und staatsbürgerliche Mündigkeit.

Gleichwohl ist die Schau uneingeschränkt zu empfehlen. Nicht nur Volkskundlerinnen und Zeitgeschichtlern, sondern den jetzt oder später kandidierenden Kommunal-, Landes-, Bundes- und vor allem Friedenspolitikern. Natürlich auch Jugendlichen, die lernen wollen, was mündige Bürgerinnen in einer bewussten Demokratie tun dürfen und sollen.

Info

Ausstellung „1983. Kalter Krieg und heißer Herbst“ bis 18. August im Docu Center Ramstein.
Geöffnet dienstags bis sonntags von 14 bis 17 Uhr.
Infos unter Telefon 06371 838005 und auf der Internetseite www.dc-ramstein.de

Batik für den Hofgarten, gefertigt im Herbst ’83 von der Kaiserslauterer Friedensaktivistin Fee Strieffler.
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Massenkundgebung auf dem Lauterer Striftsplatz.
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„Beschluss aufheben“: Flugblatt aus dem heißen Herbst.
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Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper machten Angst.
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