Kaiserslautern Aufforderung zur Gegenspionage

Es ist ein Aufruf, die Beobachter zu beobachten. Eine Art von Gegenspionage. Der Frankfurter Kunstverein hat aus Anlass einer Ausstellung des Kunst-Aktivisten Trevor Paglen einen ganz speziellen Fotowettbewerb ausgeschrieben. Einziges Motiv des „Eagle-Eye Photo Contests“ sind US-amerikanische und deutsche Geheimdienst-Überwachungsanlagen. Sehr wahrscheinlich gibt es die auch in der Pfalz.

Trevor Paglen ist so etwas wie der Edward Snowdon der Kunst, ein heldischer Geheimnisverräter. Allerdings, er darf das, Interna offenlegen. Fotografieren, was unsichtbar bleiben soll. Er ist Privatmann. Ein Aufklärer, dessen Fotos meist unscharf aussehen. Sie sind aus großer Entfernung aufgenommen, bis zu 80 Kilometer weit weg, mit zur Himmelsbeobachtung tauglichen Teleobjektiven. Fotos, die den abstrakt verwirbelten Bildern von William Turner gleichen. Oder den verwischten Gemälden, für die Gerhard Richter weltberühmt ist. Befestigte Anlagen im Dämmerlicht zeigen Paglens geheimnisvolle Bilder geheimnisvoller Orte. Lager in karger Landschaft. Bunker, Panzer. Einsame Flughäfen, Passagiere, die in ein weiß-rotes Flugzeug steigen. Ein Shuttle für Geheimnisträger, wie Trevor Paglen enthüllt. Seit über einem Jahrzehnt fotografiert der 40-Jährige, der ab dem 20. Juni im Frankfurter Kunstverein ausstellt, Standorte des US-amerikanischen Auslandsgeheimdienstes NSA und der CIA. Meist im Alleingang. Im Vorfeld der Schau hat er jetzt zusammen mit ihrem Veranstalter einen Wettbewerb ausgeschrieben, der seine Methode kollektiviert. Der „Eagle-Eye Photo Contest“ ist eine Aufforderung, Paglens Vorbild zu folgen. Es geht darum, Geheimniskrämerei zu entlarven, betrieben von US-Institutionen in Germany. Es ist das Prinzip Leserreporter im Kunstkontext. Ein Aufruf an alle. Die besten Arbeiten werden zusammen mit den Werken des Künstlers ausgestellt. Paglen selbst recherchiert für seine Arbeiten sehr intensiv, bevor er loszieht. Nicht immer entsteht dabei Kunst. 2006 zum Beispiel veröffentlichte er mit dem investigativen Reporter Adam Clay Thompson das Buch „Torture Taxi“, das nachzeichnet, wie die CIA weltweit Terrorverdächtige entführt. Mit seinen Bildern dagegen füllt der studierte Geograf und Künstler seit langem die weißen Stellen auf den Landkarten – mit Ansichten des sonst Unsichtbaren. Kunst als Kartografie der Verschwiegenheit. Seine Fotos zeigen militärisch genutztes Niemandsland, Landstriche wie die „National Radio Quiet Zone“ in den Wäldern von Virginia, ein riesiges Funkloch, in dem keiner ein Netz haben darf. Auch kein Radio. Keine Fernbedienung, nichts, was sendet oder empfängt. Die Ruhigstellung ist Sache der Polizei. Die NSA soll ungestört arbeiten können. Trevor Paglens Foto der Spionageanlage dort, 2010 entstanden, ist inzwischen eine Ikone der zeitgenössischen Kunst. Anfangs war er, na ja, ein Geheimtipp, die Bedeutung, dessen, was er tat, bliebt letztlich unverstanden. Jetzt gilt er als einer der wichtigsten Vertreter des Landschaftsbildes einer Gegenwart, die geprägt ist von Big Data, wie das Sammeln und Vernetzen von Überwachungsdaten zum Zweck der Überwachung genannt wird. Die USA ist darin führend. Gleichzeitig schränkt die Supermacht ihre Bürger nicht ein, wenn sie selbst für Transparenz sorgen so wie Trevor Paglen. Ein Paradox, das Leute wie er sportlich nehmen. Mit Deutschland verbindet ihn, dass er hier gelebt hat. Sein Vater war Augenarzt bei der Armee. Paglen ist auf einer Air Base in Maryland geboren und auf anderen Air Bases aufgewachsen. Als Jugendlicher war er so auch für fünf Jahre in Wiesbaden. Ein Skateboarder damals, Punkhörer und -musiker. Er spricht ein wenig Deutsch. Kann auch sein, dass sein „Eagle-Eye Photo Contest“ Aufnahmen aus der Heimat einer seiner Lieblingsbands von damals zutage fördert, den Spermbirds aus Kaiserslautern. Bei dem Wettbewerb – der Künstler sitzt in der Jury – geht es darum, „Landschaften der Überwachung im heutigen Deutschland zu erkunden und fotografisch festzuhalten“. Gemeint sind Basisstationen der amerikanischen NSA und des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND), bis hin zur geheimen Spionage-Ausrüstung in US-Botschaften und Konsulaten. Im Anhang der Ausschreibung sind dazu einige Adresse und genaue Geodaten angegeben, als Orientierungshilfe. Dabei sind einige davon nicht so schwer zu finden. Die amerikanische Botschaft in Berlin, von der aus Angela Merkels Handy abgehört worden ist, steht unweit des Brandenburger Tors. Von der Egelsbach Transmitter Facility in Mörfelden-Walldorf aus ragen gigantische Antennen in den Himmel. Dagegen tarnt sich die Storage Station in Mainz-Kastel, die bis 2022 in eine Mall in Hainerberg umziehen wird – das liegt ebenfalls in Wiesbaden – mit Unauffälligkeit. Sie geht ganz in einer allgemeinen Geschäftigkeit dort unter. Untergebracht ist dort allerdings die 485 Intelligence Squadron, eine Staffel der US-Army, die über eine Signals-Intelligence-Überwachungsausrüstung (SIGINT) verfügt. Dieselbe Staffel, 485 IS, ist auch im pfälzischen Sembach stationiert, zumindest nach den Angaben auf Andy Müller-Maguhns „Bugged Planet“-Wiki, auf das der Frankfurter Kunstverein in seiner Wettbewerbsausschreibung verweist. Hunderte von Einträgen zu Orten und Überwachungsgeräten sind dort verzeichnet. Bei Sembach ist ein „Yes“ in der Rubrik eingetragen, die verzeichnet, ob die Staffel aktiv ist in Überwachungszusammenhängen, also ja. Ein anderer Pfälzer Standort hat in dem Feld dagegen ein Fragezeichen. Der Militärstandort Vogelweh, Kaiserslautern. Auf alle Fälle ein geheimnisvolles Motiv.

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