Kaiserslautern Arbeit, Mittagessen, Rollstuhlhockey

Täglich ab 8 Uhr herrscht geschäftiges Treiben in den Westpfalz-Werkstätten in den Sauerwiesen in Siegelbach. Christopher Koch, der den „Marktplatz Kaiserslautern“ auf einen Rundgang mitnimmt, beginnt hier um diese Zeit seinen Arbeitstag, der nachmittags um 15.40 Uhr endet. Der 25-Jährige ist seit Geburt durch „Spina bifida“ (umgangssprachlich „offener Rücken“) beeinträchtigt und sitzt im Rollstuhl. Er wohnt in der Innenstadt Kaiserslauterns bei seinem Vater und nutzt den Fahrdienst der Werkstätten, um den Verkehrsweg von zu Hause zur Arbeit zu bewältigen. Seine Kollegen kommen auch mit dem öffentlichen Nahverkehr. „Ich bin froh, hier arbeiten zu können“, sagt er. „Mein Vater hat irgendwann zu mir gesagt: ,Du musst etwas zu tun haben und kannst nicht die ganze Zeit nur zu Hause verbringen.‘“ Bettina Rivera, die stellvertretende Werkstattleiterin, sieht in dieser Teilhabe am Arbeitsleben den übergeordneten Sinn der Werkstätten. „Das gemeinsame Arbeiten erfüllt neben der qualitäts- und fristgerechten Auftragserfüllung gegenüber den Lieferanten auch das Ziel, eine sinnvolle Tagesgestaltung zu bekommen, sich weiterzuentwickeln, soziale Kontakte zu haben oder zu entwickeln.“ Christopher Koch ist nach einer individuellen beruflichen Bildung in der Betriebsstätte Siegelbach nun im Arbeitsbereich tätig. Er ist mit der Endfertigung von Luftfiltern eines Autozulieferers beschäftigt und montiert händisch, mit gewissenhafter Präzision, Klebestreifen an die dafür vorgesehenen Kanten. In einem anderen Werkraum werden in einer Arbeitsgruppe Schraubenteile und Griffe für die Möbelindustrie verpackt. Ob die richtige Anzahl in der Packung liegt, wird mit Hilfe einer Waage kontrolliert. Leuchtet ein rotes Licht auf, heißt das: Da stimmt die Zusammenstellung nicht. Bei Grün hingegen hat die Packung die Endkontrolle erfolgreich durchlaufen. In der Schreinerei werden gerade Paletten für Spezialverpackungen auf Maß gefertigt. In anderen Abteilungen werden Elektrobauteile, die zum Recycling gehen, demontiert und die Wäscherei bringt angelieferte Schmutzwäsche auf Vordermann. „Auch Privathaushalte können ihre Oberbekleidung bei uns waschen oder bügeln und mangeln lassen“, bemerkt Bettina Rivera. Die Betriebsstätte ist auf industrielle Fertigung eingestellt, hat Maschinenparks dafür. Dabei liegt der Fertigungsschwerpunkt auf längerfristig angelegten, ähnlich ablaufenden Tätigkeiten, auf die die beeinträchtigten Mitarbeiter geschult werden. Die Arbeiten sind dabei grundsätzlich praxisorientiert ausgerichtet. Dabei können Kunden aus der Industrie auch durchaus komplexere Arbeiten in Auftrag geben. Dann liegt es in der Hand der Fachkräfte und des technischen Dienstes, die einzelnen Arbeitsschritte entsprechend so zu gestalten, dass alle Beschäftigten mitarbeiten könnten. „Da sind Einfallsreichtum und Kreativität gefragt, denn zugesagte Termine und Stückzahlen werden eingehalten“, unterstreicht Bettina Rivera. Um den Arbeitsschutz kümmern sich alle gemeinsam, die entsprechenden Gremien setzen sich aus Mitarbeitern und Beschäftigten zusammen. In der EDV-Dienstleistungsgruppe stellt Christopher Koch seinen Kollegen Andreas Kaiser vor. Seine Arbeitsgruppe ist verantwortlich für Werbeversand und Mailings. Außerdem ist Andreas Kaiser Vertreter des Werkstattrates in Siegelbach, der alle vier Jahre gewählt und von einer Vertrauensperson begleitet wird. Die Abläufe sind gut organisiert. Hier wird Einkommen mit den Aufträgen erwirtschaftet, das nach festgelegtem Verteilerschlüssel an die Beschäftigten weitergegeben wird und sich in Höhe eines Taschengeldes bewegt. Alle sind sozialversichert und führen somit ein weitgehend selbstbestimmtes Leben, soweit das die persönliche Situation durch die Einschränkung eben zulässt. Dennoch ist der Arbeitsplatz kein Industriebetrieb im herkömmlichen Sinn, sondern ein Lebensraum. Das zeigt sich unter anderem im Angebot an Sport und Therapie: Tischtennis, Fußball, Stuhlgymnastik, Tanz, Massage und Entspannungstherapien werden in den regulären Arbeitstag integriert. Es gibt Kurse wie Lesen, Schreiben, Rechnen. Auch ein PC-Führerschein kann erworben oder ein Staplerfahrer-Kurs absolviert werden. Hinzu kommt die Unterstützung bei Essen und Hygiene. Grundsätzlich steht am Anfang jeder Beschäftigung der Berufsbildungsbereich. Hier lernen die Neuen den Betrieb kennen und lernen etwas über sich selbst, ihre Selbsteinschätzung, Pünktlichkeit, den Umgang mit Geld und das richtige Verhalten im Verkehr. „Es ist unsere Aufgabe, die Weiterentwicklung der Menschen individuell zu betreuen“, sagt Bettina Rivera. „Im Vordergrund steht immer der Mensch in seiner Individualität – ihn zu fördern, aber niemals zu überfordern.“ Diese individuelle Förderung, die durch einen Förder- und Teilhabeplan festgelegt und dokumentiert wird, ermöglicht die Entwicklung einiger Betriebszugehöriger gar so weit, dass diese sich für den ersten Arbeitsmarkt qualifizieren können. Der soziale Lebensraum Werkstatt mit all der arbeitsübergreifenden, fördernden Betreuung und das erfolgreiche Arbeiten innerhalb des Betriebes bedingen sich gegenseitig. Das zeigt sich auch in der 1994 erbauten und im Jahr 1997 preisgekrönten Architektur der Siegelbacher Werkstatt. „Die Industriebauweise unterstreicht den Arbeitsort. Eine räumliche Trennung der Arbeits- und Therapiebereiche macht den Unterschied zwischen Arbeit und Ausgleich deutlich. Die Anordnung der Bürobereiche mitten im Gebäude machen die Wege kurz – wenn etwas aus der Produktion zu regeln ist, findet man schnell den Ansprechpartner“, erklärt Rivera. Aus diesem Zusammenspiel zwischen Hilfsangebot und Werkstatt profitieren sowohl die betriebszugehörigen Menschen mit Einschränkungen als auch die auftraggebenden Kunden. Auf hohe Qualität und gute Zusammenarbeit wird Wert gelegt. Was hinzu kommt: Betriebe mit über 20 Arbeitsplätzen müssen, sollten nicht mindestens fünf Prozent der Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt sein, eine sogenannte Schwerbehindertenausgleichsabgabe zahlen. Ist eine Behinderten-Werkstatt allerdings Zulieferbetrieb, kann dies verrechnet werden. Ein Werkstattplatz wird über die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen finanziert. Anerkannte Werkstätten müssen konkrete, gesetzliche Voraussetzungen erfüllen. Zur Mittagszeit gibt es in der Siegelbacher Einrichtung eineinhalb Stunden Pause. Die hauseigene Kantine füllt sich mit Leben. Christopher Koch geht nach der Betriebsführung auch in seine verdiente Pause. Danach kehrt er wieder zurück an seinen Arbeitsplatz. Bis 15.40 Uhr muss noch etwas getan werden, dann geht der durchstrukturierte Arbeitstag zu Ende. Ach ja, das sportliche Angebot nutzt Christopher Koch natürlich auch. Seine Leidenschaft ist das Rollstuhlhockey.

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