Kreis Kaiserslautern Wochenendkolumne: Klopapier – wenn Vernunft nach hinten los geht

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Sicher kennen Sie das! Uns packt ein allzu menschliches Bedürfnis, es pressiert ganz arg, man flitzt aufs stille Örtchen. Doch auf die selige Erleichterung folgt der große Schock: Sch…, das Klopapier ist alle. Eine banale Panne des Alltags? Mitnichten. Dieses Erlebnis elementarer Hilflosigkeit muss ein tief sitzendes Trauma der Deutschen sein, denn wie ist es sonst zu erklären, dass uns in Zeiten der Corona-Pandemie offenbar vor allem die Panik erfasst, ohne Klopapier auf dem Lokus zu sitzen.

Quatsch, sowas treibt nur ein paar zur Hysterie neigende arme Geister um, werden Sie vielleicht sagen. Und mit dieser abgeklärten Haltung sind Sie nicht allen. Der Blick in soziale Netzwerke offenbart zahllose mehr oder weniger kreative Posts, die sich genau über die Toilettenpapier-Manie der Menschen lustig machen. Doch eine Frage bleibt offen: Wenn alle so furchtbar vernünftig sind, wo zur Hölle ist dann das ganze Klopapier? Wer bunkert all die Rollen im Keller? Ein paar hasenfüßige Simpel allein können Millionen von Rollen nicht aufgekauft haben. Doch es outet sich – niemand. Ich zumindest kenne nach ungezählten Gesprächen über dieses leidige Thema nicht einen einzigen, der sich zu dieser offenbar doch grassierenden Urangst bekannt hat. Sie etwa? Mein Eindruck ist: Alle machen im Gespräch mit Dritten einen auf cool – und grinsen sich hintenrum eins, weil sie ihre Schäfchen, sprich Rollen, längst klammheimlich ins Trockene gebracht haben.

Als die Vorräte zu schrumpfen begannen

Mit mir hat diese Scheinheiligkeit inzwischen was gemacht. Ich habe das Vertrauen in die Menschheit verloren. Denn ich bekenne, ich war naiv und wollte – das ist die Wahrheit! – trotz Coronakrise vernünftig sein und auf irrationale Hamsterkäufe jedweder Art verzichten… Mit sechs Rollen in der angebrochenen Packung wägte ich mich eine ganze Zeit lang in Sicherheit und überließ den Ramschern lässig lächelnd und auch ein bisschen überheblich das Feld. Doch der Lauf der Zeit – Sie ahnen es – ließ meine Vorräte allmählich schrumpfen. Und irgendwann hielt auch ich es für geboten, langsam für Nachschub zu sorgen.

Die Endivie muss warten

Nachdem ein erster Versuch in einem Discounter erfolglos blieb, fuhr ich zu einem teureren Laden, in dem ich gemeinhin Fleisch und Grünzeug zu kaufen pflege. Ganz entspannt und guter Dinge hielt ich mich beim Salat auf, als zwei Frauen nebenan plötzlich begannen, die Problematik zu erörtern: „Ich war schon dort und dort – nirgends gibt’s Klopapier!“ Das ließ mich aufhorchen. Leicht alarmiert, stellte ich die Entscheidung, Endivie oder Kopfsalat, hintan, und steuerte die Hygieneabteilung an. Leer! Gähnend leer!

Na ja, du hast ja noch Reserven, beruhigte ich mich, nicht ohne mich an der Kasse – freilich nur rein interessehalber und beiläufig – nach der nächsten Lieferung des offenbar so gefragten Guts zu erkundigen.

Doch kaum zuhause, hatte ich den wichtigen Termin auch schon wieder vergessen und tags darauf leichtfertig das Eintreffen der Klopapierrollen in dem Laden natürlich verpasst, weil ich daheim getrödelt hatte. Noch war mein Bewusstsein nicht ausreichend geschärft. Noch verließ ich mich auf meine Reserven, noch war ich nicht wirklich beunruhigt. Doch wann zuvor in meinen 50 Lenzen hatte ich je die Anzahl meiner mir verbliebenen Klopapierrollen so genau im Kopf?

Klopapier – die neue Schwarzmarktwährung?

Ja, und es wurde sukzessive schlimmer: Den Spruch der Nachbarin – „Nach dem Krieg waren’s Zigaretten, jetzt ist es Klopapier“ – quittierte ich nur noch mit gezwungenem Lachen. Innerlich war mir nicht mehr humorig zumute und ich begann ernsthaft, meine frühere Anti-Hamsterer-Vernunft zu verfluchen. Denn die Anzahl der Rollen im Keller war erneut geschrumpft.

Um es abzukürzen: Auch die folgenden Tage waren eine immerwährende Wiederholung der immer gleichen frustrierenden Erfahrung. Egal wo und wann ich in die vielen Läden, die ich trotz Virus ansteuerte, auch eilte, das Klopapier war schon alle. Das begehrte Gut stand mittlerweile auf Nummer eins meiner Einkaufsliste. Erfolgreicher wurde ich dadurch auch nicht. Inzwischen begann ich auf dem stillen Örtchen schon, die einzelnen Blätter des noch vorhandenen, ach so weichen und griffigen Vlieses vorsichtig abzurollen, es streng faltend zu rationieren und ihm schließlich wehmütig auf seinem Weg in die Unterwelt hinterher zu blicken. Wieder ein paar Blätter Sicherheit auf immer dahin…

Um eins klar zustellen: Früher hatte ich ein ganz entspanntes, ja schon laxes Verhältnis zum Klopapier, schenkte ihm kaum je Beachtung. Beim Kauf interessierten mich höchstens beiläufig die Zahl der Lagen und die Umweltverträglichkeit. Wie schnell sich doch die Einstellung ändert, wenn Angebot und Nachfrage plötzlich exorbitant auseinander klaffen!

Über Tempos stolz wie ein Spanier

Inzwischen war ich schon ein Stück weit demütig, weniger anspruchsvoll. Und ich hatte bereits allerlei Ersatzprodukte im Blick: Klinex, Kosmetiktücher, ja sogar kanalverstopfendes Küchenpapier… Ich würde es kaufen. Wenn es denn welches gäbe. Am Tag fünf meiner Jagd gelang es mir im dritten Geschäft immerhin die allerletzte Packung Tempos zu ergattern, die im ansonsten gähnend leeren Papierregal offenbar just auf mich gewartet hat. Stolz wie ein Spanier trug ich die Beute unterm Arm zum Auto – wissend um die gierigen Blicke all jener, die völlig leer ausgegangen waren. Hernach ging’s mir besser, ich konnte kurz durchschnaufen. Wenigstens hab ich jetzt Tempos, dachte ich. Aber das Grundproblem war noch nicht gelöst, Klopapier musste her.

Der Tag der Entscheidungsschlacht

Dazu – das hatte ich längst begriffen – bedarf es einer generalstabsmäßigen Planung, einer gescheiten Strategie und einer gehörigen Portion Kampfeslust: Ausschlafen war gestern, der frühe Vogel fängt den Wurm. So wuchtete ich mich am freien Samstag in aller Herrgottsfrühe aus den Federn, vertrödelte keine Zeit mit Frühstück, sondern stürzte mich direkt in die Schlacht. Und als ich mich per pedes dem Supermarkt näherte und mir schon draußen überall Menschen mit Klopapier entgegen kamen, wusste ich: Heute kann’s gelingen. Jetzt liegt es an mir!

Und so hielt ich mich nicht auf mit Salat, Gemüse und anderem Trödel, sondern kurvte sogleich sportlich-ambitioniert mit heruntergelassenem Visier zum Hygieneregal. Gerade noch rechtzeitig. Denn dort war trotz der frühen Stunde schon mächtig Betrieb. Und die Luft kochte. Gute Kinderstube adé, Ellenbogen raus, lautete nun das Motto. In der Krise kann man nicht zimperlich sein: Also rammte ich meinen Wagen wie ein Bollwerk vor die fast leeren Euro-Paletten. Und darauf lag – in kleiner Zahl – das Objekt meiner Begierde, weich, flauschig, duftig, in zartrosé und lindgrün – ein so seltener, so wundervoller Anblick. Freilich gab es pro Kunde nur eine Packung, aber wertvolle Dinge sind halt rationiert. Das sehe ich inzwischen ein. Liebevoll bettete ich die ergatterte Packung in meinen Wagen, stellte zur Tarnung und Untermauerung meines Besitzanspruchs gleich grimmig meinen Korb darauf und packte schnell Salat und anderen Kram ringsherum, dass nur ja kein Zipfel rauslinste und Begehrlichkeiten böser, klopapierloser Typen weckte, die mich auf dem Weg zur Kasse noch hinterrücks meines Schatzes hätten berauben können. Und es ist mir gelungen. Tief erleichtert, voll Glück und Stolz verließ ich den Laden.

Freilich, das Virus ist zwar noch da. Aber ich hab wieder Klopapier. Ganze zwölf gräulich-dezente, aber dennoch hübsch anzuschauende Recyclingrollen. Alles wird gut.

Mit diesem nicht ganz ernst gemeinten, aber authentischen Erlebnisbericht verabschiede ich mich in ein entspanntes Wochenende und wünsche Ihnen allen dasselbe. Bleiben Sie heiter, bleiben Sie gesund! Und seien Sie nicht überheblich wie ich, wenn es um Klopapier geht.

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