Kaiserslautern Vom Balkan auf den Balkon

Zwei Herzen im Dreivierteltakt: Esther Mertel (Sopran) und Geigerin Maraia Suwelack.
Zwei Herzen im Dreivierteltakt: Esther Mertel (Sopran) und Geigerin Maraia Suwelack.

„Ich bin auf der Welt, um glücklich zu sein“ – der legendäre Erfolgstitel des Komponisten Theo Mackeben avancierte am Samstag beim Open-Air-Konzert der Oratorien- und Opernsängerin Esther Mertel (Sopran) zum Motto ihrer kurzweiligen Präsentation ihres „Glückskinder-Ensembles“. Was sich bei einer Revue mit Charakter von Varieté und Showbusiness im Innenhof des Theodor-Zink-Museums bei Chansons, Operettenmelodien, Tonfilm-Schlagern und Zigeunerweisen sowie Tangomelodien etwas hochtrabend anhörte, traf das Lebensgefühl der ausgewählten Zeitspanne.

Die Zeit der 1920er- bis in die 1940er-Jahre waren „infiziert“ von ersten jazzigen Einflüssen, leichtlebigen Textinhalten und durchpulst von diversen Tanzrhythmen wie Foxtrott und Tango, die ebenfalls über den großen „Teich“ schwappten. „Modern Entertainment“ erfasste auch den Wiener Salon und die Goldenen Jahre der Berliner Alltagsschlager. Großartig war letztendlich, wie sich Esther Mertel bei ihrer nostalgischen Reise durch Musikstile, Genres, Kulturmetropolen und Idiome stimmlich, interpretatorisch und darstellerisch (szenisch, choreographisch sowie gestisch und misch) gekonnt, souverän und stilsicher bewegte. Dabei absolvierte sie nahtlos in fließenden Übergängen ein Mammutprogramm von mehr als 20 Titeln souverän. Es waren größtenteils Evergreens, also Ohrwürmer oder Gassenhauer ihrer Zeit. Sie repräsentierten den damaligen Geist in trivial-banalen Textpassagen ebenso wie im beliebten ungarischen Kolorit. „Vom Balkon zum Balkan“ hätte das Motto auch lauten können: Esther Mertel hielt es nämlich nicht lange auf der Bühne, sie sang vom Publikum aus und entdeckte sogar den Balkon des Zink-Museums als neue Plattform. So beim „Lied der Nachtigall“ mit sehr schönen Koloraturen und Verzierungen: Franz Grothe hatte mit solchen Charakterstücken, Walzermelodien und dem Mitternachtsblues die verschiedensten Strömungen seiner Zeit erfasst, adaptiert und in seinen Titeln einen eigenen Stil gefunden. Überrascht war man auch, dass sich selbst der im Genre der Wiener Operette und des Heimatliedes profilierende Komponist Robert Stolz bei einem Klangbeispiel einer schmissigen, tänzerisch beschwingten Vortragsweise bediente: „Im Casino, da steht ein Pianino“ erinnerte im Tonfall einerseits an klassisches Scherzo, zeigte aber auch tänzerische Impulse durch die aufkommenden Gesellschaftstänze. In jedem Sujet, Genre und Stil traf Mertel mit ihren feinsinnigen, einfühlsamen Vorträgen in betörender stimmlicher Ästhetik, Reinheit und Ausgewogenheit (in allen Registern) den Nerv der musikalischen Aussage. Sie gestaltete dabei nicht in aufgesetzter opernhafter Drastik und virtuoser Selbstdarstellung, sondern stellte die Vorzüge ihrer hier mädchenhaft anmutig und dezent erklingenden Stimme in den Dienst der wechselnden Textinhalte. Dabei gab sie in Tanzfolgen beim Tango auch eine gute Figur ab und zeigte auch eine deutliche Affinität zu den Operettenklängen im ungarischen Kolorit. Bei Ausschnitten von Franz Lehar etwa zeigte sie ihre stimmliche Wandlungsfähigkeit von lyrischen Kantilenen bis zu resoluten Aufschwüngen. Darstellerisch gab sie sich dazu passend zwischen charmant und larmoyant, je nach Handlungssituation oder Textstelle, zwischen Prüderie und Koketterie alternierend. Kurz: Sie zog auch in der Darstellung der Inhalte alle Register ihrer Vielseitigkeit. Beflügelt wurde Mertel bei diesem außerordentlichen Konzert von dem Pianisten Jesse Wong, der wie Mertel an der Deutschen Oper in Düsseldorf engagiert ist. Der aus Washington stammende, am Rhein als Korrepetitor und Kapellmeister arbeitende, begnadete Pianist bewältigte den Spagat zwischen den Gattungen und Stilen mühelos und überzeugend. Lediglich bei Astor Piazzollas Libertango war man interpretatorisch nicht aufs Beste beraten: Dem Stück liegt ein pulsierender Viertel-Rhythmus zugrunde, eine solch brillante Spielart im Alla Breve-Feeling verwischt diesen. Ansonsten gab er der Sopranistin und bei einigen Charakterstücken wie Sarasates „Romanza Andaluza“ auch der Geigerin Maria Suwelack aus Köln mit seinem Spiel die nötige Stütze und wirkte in Anschlag und Gestaltung sehr flexibel und einfühlsam. Wie die Sopranistin strahlte auch Suwelack bei ihren virtuosen Umspielungen der Gesangsstimme und ihren solistischen Vorträgen eine Ruhe, Abgeklärtheit und absolute Sicherheit aus. Dennoch bewahrte sie sich nach dem sensiblen Einhören bei der Melodiebegleitung, aber auch bei den Werken „all ungarese“ den feurigen, packenden gestalterischen Zugriff; und der wirkte unbedingt mitreißend und bisweilen sogar elektrisierend: So bei der feurigen Juliska aus Budapest von Fred Raymond.

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