Kaiserslautern Vollstimmige Wucht und leuchtende Klanggespinste

Atemberaubend! Im Programm „Via Baltica“ präsentierte der Landesjugendchor Rheinland-Pfalz unter Kaspars Adamsons am Sonntag im SWR-Studio Werke zeitgenössischer lettischer Komponisten, aber auch solcher ihrer estnischen und litauischen Kollegen, darunter international bekannte Persönlichkeiten wie Arvo Pärt, Peteris Vasks, Velio Tormis, Vytautas Miskinis und Eriks Esenvalds. Ein grandioses Konzert.

Dass die baltische Chormusik weltweit mittlerweile einen hervorragenden Ruf genießt, bewies der Landesjugendchor (LJC) eindrücklich. Die Chorbeiträge vereinigten kräftige Bilder, die in entsprechende lautmalerische Strukturen mündeten und die herbe Expression einer wunderschönen Landschaft vermittelten. Den Hörer umfing rasch eine vollstimmige Wucht und eine luzide Sinnlichkeit des Klanges, dessen spirituelle Kraft ganz enorm war. Bereits die vielfältige vokale Basis mit Sprechchor, raunenden Clustern und flirrenden Glissandi umging jene strukturelle Ausgedörrtheit, die bei traditionellen Werken droht. Die Interpretationen des LJC boten dabei einen außergewöhnlich hohen Standard und waren von hoher Insistenz und Ausdrucksbreite. Der Chorklang war von betörender Reinheit und Geschlossenheit, die dynamische Bandbreite war beeindruckend, technisch wurde makellos gesungen, und die musikalischen Charaktere wurden mit nuanciertem Raffinement gespiegelt. Der junge lettische Dirigent Adamsons vermittelte dabei das richtige Gespür für die Eigenarten der Werke. Das zeigte sich bereits in „Madrigals“ von Peteris Vasks (geboren 1948 in Lettland), dessen expressive Sprache der Chor klangvoll wiedergab. Wie rasch nacheinander läutende Glocken klangen die engelreinen Stimmen, die sich von den eher aggressiven Männerstimmen abhoben. Der Gesang kam aus der Stille und ging wieder in die Stille zurück. Arvo Pärts (1935, Estland) „The Deer’s Cry“ transportierte das rund 40-köpfige Ensemble mit ungeheurer Konzentration und Binnenspannung zum Hörer. Mit wuchtiger Dynamik imitierte der Chor in „Kalejs kala debesis “ von Selge Mence (1953, Lettland) den Donnergott im Himmel, wie er mit seinem Schmiedehammer den Ambos traktiert. Zungenakrobatisch sangen die Männer, während die Sopranstimmen höchste Höhe erklommen. Eine Vokalise des Windes stellte „Veja vokalize“ von Evija Skulke (1992, Lettland) dar. Im Pianissimo bliesen die Sänger in Papierrollen, knüllten das Papier zusammen, dass es nur so knisterte. Das Geräusch des Windes verstärkte sich durch lauteres Ausatmen und Zirpen. Schließlich vermengten sich alle Stimmen zu einem wirren Durcheinander. Abrupte Stille. Zischen, leises Ausatmen, das langsam erstirbt. Alles war faszinierender Klang in Peteris Butans` (1942, Lettland) „Im Anfang war das Wort“ aus dem Johannes-Evangelium, das der Chor auf Russisch sang. Herrliche Kantilenen wuchsen aus dem Pianissimo heraus zu gewaltiger Dynamik an, wobei die Sopranstimmen die höchsten Stimmen makellos erklommen. Wohlklang pur war das. Besonders raffiniert war auch das „Pater Noster“ von Vytautas Miskinis (1954, Litauen) gesetzt. Zum mehrstimmig polyphonen Gesang des Chors intonierte ein kleiner Sonderchor ein stetiges, ungleichzeitiges Fortschreiten des „Pater Noster“ als rhythmischen Kontrapunkt. Fast unhörbar hauchten die Sänger das abschließende Amen. Ähnliche Kontraste als Kontrapunkt demonstrierte der Chor auch in „Benedictio“ von Urmas Sisask (1960, Estland). Während die Bässe das „Benedictio“ ständig wiederholten, explodierten die Frauenstimmen förmlich in einem berauschenden Fortissimo. In einigen Werken konnten sich aber auch Sänger solistisch profilieren. Unter die Haut ging das Wiegenlied „Only in Sleep“ von Eriks Esenvalds (1977, Lettland), das Michelle Nicklis mit wunderschönem Sopran intonierte. Mit Lautmalerei und wildem Sprechgesang begeisterten Julian Mörth und Lars Riedel in „Raua needmine“ von Veljo Tormis (1930 bis 2017, Estland). In dem Wiegenlied „Es gulu, gulu“ von Arjis Skepasts (1961, Lettland) verstand es Joelle Jahraus Flexibilität mit blühendem Ton zu verbinden. Und in „Atsalums“ von Jekabs Jancevskis (1992, Lettland) wusste Eva Aderjan mit bewusstem Portamento die Kälte im zwischenmenschlichem als auch im realen Sinne in Töne umzusetzen. Begeisterter Applaus.

x