Kaiserslautern Provokationen und Bekenntnisse

Impulse zu Beginn: Lisa Helfrich und Carolin Linsinger vom ASG, daneben die Diskussionsrunde mit Kulturjournalist Theo Scheider,
Impulse zu Beginn: Lisa Helfrich und Carolin Linsinger vom ASG, daneben die Diskussionsrunde mit Kulturjournalist Theo Scheider, Theaterwissenschaftler Friedemann Kreuder, Moderator und RHEINPFALZ-Kulturredakteur Fabian Lovisa, dem Bühnenvereinsvorsitzenden und stellvertretenden Intendanten Bernd Fülle sowie dem Dessauer Theaterfördervereinschef Oliver Thust.

„Gehört das Theater in die Mottenkiste“: Ausgerechnet zum 25. Theater-Jubiläumstalk hatten sich die Freunde des Pfalztheaters ein gewagt provokativ gestelltes Thema ausgesucht. Und da sahen sich dann die anwesenden Theaterleute in zunehmend aufgeheizter Stimmung zu einer im Grunde unnötigen Rechtfertigung veranlasst. Und die passionierten Theaterbesucher im gut besetzten Auditorium zu manch emphatischem Bekenntnis.

Ein dramaturgisch wirksamer Schachzug war es, zwei Schülerinnen des Albert-Schweitzer-Gymnasiums, Carolin Linsinger und Lisa Helfrich, im sozusagen offenen Schlagabtausch mit zwei diametral entgegengesetzten Positionen zum Theater vorab zu Wort kommen zu lassen. Unterstützt wurden sie vom Moderator auch dieser Jubiläumsausgabe, RHEINPFALZ-Kulturredakteur Fabian R. Lovisa, der dem Thema durch Verweis auf die Dynamik des gesellschaftlichen Wandels zusätzliche Brisanz gab. Die Diskutanten Bernd Fülle, Vorsitzender des Deutschen Bühnenvereins und Stellvertreter des Intendanten am Staatstheater Wiesbaden, Professor Friedemann Kreuder vom Fachbereich Theaterwissenschaft der Uni Mainz, Oliver Thust als Vorsitzender des Fördervereins des Theaters Dessau sowie Kulturjournalist Theo Schneider arbeiteten schließlich in teilweise spannungs- und emotionsgeladenen Plädoyers wesentliche Aspekte der Aufgaben eines Theaters heraus. Dazu gehört nach Auffassung der Schülerin Carolin Linsinger zwar keine Nachrichtenübermittlung mehr wie in der Antike, aber nach Kreuders historisch orientierten Ausführungen die Integration gesellschaftlicher und auch medientechnologischer Veränderungen. Kreuder ging dabei von der Prämisse aus, dass Theater Film und Fernsehen zwar unbeschadet überstanden hat, sich aber einem Leitmedienwechsel beugen musste. Durch die in der Runde und auch teilweise im Publikum als Provoaktion verstandenen Hinweise des Kulturjournalisten Theo Schneider auf Theateretats (beim Pfalztheater ging er von der Hälfte der städtischen Kulturförderung aus) nahm der Gedankenaustausch an Schärfe, Polemik, aber auch an Missverständnissen zu. Schneider wollte nicht das Theater als Institution an sich, sondern dessen Stellenwert innerhalb der Kulturlandschaft und -förderung hinterfragen: „Ist die Qualifikation für diese Intensität überhaupt vorhanden?“, gab der ehemalige SWR-Mann Schneider zu bedenken. Dagegen setzte Bernd Fülle den allgemeinem Bildungsauftrag und fügte an, dass Bildungseinrichtungen nicht kostendeckend arbeiten könnten. So seien durchschnittlich nur 18 Prozent der Gesamtkosten eines Theaters vom Kartenverkauf gedeckt. Geschickt stellte er den Zusammenhang her, dass das Wiesbadener Theater als immerhin zweitgrößter Arbeitgeber in der Stadt wirtschaftliche Impulse setze und etwa Zulieferer oder Vertragpartner von dieser Liaison profitierten. Auch der Dessauer Repräsentant des dortigen Theater-Fördervereins Thust sieht das Haus ganz klar als Standort- und Wirtschaftsfaktor. Sein Verein leistet dabei einen wichtigen Beitrag gerade in Zeiten sinkender öffentlicher Zuwendungen. Auch im Bereich der Jugendförderung sind die Dessauer Theaterfreunde, rund 340 an der Zahl, aktiv. Dem weiteren, schon im Schülervotum angesprochenen Vorurteil einer nicht mehr zeitgemäßen Darstellung auf der Bühne anstelle anderer digitaler Plattformen widersprach Kreuder durch die beim Theater ganzheitliche, alle Sinne ansprechende und hautnahe künstlerische Begegnung. Ein weiterer Kritikpunkt der Schülerinnen war die Auswahl von Stoffen (vor allem Klassiker), die nicht der Erlebnis- und Gedankenwelt der Jugendlichen entsprächen. Was durch die manchmal unverständliche, polarisierende Aufführung noch verschärft werde. An diesem Punkt warf einmal mehr Kreuder ein, dass sich die Zielgruppe der Schüler und Jugendlichen keineswegs homogen darstelle. Allein in Mainz berichtete er von Klassen, deren Schüler mehr als die Hälfte einen Migrationshintergrund hätten. Und wieder kam an dieser Stelle der immer wieder auf Gegenposition insistierende Journalist Schneider ins Spiel. Er forderte inhaltlich mehr Offenheit in der Wahl der Theaterstoffe – auch von „anderen Ländern und Menschen“. Intendant Urs Häberli ging in der offenen Diskussion im Anschluss darauf ein und verwies emphatisch auf solche bislang realisierten, aber nicht genügend wahrgenommenen Projekte. Schauspieldirektor Harald Demmer erklärte aufgrund von Lehrerreaktionen, dass originelle, gegen erstarrte Konvention realisierte Interpretationen immer auch polarisierten. Kreuder fügte das Paradoxon zwischen Werktreue, Aktualisierung, Bildungsauftrag und Unterhaltungswert einer Produktion an. Psychologie-Professor Peter Glanzmann stellte gezielte Fragen nach Zielgruppen und deren Präferenzen. „Wurden diese empirisch ermittelt?“ Häberli verwies zwar auf Umfragen, nannte aber keine konkreten Vorgehensweisen und Trends. Immerhin zeigte sich in diesem Gedankenaustausch ein weiterer Widerspruch am Beispiel des Frankfurter Opernhauses, das trotz relativ geringer Besucherauslastung mit dem Kritikerpreis geehrt wurde.

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