Kaiserslautern Nicht jede Tochter ein Volltreffer

Mehr Schein als Sein: China Moses.
Mehr Schein als Sein: China Moses.

Wenn der Vater mit der Tochter loslegt, dann geht der Punk ab. Dann darfst du kein gemütliches Kaffeekränzchen mit Schwarzwälder Kirsch erwarten. Im ausverkauften Kasino bekamen die Besucher am Freitagabend vor Staunen den Mund nicht mehr zu, als das polnische Wunder am Jazzbass, Kinga Glyk, zusammen mit ihrem Vater und Manager Irek Glyk an der Schießbude und Rafal Stepien an der Hammondorgel loslegte. Ein überfallartiges Powerplay auf die Ohren war das. Keck und frech rückte Kinga Glyk die Bassgitarre in den Mittelpunkt und spielte darauf los wie ein alter „Fuhrmann“: hoch virtuos und gleichzeitig angenehm leicht und unaufdringlich. Aufdringlicher agierte da schon ihr Papa am Schlagzeug, der trommelte wie eine Furie: wuchtig, explosiv, kommentierfreudig, mit einer Vielfalt an Farben und rhythmischen Bewegungen, aber es fehlte ihm der Sinn für dynamische Schattierungen und weitausholende Spannungsbögen. An der „Kathedrale“ des Fusion-Sounds baute Stepien an der Orgel mächtig mit, der sich an der ungeheuren Dynamik und an den Fortissimo-Möglichkeiten seines Instruments berauschte. Als Chefin im Ring bot die gerade mal 21 Jahre alte „Lady Bass“ dem wüsten Jazz-Rock bald ein Ende und zeigte als Solistin Kompositionen von großer Leuchtkraft. Ohne Respekt vor großen Vorbildern ihres Faches demonstrierte sie ihre fulminante Technik, bildete aus extrem sattem Ton, schillernder Flageolett-Technik in Kombination mit Paralleloktaven, aber auch Verzerrungseffekten weit ausladende Basslinien in changierendem Sound und erzählte dabei wunderbare Geschichten. Als ob sie mit der menschlichen Stimme spielte. Vollends verzauberte sie ihr Publikum, als sie zum Abschluss solo, im Schneidersitz mit ihrem E-Bass ein Cover von Eric Claptons „Tears in Heaven“ spielte. Eben das Stück, durch das ihre Internet-Klickzahlen durch die Decke gingen und das sie weltberühmt machte. Damit brachte sie ganz schön Leben in die Bude. Wie unglaublich facettenreich und vielfältig der Jazz sein kann, demonstrierte die Schauspielerin Jasmin Tabatabai. Bei ihren klassisch swingenden Retro-Chansons hatte die Deutsch-Iranerin jedoch ihre zarte Engelsstimme offensichtlich auf der Autobahn verloren. Ihre Stimme war bei weitem nicht so schmiegsam und sensibel wie auf der CD mit dem Titel „Was sagst du einem Menschen, wenn du traurig bist ?“, deren Songs sie fast ausschließlich vorstellte. Sie wirkte vielmehr leicht distanziert. Ihren Interpretationen mangelte es an atmosphärischen Wechselbädern und unerwarteten Stimmungsumschwüngen. Auch fehlte das leicht Verruchte in ihrer Stimme, was Hildegard Knef so auszeichnete. Und doch fand sie ihre begeisterten Zuhörer, weil die zur Schau gestellte Entschleunigung und der aktive Rückbezug auf die gute, alte Zeit der Chansons von Hildegard Knef über Marlene Dietrich, Georg Kreisler, Tucholsky und Reinhard Mey bis hin zu Ulrich Plenzdorf eine Art Heimatgefühl aktivierte. Voll überzeugen konnten Tabatabais musikalische Partner David Klein (seine Skala der Ausdrucksmöglichkeiten am Tenorsaxophon war schier grenzenlos), Olaf Polzieh (ein wunderbar swingender Pianist) sowie die entspannt begleitenden Davide Petrocca am Bass und Peter Gall am Schlagzeug. Eine absolut überzeugende Performance gaben San2 (eigentlich Daniel Gall) und seine Soul Patrol zu mitternächtlicher Stunde im krachend vollen Cotton Club. Als der 39-Jährige mit seiner markant-souligen Stimme die Bühne betrat, rückten die Zuhörer näher zusammen. Mit schweißtreibenden Rhythmen, packenden Melodien und einer passenden Prise Pop und Rhythm & Blues katapultierte das Quintett die Musik der 60er und 70er ins 21. Jahrhundert. Ebenso wie mit seiner schmiegsamen Stimme, die er bis zum ekstatischen Rock-Crescendo hinaufschraubte, und seinen tänzerischen Einlagen bestach er auch als Virtuose auf der Bluesharp. Der Festival-Samstag stand ganz im Zeichen der Königin der Jazzinstrumente, der Trompete. Dabei machten sich zwei Gipfelstürmer des Jazz den Rang streitig. Nils Wülker, der in seiner Freizeit dem alpinen Klettersport am Seil frönt, mag auch musikalische Gratwanderungen und vermischt auf der Entdeckungssuche nach neuen Sounds Jazz mit jungen Stilen wie Hip-Hop. So setzte er sich auch im nicht ganz ausverkauften Kasino mit Samples, Synths und mit Beats auseinander und strahlte dabei jugendlich frisch wie nie zuvor. Und siehe da, kein „Tritt“ ging daneben. Sogar an „Achttausender“ wagte sich der gerade mal 40 Jahre alte Hamburger ran und formte geniale Melodiebögen wie einst Miles Davis. In dieser Höhenluft fühlte er sich verblüffend sicher, und der Hip-Hop, der Bebop und der Fusion lächelten einander zu. Die Palette von Stilen war dabei äußerst vielfältig: Zarte Momente standen im Kontrast zu rockigen und avantgardistischen Ausbrüchen, zu Witz und Wendigkeit. Wülkers klar strukturierter, makellos reiner und vibratoloser Trompetenton, die perfekte dynamische Balance, die lyrische Melodik erinnerten häufig an Miles Davis. Und doch behielt er in jedem Kontext seine Individualität. Absolute Weltklasse. Genau wie die Musik von Avishai Cohen, der auf seiner Trompete völlig neue Wege beschritt. Er faszinierte damit sein Publikum noch zu mitternächtlicher Stunde derart, dass es ihm mucksmäuschenstill lauschte. Der knapp 40-jährige Trompeter aus Tel Aviv mit dem brustlangen Bart, beiger Strickjacke und Tattoos auf den Armen ist zur Zeit der heißeste Jazz-Export Israels. Wie Wülkers atmet auch Cohens Spiel Energie und Gelassenheit zugleich. Ist wahre Kunst. Die inhaliert man regelrecht. Seine Songs kamen ziemlich unterkühlt daher. Und stellenweise überzog er sie noch mit einer zusätzlichen Schicht dünnen Eises. Dieses jedoch entfachte eine Wirkung wie der Iglu eines Eskimos. Es war wärmend und Leben spendend zugleich. Und nahezu greifbar war die durchklingende Melancholie, ja Trauer. Mit traumwandlerischer Sicherheit und Behutsamkeit und bedachter Finesse entpuppten sich die Tracks, um sich im nächsten Moment zu höchster Intensität zu verdichten. Das Resultat war ebenso überraschend wie großartig: Avishai Cohen und Yonathan Avishai (Piano) sowie Barak Mori (Bass) und Nasheet Waits (Schlagzeug) spielten zurückgenommen, reagierten intuitiv aufeinander und fokussierten sich absolut synchron auf das gemeinsame Klangbild. Da blieb viel Spielraum für Interpretationen. Und diesen Spielraum kosteten die Israelis voll aus. Wenn man die Tochter der weltberühmten Jazzsängerin Dee Dee Bridgewater ist, sind die Erwartungen entsprechend hoch. Diesen Anspruch konnte China Moses an diesem Abend mit ihrem Soul-Jazz nicht erfüllen. Irgendwie schien sie indisponiert zu sein. Mit einem Glas Rotwein in der rechten und dem Mikrophon in der linken Hand war sie eine Spur zu lässig, erzählte viel und sang selten. Den größten Part überließ sie ihren Mitspielern. Sie verlegte sich lieber auf Kasperletheater, intonierte dabei mit purer Erotik in der Stimme und bot mehr oder weniger heißes Schlafzimmer-Geflüster. Das war einfach ermüdend. Kultur

Für Freunde des swingenden Chansons: Jasmin Tabatabai.
Für Freunde des swingenden Chansons: Jasmin Tabatabai.
x