Kaiserslautern „Miss Ernte“ passt in Körperwelten

Sieht die derzeitige Ministerriege als glatte Fehlbesetzung an: „Wie Florian Silbereisen in der Rolle des Traumschiff-Kapitäns“,
Sieht die derzeitige Ministerriege als glatte Fehlbesetzung an: »Wie Florian Silbereisen in der Rolle des Traumschiff-Kapitäns«, spottet Polit-Kabarettist Urban Priol.

Die wohl wortgewaltigste Zunge unter den Polit-Kabarettisten, Urban Priol, brachte am Donnerstagabend die pickepackevolle Fruchthalle zum Beben. In süffisanter Manier verschonte der Pointen-Cowboy weder Politik noch Gesellschaft. Entertainment der Spitzenklasse und ein Dauerangriff auf die Lachmuskulatur. Allerdings enthielt das Programm auch etliche Längen.

Mit einem Glas Weizenbier stürmt Priol, Halbglatze, abstehende Haare, buntes Hemd über der Jeans, auf die Bühne. Und schon entflicht er die Irrungen und Wirrungen im politischen Berliner Tagesgeschehen. SPD?, fragt er, „da war doch mal was?“ Da habe sich die SPD endlich mal mit ihrem Sozialminister Heil aus der Versenkung getraut, der das Konzept für eine Grundrente vorlegte, und „schon tritt die Union mit einer Blutgrätsche dazwischen. Fünf Milliarden für Geringverdiener? Wie sollen wir das finanzieren?“ Das gebe doch die Regierung jährlich für Berater aus, so Priol. Seit 1982 sei er nun aktiv, sagt der 57-Jährige. „Mit dem Dicken, bähbähbäh, aus Mutterstadt zusammen haben wir damals Kabarett gemacht. Aber bei Merkel habe ich angefangen, Ehrgeiz zu entwickeln.“ Er habe sich vorgenommen: „Du gehst nicht vor ihr.“ Jetzt fange AKK an, ihr „mega-konservatives Programm in die Hirne der Bürger zu pusten“. „Und schau dir ihre Stellvertreter an, Armin Laschet, Julia Klöckner, Volker Bouffier, die könnte man direkt in der Körperwelten-Ausstellung präsentieren.“ Alle kriegen sie ihr Fett weg: Klöckner bezeichnet er als die „Miss Ernte“, die letzten drei Verkehrsminister sowie den „traurigen Rest der CSU“ hätten die Bayern nach Berlin „entsorgt“. Wenn solche Leute Minister werden könnten, folgert er, „kann man auch Florian Silbereisen zum Traumschiff-Kapitän küren“. Bloß keine Veränderung, heiße es stets. Dann komme gleich das Totschlag-Argument, Arbeitsplätze seien gefährdet. „Dort aber, wo Arbeitsplätze abgebaut werden, sind alle ruhig.“ Wo aber solle Veränderung herkommen? Die Rentner, mittlerweile stärkste Bevölkerungsgruppe, wählten überwiegend konservativ. Und die Jugend? Kennt ja nichts anderes – bei 14 Jahren Merkel. „Und wenn ich mir die Nachwuchs-Politiker angucke, wie den neuen CDU-Generalsekretär Pavel Zimiak oder Philipp Antor, die sind ja schon so was von vergreist.“ Früher seien die Jungen in den Parteien Rebellen gewesen, heute sei ihr Anforderungsprofil angepasst, dreist und vorlaut. Die Welt sei völlig „gaga“, stellt der gebürtige Aschaffenburger fest. Ausgerechnet Erdogan rüge die französische Polizei für ihr hartes Vorgehen gegen „Gelb-Westen“. Alexander Dobrindt, der „Che Guevara der Union“, fordere eine konservative Revolution. „In anderen Ländern nennt man das Militärputsch“, kommentiert das Priol. Schlimmer als mit den Verkehrsministern könne es nimmer kommen. Urban Priol nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er mit seinem realitätsnahen Sarkasmus Politiker und Behördenapparat als Zielscheibe seiner kabarettistischen Verbalattacken anpeilt. Eine blutleere Politik nennt er das, was zur Zeit in Berlin geschehe, die „sich wie Mehltau über das Land legt“. Verantwortlich dafür sei „unsere Chef-Choreografin“. Schonungslos und mit diebischer Lust wandelt Priol Nachrichten in aberwitzige Pointen um, dass die Wände der Fruchthalle unter Lachsalven nur so wackeln. Der grüne Kretschmann bete jeden Tag für Merkel, spottet er, obwohl doch gerade für diese „barmherzige Marienerscheinung“ nur noch beten helfe. Immer wieder werde eine Obergrenze für Flüchtlinge gefordert. „Warum fordert niemand mal eine Obergrenze für Heuchelei?“ kontert er. Priols Zynismus ist nichts heilig und verschlägt auch manchem die Sprache. Satire darf jedoch alles. Und ohne ein Quäntchen Zynismus kann es im Komischen gar nicht abgehen. Es seien ja auch nicht die Witze zynisch, meint der Philosoph Peter Sloterdijk, „umgekehrt, sie machen sich über den Kardinalzynismus wie etwa Militär, Politik oder Religion lustig und haben darin einen moralischen Sinn“. Die Witze funktionierten im kollektiven Bewusstsein wie ein Drainagesystem, als „ein allgemein akzeptierter regulativer Mini-Amoralismus, der klug davon ausgeht, dass es gesund ist, sich über das lustig zu machen, was über unsere Empörungskapazität hinausgeht.“

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