Kaiserslautern Kaiserslautern: Opel-Betriebsrat im Interview

Donnerstagnachmittag vor dem Opel-Werkstor: Lothar Sorger im Gespräch mit RHEINPFALZ-Redakteur Benjamin Ginkel (kariertes Hemd).
Donnerstagnachmittag vor dem Opel-Werkstor: Lothar Sorger im Gespräch mit RHEINPFALZ-Redakteur Benjamin Ginkel (kariertes Hemd). Kurz darauf ging’s ins Betriebsrats-Büro.

Sommerinterview: Lothar Sorger ist Betriebsratsvorsitzender bei Opel in Kaiserslautern. Nach der Opel-Übernahme durch die französische PSA-Gruppe habe man nun eine gute Ausgangslage. Mit Benjamin Ginkel sprach Sorger über harte Verhandlungen, dynamisches Autofahren und Abfindungen.

Herr Sorger, ich könnte mir vorstellen, dass der Erholungseffekt Ihres Urlaubs in diesem Jahr nicht lang angehalten hat ...

(lacht) Ja, allerdings. In meiner ersten Woche stand schon wieder viel an. ... also nichts mit langsam einarbeiten? Nein, aber das wusste ich schon vorher. Wir haben in dieser Woche einen weiteren Meilenstein zum Erhalt der Arbeitsplätze bei Opel geschafft. Die IG-Metall-Mitglieder im Betrieb haben über den Zukunftstarifvertrag abgestimmt – und sich mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen. Das klingt nach einem guten Vertrag für die Beschäftigten ... Aus unserer Sicht auf jeden Fall. Beispielsweise sind betriebsbedingte Kündigungen bis Ende Juli 2023 ausgeschlossen, es sind Investitionen in Milliardenhöhe in alle Standorte zugesagt und der Personalabbau ist auf 3700 Stellen begrenzt, allerdings werden im Gegenzug Tariferhöhungen zeitverzögert ausgezahlt. Hat PSA dem Zukunftstarifvertrag ebenfalls zugestimmt? Ich gehe nicht davon aus, dass PSA einen Rückzieher macht. (Die Widerspruchsfirst gegen den Zukunftstarifvertrag ist gestern Abend, 18 Uhr, ausgelaufen. Wie Sorger erklärte, ist er damit seit gestern rechtskräftig, Anmerkung der Redaktion.) Für Kaiserslautern und die Region ist das ein wichtiger Schritt. War das alles so abzusehen? Für 2018 hatten wir einiges vor der Brust: die Verhandlungen mit PSA, das Superwahljahr mit Betriebsrats- und Aufsichtsratswahlen – das schon alleine einen großen Aufwand bedeutet – und dazu kam noch eine ganz außergewöhnliche Tarifrunde. Ich erinnere mich an unsere Treffen im Schneegestöber vor dem Werkstor ... (lacht) Wir sind ab dem 1. Januar in die Vollen gegangen. Und das trotz der PSA-Geschichte mit samt ihrem Bedrohungspotenzial, das zu der Zeit auf jeden Fall da war. Anfang des Jahres hätte uns jedes Thema für sich allein gereicht. Da steht man doch sicher ziemlich unter Druck. Schließlich geht’s um Arbeitsplätze, Familien und um Existenzen. Wir haben uns im Betriebsrat vor Weihnachten das Jahr 2018 angeguckt, mit all seinen Themen, Terminen und Herausforderungen, und gefragt, wie das denn funktionieren soll. Jetzt stehen wir hier und können sagen: Wir haben es hingekriegt. Weil die Mannschaft so zusammensteht? Natürlich! Nehmen wir als Beispiel die 24-Stunden-Warnstreiks, die wir in diesem Frühjahr zum ersten Mal als Mittel eingesetzt haben. Wir hatten eine grandiose Beteiligung, es gab keine Streikbrecher. ... aber trotzdem hat es bis zu einem Ergebnis in der Tarifrunde mehrere Wochen gedauert ... Wir hatten in dem Tarifvertrag einige neue Dinge mit drin, etwa eine neue Form der verkürzten Vollzeit oder ein zusätzliches Tarifentgelt, das in Freizeit umgewandelt werden kann. Und immer wenn in Verhandlungen neue Komponenten einfließen, ist die Gegenseite grundsätzlich erstmal dagegen. Kommt man bei so vielen unterschiedlichen Themen und Baustellen mit acht Arbeitsstunden am Tag durch? Eigentlich darf ich das nicht sagen, aber ich begehe regelmäßig Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz (schmunzelt). Aber die Betriebsratsarbeit ist ja ein Ehrenamt. Nach langen Verhandlungen in Rüsselsheim kann es sein, dass ich morgens mal ein bisschen später zur Arbeit erscheine – aber nicht zu spät, denn man will ja die Kollegen zeitnah über den Verhandlungsstand informieren. Rüsselsheim ist ein gutes Stichwort: Haben Sie in der Nähe der Opel-Zentrale eine Zweitwohnung oder ein Hotelzimmer? In der Regel fahre ich zu Sitzungen hin, abends oft spät heim. Nur selten übernachte ich in einem Hotel. Nachts ist die Autobahn ja leer, da kommt man ganz gut durch. Allein im Hotel rumsitzen, das macht mir keinen Spaß. Das Autofahren offenbar schon. Ach wissen Sie, da schaffen meine beiden Seelen in der Brust gegeneinander: Ich fahre gern, sagen wir mal dynamisch (schmunzelt), koste auch mal die Beschleunigung aus. Aus Umweltgründen hat sich das aber ein bisschen gelegt. Bei Anrufen erwische ich Sie oft im Auto und Sie beantworten bereitwillig Fragen ... Ich kann mich beim Autofahren recht gut konzentrieren. Die Strecke Kaiserslautern - Rüsselsheim kenne ich ziemlich gut. Da nutze ich die Zeit gern zum Telefonieren und um abzuarbeiten, was so liegenblieb. Dann ist die Zeit nicht verloren. Achten Sie beim Autofahren jetzt mehr darauf, ob ein Peugeot oder ein Citroën entgegenkommen? Tatsächlich hat sich der Fokus verschoben, vorher hat man die Autos der PSA-Gruppe nicht so wahrgenommen. Jetzt hat man dafür einen ganz anderen Blick. Fühlt man sich schon zusammengehörig – oder noch als reiner Opelaner? Ganz ehrlich? Nein. Wir sind immer noch Opel/Vauxhall. Für uns ist Opel noch eine Geschichte, PSA eine andere. Soll das besser werden? Das hoffen wir. Das große Dilemma bei GM, GeneralMotors, unseren Vorbesitzern, war, dass es Unmengen von Teilen für die Autos gab, Synergie-Effekte fehlten völlig. Darin ist PSA jetzt schon viel besser. Ausgehend von verschiedenen Grundplattformen werden Teile für mehrere Modelle genutzt. Das ermöglicht, große Stückzahlen günstiger zu produzieren. Spielt dabei das Komponentenwerk in Kaiserslautern eine große Rolle? Ein Teil haben wir tatsächlich schon hier, das in Stückzahlen produziert wird, die vorher nicht denkbar gewesen wären. Unser Ziel muss es aber sein, in Produktionsverbünde reinzukommen und nicht nur für Opel-Fahrzeuge, sondern auch für Peugeot und Citroën zu produzieren. Einige weitere Teile sind uns schon zugesagt für Kaiserslautern, aber das ist noch nicht genug. Das klingt vielversprechend. Aber Hand aufs Herz: Stand die Zukunft von Opel zwischenzeitlich auf Messers Schneide? Nachdem GM entschieden hatte, sich von Opel zu trennen, gab’s zwei Optionen: einen Käufer finden oder das Unternehmen an die Wand zu fahren. Opel zu retten, das ging nur mit dem Verkauf. 2017, als selbst ernannte Autoexperten negativ über die PSA-Übernahme von Opel gesprochen haben, versuchten wir vom Betriebsrat das herunterzukochen. Zwar der Belegschaft nicht eine rosarote Zukunft zu versprechen, aber Ängste zu nehmen. Aber PSA zieht die Daumenschrauben ebenfalls an ... ... aber wir sind immer im Gespräch. Nach der Rettung stand für uns im Betriebsrat ganz oben auf der Agenda, die Standorte zu sichern und eine Beschäftigungsgarantie zu bekommen. Das haben wir in dieser Woche geschafft. Der nächste Schritt wird sein, diese Beschäftigungssicherung durch die vorhin angesprochenen neuen Teile für Kaiserslautern zu unterfüttern. Das wird noch eine Riesenaufgabe, aber wir haben ein gesichertes Fundament. Haben Sie Carlos Tavares, den Vorstandsvorsitzenden der PSA-Gruppe schon persönlich erlebt? 2017 haben wir uns im April in Berlin getroffen. Ein eloquenter Mann, keine Frage. Und es gab vor einigen Wochen ein Treffen im kleinen Kreis. Kommt man da schon mal ins Plaudern? Die Gespräche liefen nur auf der Arbeitsebene ab. Lassen Sie uns über den Standort Kaiserslautern sprechen. Sind es hier noch rund 2600 Beschäftigte? Momentan arbeiten etwa 2000 Opel-Mitarbeiter und 200 Leiharbeiter im Werk, wie Sie wissen, sind nach den Abfindungs- und Ausscheideprogrammen einige Mitarbeiter gegangen. Noch im vergangenen Jahr hatten wir zu Spitzenzeiten 470 Leiharbeiter. Ist das Thema Abfindungen durch? Ja, ein großer Teil ist bereits weg, und die anderen gehen in der nächsten Zeit. Einige, die gehen wollten, durften aber nicht mehr. Wie groß ist deren Unmut? Wie groß das Bauchgrummeln bei jedem einzelnen ist, weiß ich nicht. Aber das Programm lief aus unserer Sicht sehr unstrukturiert, man wollte die Leute raushaben, koste es, was es wolle. Deswegen hatten wir auch Streit mit der Geschäftsführung, damit nicht zu viele Stellen verloren gehen. Um zur Frage zurückzukommen: Unsere Aufgabe als Betriebsrat ist es, dafür zu sorgen, dass es hier gut weiter geht – und zwar mit möglichst vielen Beschäftigten. Sie haben in den vergangenen Monaten ziemlich viele Interviews gegeben. Lesen und schauen Sie sich die Artikel und Sendungen alle an? An der RHEINPFALZ kommt man bei uns ja nicht vorbei (lacht), da lese ich auch alles. Und das im Dritten Programm, das guckt man sich schon an. Ansonsten stolpere ich oft selbst über Zitate von mir, die ja auch von Presseagenturen verteilt werden. Meine Schwägerin hat mir letztens eine Zeitung aus dem Taunus mitgebracht, in der ich zu Wort gekommen bin. Sind Sie für solche Presseanfragen geschult worden? Nein, das muss man schon selbst in den Griff kriegen. Wenn der Kompass im Kopf richtig ausgerichtet ist, passt das. Ich rede auch bei Betriebsversammlungen lieber frei. Nur bei offiziellen Reden komme ich um ein Manuskript nicht herum (lacht). Verhandlungsrunden sind sicher oft kein Spaß. Will man da nicht manchmal einfach aufstehen und gehen? Wie kommen Sie runter? Das bringt die Erfahrung mit sich. Ich persönlich kann das ganz gut aushalten und auch ein Stück abschalten. Bei mir klappt das in meiner Walking-Gruppe oder bei Spaziergängen mit meiner Frau und meinem Hund. Nur zum Joggen komme ich momentan leider viel zu selten ...

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