Kaiserslautern Gebrauchsspuren und Gebrechen

Auf der Suche nach der verlorenen Jugend? Alice Hoffmann.
Auf der Suche nach der verlorenen Jugend? Alice Hoffmann.

Die erste Gemeinschaftsveranstaltung des Organisators Kunstgriff und der Kultur Art Otterberg am Samstag war sogleich ein Riesenerfolg. Die Stadthalle war beim Gastspiel der als Hilde Becker bekannten Schauspielerin und Entertainerin Alice Hoffmann mit mehr als 300 Besuchern dicht besetzt und beim Soloprogramm „Die Zeichen der Zeit“ in bester Stimmung.

Dass sich Alice Hoffmann publikumswirksam präsentieren, ja inszenieren und immer wieder neue Programme erfinden kann, ist ja hinlänglich bekannt: Zu den bombastischen, eingespielten) Klängen der Eröffnungsmusik der Tondichtung „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss beginnt sie ihr Soloprogramm zunächst wie eine Diva. Äußerlich noch immer im biederen Erscheinungsbild der Hilde der 60er und 70er Jahre, doch schauspielerisch und inhaltlich weiter entwickelt mit Aphorismen, Lebensweisheiten und gesellschaftskritischen Analysen. Die Zeichen der Zeit – das sind im ersten Teil zunächst Gebrauchsspuren oder Gebrechen, die der Zahn der Zeit hinterlassen hat. Die sich hinter dem Aschenputtel-Look verbergende, eigentlich attraktive Schauspielerin schlüpft in die Rolle einer etwas senilen älteren Dame, die bei ihren erzählten Episoden Wörter verwechselt oder im falschen Zusammenhang gebraucht und so neben angeblichen Falten, grauen Haaren auch auf graue Gehirnzellen verweist. Daher hat diese gespielt schusselige Seniorin im Alltag so ihre Probleme, wenn sie schlecht hört und sieht und Zusammenhänge nicht erfasst. Beispiele: Die Lustwaffe erweist sich bei näherem Hinsehen im Zeitungstext als Luftwaffe und der Radierer in der U-Bahn-Station eben als Randalierer. Der alternde Mensch mit seinen Gebrechen stolpert bei diesem Sketch von einer Verlegenheit in die nächste. Dagegen hilft ein Fitnessprogramm, das sie sich auferlegt und das sie in erheiternden Demonstrationen mit Haus- und Küchenarbeit kombiniert. Da entsteht ein Bauchtanz beim Bügeln, werden Utensilien wie Besen und Schaufel zum häuslichen Nordic Walking eingesetzt, und der Teigroller steigert die Beweglichkeit des Oberkörpers. Auch dieser Programmpunkt mit unbeholfen wirkenden Leibesübungen mit Küchengeräten kam gut an, löste Lachsalven aus, war originell. Zeitlose Comedy eben. Im zweiten Teil philosophierte sie nach der Pause zunächst über Gott und die Welt und suchte nach Gemeinsamkeiten der Weltreligionen. „Auch wir kennen Allah“, stellte sie fest, denn der Saarländer sage „Alleh hopp“. Und das schwarze Gewand der Muslima mit Burka erinnere sie an unsere Nonnen. Wer auf andere Völker und Kulturen verächtlich herabblicke, den belehrte sie, dass wir erst im 20. Jahrhundert das Selbstbestimmungsrecht der Frauen wie Berufs- und Wahlrecht oder ihr Recht auf eigene Kontoführung sukzessiv verwirklicht haben. Manches erst in den 70er Jahren. Kein Grund zur Überheblichkeit also, lautet das Credo der Ausführungen, die sie teilweise auch in Quizform als Satire auf Fernsehsendungen darstellt. Letztlich ist ihr Programmansatz an diesem Punkt beseelt von einem flammenden Appell für eine Welt von Toleranz und gegenseitiger Akzeptanz. Sie versucht dagegen Parolen auf Stammtisch-Niveau ad absurdum zu führen. Der „Gutmensch“ und die Einsicht in eine kosmopolitische Gesellschaft siegt über klischeehafte Vorstellungen. Wenn das so einfach wäre! Begibt sie sich hier – passend zum Wetter – auf politisches Glatteis, so hinterließ sie aber in ihrer schauspielerischen Ausdruckskraft, ihrer lebendigen Art in Interaktion mit dem Publikum und rhetorischen Schlagfertigkeit wieder einen hervorragenden Eindruck. Dennoch stellt sich die Frage, warum Alice Hoffmann noch immer mit dem Image ihrer Hilde-Becker-Figur wirbt. Obwohl sie sich programmatisch doch davon längst emanzipiert hat. Eigentlich ein Widerspruch.

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