Kaiserslautern Experte zu Unwettern: „Risiken zu lange nicht im Blick“

Überflutet: die Hohenecker Straße am 11. Juni.
Überflutet: die Hohenecker Straße am 11. Juni.

Architekten müssen umdenken, Privatleute sollen Vorsorge betreiben: Theo Schmitt, Leiter des Fachgebietes Siedlungswasserwirtschaft an der Technischen Universität, plädiert nach den schweren Unwettern für ein Umdenken. Nur übers Abwassernetz zu reden bringe nichts.

„Wir brauchen ein einheitliches Konzept zur Bewertung von Starkregenereignissen“, sagt Professor Theo Schmitt vom Fachgebiet Siedlungswasserwirtschaft an der TU Kaiserslautern nach den schweren Unwettern der vergangenen Wochen. So wie es längst normal ist, starke Winde nach der Beaufortskala oder die Stärke von Erdbeben nach der Richterskala einzuordnen, plädiert er für einen Starkregenindex.

Jahrhundertregen im Juni

Schmitt ist Experte in Sachen Wasserwirtschaft, berät die Stadtentwässerung Kaiserslautern genauso wie Kommunen in der ganzen Republik. Die beiden schlimmen Regengüsse in Kaiserslautern am 27. Mai und am 11. Juni mit überschwemmten Kellern, unterspülten Straßen und Erdrutschen waren für ihn „außergewöhnliche Regenereignisse, der vom Juni war sogar wirklich ein Jahrhundertregen“, trete also rein statistisch so schnell nicht wieder auf. Wobei Schmitt betont, dass es noch schlimmer geht. Würde man die Regenmenge in einen Starkregenindex von 1 (moderat) bis 12 (extrem) einordnen, käme man bei der Sintflut vom Juni auf die Ziffer 8, weil zwischen 60 und 70 Liter Niederschlag pro Quadratmeter niedergeprasselt sind. Zum Vergleich: In Münster ging nach einem extremen Starkregen im Jahr 2014, der mit 12 eingestuft wurde, tagelang gar nichts mehr. Dort fielen 200 Liter Regen pro Quadratmeter in der Stunde.

"Da ist viel schiefgelaufen"

Einen Starkregenindex verknüpft Schmitt auch mit der Absicht, Bürger zu sensibilisieren. Die unterirdische Kanalisation könne Schutz vor Überflutungen nur bis etwa Stufe 5 bieten. Es gehe darum, die Leute dazu zu bringen, selbst Vorkehrungen zu treffen. „Da ist in den letzten 30 Jahren auch viel schiefgelaufen“, sagt der Hochschullehrer. Zu viele Flächen seien versiegelt worden, in vielen Neubaugebieten gebe es ebenerdige Eingänge, die es dem Wasser leicht machten. Lichtschächte seien so eine Sache. „Sie lassen das Wasser barrierefrei rein.“ In allen Straßen, wo das Wasser nicht kontrolliert abfließen könne, müsse mit Schwellen oder Rampen gearbeitet werden, damit beispielsweise Tiefgaragen nicht volllaufen können. Schmitt sagt, den Bürgern fehle häufig das Gesamtverständnis. Damit sich das ändere, könnten auch Starkregenkarten helfen, die es beispielsweise in Köln schon gibt. Die Stadt am Rhein habe alle relevanten Informationen ins Internet eingestellt. Hausbesitzer oder Menschen, die eine Immobilie erwerben wollen, können sich anhand des Kartenmaterials schlau machen, wie stark einzelne Straßenzüge durch Überflutungen gefährdet sind. „Da kann jeder nachgucken und daraus dann Maßnahmen ableiten“, erläutert Schmitt, der allerdings auf Probleme verweist. „Es ist immer eine Gratwanderung zwischen Informationspflicht und Datenschutz.“

Gitter an Gullys verlegen

Schmitt sieht in Kaiserslautern definitiv nicht nur die Stadtentwässerung am Zug. „Die kann ihre Kanalisation nicht auf Jahrhundertregen ausrichten. Außerdem wurde das Kanalnetz in den letzten Jahren schon ausgebaut, um die Leistungsfähigkeit zu verbessern.“ Wichtig sei es für die Zukunft, bei Gullys die Gitter anders zu verlegen, parallel zur Straße, und die Straßeneinläufe zweimal im Jahr zu säubern. Architekten müssten umdenken. Vor allem in vielen älteren Gebäuden gebe es keine Rückstausicherungen, weshalb Keller vollgelaufen seien. „Da fehlt ein bisschen die Anlaufstelle für Bürger, die etwas dagegen tun wollen.“ Die Stadtentwässerung könne eine Beratung nicht leisten. In so einem Fall aber sei private Vorsorge vonnöten. Fachfirmen für Sanitärhandwerk könnten helfen.

Problem: Schlecht gewählte Bauflächen

Schmitt sagt selbstkritisch: „Wir hatten das auch als Fachdisziplin zu wenig im Blick. Man hätte den Leuten früher sagen müssen, macht euch mehr Gedanken.“ Wenn immer enger gebaut werde in Neubaugebieten, die Grundstücke nur noch 250 bis 300 Quadratmeter groß sind, werde automatisch immer mehr Fläche versiegelt. „Deshalb plädieren wir dafür, zumindest PKW-Stellplätze nicht zu betonieren, wir raten zu Schotterrasen oder Fugenpflaster statt Asphalt, zu Gründächern.“ Das Problem sei, dass an vielen Stellen mittlerweile gebaut wurde, wo man es besser gelassen hätte, so der 64-Jährige. Wenn man dort baue, wo die Bachläufe verrohrt wurden, seien Überschwemmungen vorprogrammiert, weil sich das Wasser immer den Tiefpunkt suche. Die Hohenecker Straße sei bei dem Extremregen im Juni auch deshalb überschwemmt gewesen, weil ein Ablauf fehlte. „Da kam das Wasser aus Dansenberg und vom Bännjerrück runter. Früher gab es dort einen offenen Bachlauf.“ 

Mit Strategien gegen Starkregen befasst: Theo Schmitt.
Mit Strategien gegen Starkregen befasst: Theo Schmitt.
Ihre News direkt zur Hand
Greifen Sie auf all unsere Artikel direkt über unsere neue App zu.
Via WhatsApp aktuell bleiben
x