Kaiserslautern Das literarische Quartett

Allesamt neu am Pfalztheater: Nicolas Handwerker, Sophia Hahn, Aglaja Stadelmann und Martin Schultz-Coulon (von links) gestaltet
Allesamt neu am Pfalztheater: Nicolas Handwerker, Sophia Hahn, Aglaja Stadelmann und Martin Schultz-Coulon (von links) gestalteten am Freitag die erste »Blaue Stunde« der Saison.

Etwas Neues und dennoch auch etwas Althergebrachtes – bei der ersten „Blauen Stunde“ der Saison am Freitagabend gab es in der Volksbank beides: Einerseits stellten sich nämlich traditionsgemäß einige Neue am Pfalztheater als Rezitatoren vor. Andererseits präsentierten die diesmal vier jungen Neuankömmlinge auf der Lauterer Bühne im Sinne der ursprünglichen Intention der beliebten Vortrags-Reihe (die mittlerweile ja inhaltlich sehr vielschichtig ist) ganz klassisch ihre Lieblings-Texte.

Mit dabei waren an diesem Abend Aglaja Stadelmann, Nicolas Handwerker, Sophia Hahn und Martin Schultz-Coulon aus dem Schauspiel-Ensemble, allesamt im Übrigen Mitwirkende in der aktuellen Produktion „Die Nibelungen“. Dieses besondere Band mag sich auch auf das Zusammenwirken bei der „Blauen Stunde“ ausgewirkt haben: Alle Schauspieler hatten sich anspruchsvolle Texte ausgesucht, alle präsentierten ihre Texte in professioneller Art in sich sauber ergänzendem, abwechselndem Vortrags-Duktus. Nach einführenden Worten von Ensemble-Kollege Günther Fingerle (ebenfalls mit dabei bei den „Nibelungen“) las als erstes Aglaja Stadelmann Heiner Müllers Text „Ajax zum Beispiel“ aus dem Jahr 1994, in dem sich der Autor mit der deutschen Geschichte und zugleich seiner Rolle als Schriftsteller in schwieriger Zeit auseinandersetzt – tiefgehende Lyrik, die sich wie Prosa liest, unter die Haut gehend, nachdenkenswert ... Ebenfalls einen Blick in die Geschichte gewährte danach Nicolas Handwerker mit dem sechsten Kapitel aus Erich Kästners Großstadtroman „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“ (1931), in der quasi am Vorabend der Machtergreifung ein gesellschaftliches Bild der Zeit am Beispiel der handfesten Auseinandersetzung zwischen einem überzeugten Nationalsozialisten und einem Anhänger des Kommunismus gezeigt wird. Auch dieser sprachlich wie inhaltlich fesselnde Part war dazu angetan, genau hinzuhören und nachdenklich zu werden. In eine andere Richtung zielten fünf Briefe zwischen Paul Celan und Ingeborg Bachmann, die Sophia Hahn aus dem 2008 veröffentlichten Briefwechsel „Herzzeit“ las. Mal höchst poetisch, mal deutlich und direkt, immer aber sehr persönlich und intensiv geht es in den aus den 1940er und 1950er Jahren stammenden Briefen der beiden Liebenden unter anderem um Stipendien im Ausland, ums Verstehen des jeweils Anderen, um die (gemeinsame) Zukunft. Das war schlichtweg interessant, das war anrührend, das war durch die selbst in diesem privaten Bereich durchgehaltene hohe Sprachkunst der beiden literarischen Koryphäen durchaus für beide Seiten des Rednertisches angenehm fordernd ... Den Abschluss des Literatur-Quartetts gestaltete schließlich Martin Schultz-Coulon, der jene der „Blauen Stunde“ zugrundeliegende Frage nach dem Lieblingstext in einem Text selbst thematisierte. Im vierten, als Anhang ausgegebenen Werk „... und eine Betrachtung (Amnesie in litteris)“ aus Patrick Süßkinds Kurzgeschichtensammlung „Drei Geschichten“ (1995) nämlich begibt sich der Protagonist ebenfalls auf die Suche nach seinem Lieblingsbuch. Ein solches gemäß der Schwierigkeit einer Entscheidung blind aus den ungezählten Bänden auf seinen Regalen auswählend, vertieft er sich in den Text, zeigt sich zunehmend begeistert – und muss letztlich ernüchtert erkennen, dass er dieses ausgezeichnete Buch, ohne sich bis dahin daran erinnert zu haben, schon einmal durchgelesen hat. Was ihn zu der schier verzweifelten Frage führt, warum man denn überhaupt noch lesen sollte, wenn Bücher ja doch keine bleibenden Erinnerungen und Veränderungen bewerkstelligen können ... Diese Geschehnisse, Gedanken und Gefühle (inklusive einer Erklärung für dieses Phänomen, das ja vielleicht seinen besonderen Sinn hat) nicht nur rezitatorisch, sondern auch eindrücklich szenisch umsetzend, entließ der Vortragende das recht große und nicht mit Applaus sparende Publikum aus dem Vortragssaal. Info Die nächste „Blaue Stunde“, in der es unter dem Motto „Splitter eines heillosen Stoffes“ wiederum um die „Nibelungen“ geht, findet am Freitag, 30. November, 18 Uhr, im Casino der Kaiserslauterer Volksbank statt.

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