Kaiserslautern Bittere Wahrheiten im Plauderton

Ausgerechnet Bananen: Hagen Rether sinniert im Kasino.
Ausgerechnet Bananen: Hagen Rether sinniert im Kasino.

Ausverkauft! Aus allen Teilen der Region kamen am Donnerstagabend Besucher ins Kasino der Kammgarn, um sich von Hagen Rether den Kopf waschen zu lassen und ihn dann auch noch mit brausendem Applaus zu verabschieden. Vier Stunden lang nahm einer der brillantesten Kabarettisten des Landes voller Sarkasmus, Ironie und Angriffslust das Weltgetriebe auseinander. Leider überdehnte er sein Programm zu sehr.

Hagen Rether, schwarzer Anzug, weißes Hemd, Pferdeschwanz, räkelt sich im Sessel. Die Beine übereinander geschlagen, atmet er hörbar, stützt das Kinn in der offenen Hand und seufzt: „Lasst uns noch’n Moment die Freiheit genießen.“ Da müsse man nun teures Eintrittsgeld zahlen, damit man einen Moment Ruhe kriegt. Rether ist wie ein alter Diesel, der erst mal warm laufen muss, bevor er in Fahrt kommt. „Ertappen Sie sich auch dabei, dass Sie auf einmal das Abtreten von Merkel bedauern?“, fragt er hintergründig und grinst dabei spitzbübisch. „Friedrich Merz und Merkel! Da treffen der Klassenschläger und die Musterschülerin aufeinander.“ Jetzt wolle sich die CDU mit dem 63 Jahre alten Merz erneuern. „Ne konservative Partei will sich erneuern!“ „Liebe“, so der seit Jahren konstante Titel des Programms, kommt darin nicht vor, zumindest nicht in Form von Herzen, die zueinander finden. Romantisch kommt allenfalls die Musik des brillanten Pianisten ganz zum Schluss des Programms daher. Sichtbar wird jedoch die Menschenliebe eines Kabarettisten, der an Aufklärung und an die Möglichkeiten zur Umkehr noch am Abgrund glaubt. Es wirkt wie Plaudern, nicht wie Kabarett. Und ist doch das Schärfste, Durchdachteste und Konsequenteste, das im deutschen Kabarett zur Zeit zu erleben ist. Sprachlich so geschliffen wie knallhart wehrt sich da ein von der Welt enttäuschter Intellektueller und betreibt Aufklärung in ihrer furiosesten Form. Donald Trump, dessen Vorfahren ja aus Deutschland stammen, hält er für ein Beispiel missglückter Integration. Tausende schwarze Teenager würden in Amerika jedes Jahr von weißen Polizisten erschossen. 30.000 Schusswaffentote! Das wundere ihn nicht. „Der Opa war in Vietnam, der Vater im Irak und der Sohn kämpft nun in Afghanistan. Die sind doch alle paranoid.“ Wir seien jedoch nicht reifer als die Amerikaner, hakt er ein, wir hätten bloß ein Waffenverbot. Schäuble habe er stets für reaktionär gehalten. „Seit aber der Gauland im Reichstag sitzt, kommt mir der Schäuble fast links und fortschrittlich vor.“ Die CDU habe man ja nicht wählen können, sagt er und reibt sich die Nase, „da hättest du ja den Seehofer mitgewählt und den Söder, den Scheuer und den Dobrindt. Dass die sich überhaupt Christen nennen.“ Man könne ja so herrlich autokratisch regieren, „wenn dieses Scheiß-C nicht wäre“. Und jetzt kommt er richtig in Fahrt. Christliche Werte müsse man nicht gegen Flüchtlinge verteidigen, sondern für Flüchtlinge, konstatiert er. Eine Leitkulturdebatte brauche man nur, „wenn du innerlich hohl bist“. Wegen der Million Flüchtlinge machten sich die Politiker jetzt die Hosen voll. „Seit 2000 Jahren machen sie doch in den Kirchen die Generalprobe für Nächstenliebe, und jetzt, wo der Ernstfall eingetreten ist, wollen sie nichts davon wissen.“ Dass 300.000 Flüchtlinge in Brot und Arbeit seien, davon spreche niemand. „Unsere Lebensweise ist deren Fluchtursache“, beteuert er. „Ryanair und DFL halten unterbezahlte Sklaven, brennen deswegen Autos? Tausende Kinder wurden von Priestern missbraucht, brennen deshalb die Kirchen?“ Schützenvereine, Trachten, Saufen, Rasen, das sei deutsche Leitkultur, das sei Tradition. Sätze, die man einrahmen müsste. Eine einzige, in Pointen verpackte Anklage an Pseudodemokratie, den Raubtierkapitalismus, religiöse Fanatiker und unsere Konsumwelt. Die Welt werde täglich ungerechter, so der 49-Jährige, das Geflecht aus politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten immer dichter. Vor diesem Hintergrund demaskiert Rether Strippenzieher, Strohmänner und Sündenböcke. Von der Religions„freiheit“ über das Wirtschaftswachstum bis zur „staatlichen Lizenz zum Töten“ kommt alles auf den Tisch. Nicht zuletzt hält er ein eindringliches Plädoyer für geschundene Tiere und Veganer. Doch die Verantwortung, das schärft er uns ein, tragen nicht „die Mächtigen“ allein. Wir, ihre mehr oder weniger willigen Kollaborateure, müssten uns am eigenen Schopf aus unserer Komfortzone ziehen, um nicht in den Abgrund zu stürzen, den wir gemeinsam geschaufelt haben. So entlarvt dieser unbequeme Kabarettist so manchen Volkszorn samt seiner Empörung auf „die da oben“ als Untertanentum. So bleibt mancher Lacher im Halse stecken, wohl wissend, dass die bittere Wahrheit nur mit Humor zu ertragen ist. Für flache Witze ist Rether nicht zu haben. Dafür aber bringt er bittere Wahrheiten unters Volk – präzise beobachtet und ohne Rücksicht auf Glaubenssätze oder politische Korrektheit. Eine Sternstunde des Kabaretts. Tosender Beifall, und das im Stehen.

x