Grünstadt/Leiningerland Schwere Zeiten für den Bio-Handel

Die Inhaber (drinnen: Niels-Holger Albrecht, vorn: Sibylle Albrecht) des Bio-Ladens Herrlisch in Grünstadt machen auf ihre drama
Die Inhaber (drinnen: Niels-Holger Albrecht, vorn: Sibylle Albrecht) des Bio-Ladens Herrlisch in Grünstadt machen auf ihre dramatische Situation mit Flipcharts vor abgehängten Schaufenstern aufmerksam

Der Handel leidet unter den Folgen von Ukraine-Krieg, Energiekrise und Inflation, die in Deutschland bereits bei 10,4 Prozent liegt. Besonders hart trifft es die Bio-Branche. Wenn sich nicht grundlegend etwas ändert, wird es den Naturkostladen Herrlisch in Grünstadt bald nicht mehr geben.

Oje, ist der Naturkostladen Herrlisch geschlossen? Die Schaufenster und die Tür des Geschäftes in der Grünstadter Fußgängerzone sind mit Packpapier zugeklebt. Wie tote Augen wirken die Scheiben. So haben sich der Inhaber Niels-Holger Albrecht und seine Ehefrau Sibylle die „Dekoration“ anlässlich des fünfjährigen Bestehens ihres Bio-Shops am 4. November nicht vorgestellt. Aber sie haben zu diesem drastischen Mittel gegriffen, um auf ihre dramatische Situation aufmerksam zu machen. Diese sei existenzbedrohend, sagen die beiden.

Mit dem Überfall auf die Ukraine hat Russland eine Zeitenwende eingeläutet – auch im Verbraucherverhalten. „Seit März sind die Umsätze stark rückläufig, teilweise um 25 Prozent“, berichtet Sibylle Albrecht. Zunächst habe man gedacht, dieser Abwärtstrend werde sich nach Überwindung des ersten Kriegsschocks wieder ins Positive umkehren. „Im Sommer habe ich aber schon befürchten müssen, dass wir das nicht überleben“, so die 52-Jährige, die seit Juni zwei Tage pro Woche wieder in ihrem studierten Beruf als Sozialpädagogin arbeitet.

Abwärtstrend hält weiter an

Bislang habe man die andauernde Flaute zwar durch sehr gutes Kostenmanagement abfangen können. „Wir überlegen sehr genau, was wir einkaufen. Auch haben wir der Reinigungsfirma gekündigt und putzen nun alles selbst“, erläutert sie. Doch im Herbst, in dem es branchenspezifisch eigentlich stets bergauf gehe, änderte sich am Produktabsatz bisher nichts. Im Gegenteil: „Im September hatten wir ein Minus von neun Prozent, im Oktober von 20 Prozent“, schaut sie in die Statistik. Dabei, so ihr Gatte, gebe es für die Konsumzurückhaltung keinen rationalen Grund. Er hebt hervor: „Bio-Artikel verteuern sich nicht in gleichem Maß wie die konventionell hergestellte Ware.“ Denn im ökologischen Landbau dürften weder synthetische Pestizide noch künstliche Düngemittel eingesetzt werden. Deren Preise sind bis auf das Zehnfache geklettert. „Und das Futter wird in der überwiegend kleinteiligen Erzeugerstruktur selbst produziert“, so der 62-Jährige. Darüber hinaus seien die Transportkosten aufgrund kürzerer Wege geringer.

Auf Letzteres und auf die generell „deutlich geringeren Preisanstiege“ im Öko-Fachhandel verweist auch der Pressesprecher des Bundesverbandes Naturkost Naturwaren (BNN), Hans Kaufmann. Es seien in den vergangenen Monaten im Schnitt fünf Prozent gewesen – im Gegensatz zu 20 Prozent im konventionellen Bereich. „Bei Milchprodukten sind Bio-Erzeugnisse inzwischen teilweise sogar billiger“, so Kaufmann.

Auch Kleinsägmühlerhof mit weniger Umsatz

In den Köpfen der Verbraucher sei jedoch verankert, dass bio teuer sei, sagt Richard Danner, Leiter des Kleinsägmühlerhofs in Altleiningen. In seinem Öko-Betrieb registriere er rund 15 Prozent weniger Umsatz als 2020/21. „Dabei darf man aber nicht vergessen, dass Corona einen signifikanten Nachfrageschub gebracht hatte“, so der Agraringenieur. Gegenüber 2019 betrage das Umsatzminus aber immerhin auch noch etwa zehn Prozent. Für seinen Hofladen lasse sich jedoch der Effekt der monatelangen Vollsperrung der L520 nicht sauber herausrechnen.

Nach den Ausführungen von BNN-Sprecher Kaufmann ist die bundesweite Absatzmenge an Bio-Produkten nicht gesunken. Zu beobachten sei allerdings, dass die Kunden derzeit eher zu günstigeren Eigenmarken der Supermärkte greifen als im Fachhandel zu kaufen. Zudem investierten sie ihr Geld nach dem weitgehenden Wegfall der Corona-Einschränkungen ins Essen-Gehen und in Reisen. Durch diese äußeren Faktoren, zusammen mit den enormen Energiekosten und den steigenden Löhnen, „könnten gesunde mittelständische Unternehmen der Bio-Branche durchaus in Bedrängnis geraten“, erläutert er. Nach dem BioHandel-Umsatzbarometer seien die Umsätze im dritten Quartal insgesamt um 8,6 Prozent gesunken, in den beiden Vierteljahren zuvor waren die Rückgänge zweistellig.

Herrlisch: Personal reduziert

Laut den Albrechts, die sich auch noch mit einer Mieterhöhung und Umbauplänen der neuen Eigentümer ihres Geschäftshauses beschäftigen müssen, hat einer der Bäcker, von denen sie täglich frische Ware erhalten, einen Liefertag in der Woche gestrichen, um Fahrtkosten zu sparen. Aus dem siebenköpfigen Mitarbeiterteam von Herrlisch sei der Minijobber ausgeschieden, eine Vollzeitstelle habe man auf 60 Prozent reduziert und eine Teilzeitkraft verzichte auf einige Wochenstunden. Sibylle Albrecht sagt traurig: „Allmählich wird das Eis dünn.“

Da man gegen die Teuerungen wenig tun könne, müsste sich die Kundenfrequenz deutlich erhöhen. Aktuell kämen weniger Menschen in den 180 Quadratmeter großen Laden als wenige Monate nach der Eröffnung im November 2017. Vor der Corona-Krise seien täglich im Durchschnitt rund 130 Käufer da gewesen. „Jetzt haben wir Tage mit 65 Kunden“, sagt Sibylle Albrecht. Darüber hinaus würden alte Gewohnheiten über Bord geworfen, die Welt sei komplett aus den Fugen geraten. Sie nennt ein Beispiel: „Normalerweise ist der Freitag der umsatzstärkste Tag der Woche. Momentan kann es passieren, dass an einem Dienstag am meisten los ist. Darauf sind wir dann aber mit unserem frischen Angebot nicht vorbereitet.“ Das setze mitunter gefährliche Mechanismen in Gang, sagt ihr Ehemann. Ein Kunde, der ein leeres Regal vorfinde, komme eventuell kein zweites Mal. Und wenn das geschrumpfte und dadurch überbelastete Personal gestresst sei, wirke das ebenfalls negativ auf potenzielle Käufer, so Niels-Holger Albrecht.

Sollte der Naturkostladen in der Hauptstraße tatsächlich schließen müssen, wäre das ein großer Verlust, sagt der Geschäftsführer des Wirtschaftsforums Grünstadt, Ernst-Uwe Bernard. Insgesamt herrsche bei den Einzelhändlern in der Werbegemeinschaft „gegenwärtig keine Euphorie“. Doch die Auswirkungen der aktuell unruhigen Zeiten seien je nach Branche unterschiedlich. Insgesamt hat der Konsumklima-Index der Nürnberger Marktforscher GfK aber den tiefsten Stand seit zwei Jahren erreicht. Im Oktober 2020 lag er bei minus 1,7, zwölf Monate später mit 0,4 leicht im Plus und jetzt ist der Wert auf minus 42,8 gesunken.

Im Hofladen des Kleinsägmühlerhofs in Altleiningen werden aktuell auch weniger Bio-Produkte gekauft, von links: Betriebsleiter R
Im Hofladen des Kleinsägmühlerhofs in Altleiningen werden aktuell auch weniger Bio-Produkte gekauft, von links: Betriebsleiter Richard Danner mit zwei seiner Mitarbeiter Rudi Kuhn und Thorsten Stefaniak.
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