Grünstadt „Man muss singen wollen mit Leib und Seele“

Ruhepol Königsbach: Mitte der 60er Jahre baute die weltweit gefragte Opernsängerin Erika Köth mit ihrem Mann Ernst Dorn ein Haus
Ruhepol Königsbach: Mitte der 60er Jahre baute die weltweit gefragte Opernsängerin Erika Köth mit ihrem Mann Ernst Dorn ein Haus mitten in den Weinbergen, wo sie bis zu ihrem Tod 1989 lebte.

Unsere erste Begegnung im September 1985 ist mir noch lebhaft in Erinnerung; Erika Köth hatte den Kaffeetisch gedeckt, und es gab frisch gebackenen Zwetschgenkuchen. Ihre bodenständige, unkomplizierte, dabei herzliche Art erstickte sofort jedes Gefühl von Beklommenheit und Nervosität in mir im Keim. Sie plauderte humorvoll, bildreich, und aus dem „Nähkästchen“. Zum Beispiel erzählte sie mir von ihrem recht strengen, sittsamen Elternhaus, in dem ihre Ambitionen jedoch gefördert wurden. Zimperlich sei man nicht mit ihr umgegangen. Sie hatte ja einen kleinen Gehfehler – Folge einer Kinderlähmung in ganz jungen Jahren –, den sie mit Hilfe von Spezialschuhen kaschieren konnte. Ihr Vater habe sie stets zu besonderem Fleiß angehalten: „Du bist net b’sonders schee, grad übermäßig g’scheid bist a net – umso besser musst halt singen!“, so sein nüchterner Rat. 1945 hatte sie ihren ersten öffentlichen Auftritt bei einer Weihnachtsfeier des Deutschen Roten Kreuzes in einer ausgedienten Darmstädter Kaserne. Schon damals war das Honorar exorbitant – wenn auch nicht ausgehandelt, sondern im Nachhinein und aus dem Gefühl dankbarer Begeisterung gewährt: etwas Kaffee, etwas Butter und Sirup, ein Kommissbrot - Schätze von unschätzbarem Wert im Hungerdeutschland der Stunde Null. „Wir stellten das Päckchen unter den kleinen Weihnachtsbaum und heulten vor Glück“, erinnerte sich Erika Köth. Vierzig Jahre lagen zwischen diesem ungewöhnlichen Debüt und jenem Interview. Und eine Welt-Karriere als Koloratur-Sopranistin, deren künstlerischer Stellenwert mit dem oft strapazierten Superlativ „beste Mozart-Sängerin ihrer Zeit“ plakativ festgeschrieben war. Erika Köth selbst winkte energisch ab bei dem Spruch: „Da hat’s doch no Andere geb’n!“ Dabei lachte sie, ließ verschmitzt Grübchen aufblühen, parlierte wohlgelaunt, und zwar in süddeutschem Dialekt-Mix, das heißt Rheinhessisch mit gelegentlichen Ausflügen ins „zwischenbeheimatete“ Bayerische. Knochenarbeit, der Beginn – Gesangsstudium im Desaster der Nachkriegsverhältnisse: „Ich bin durch amerikanische Nachtclubs getingelt, hab mehr als einmal auf dem Fußboden übernachtet, wenn kein Zug mehr nach Hause ging.“ Vom ersten Engagement am Pfalztheater Kaiserslautern im Jahr 1948 schwärmte sie. In „K-Town“ hatte sie auch ihren Ehepartner Ernst Dorn kennengelernt: „Uff’m Betze. Er saß hinter mir und hat sich fürchterlich heiser g’schrien.“ Zwei Jahre später kam der Wechsel nach Karlsruhe, und ab dann gab es kein Halten mehr: München (1953), Salzburg (1955), schließlich Wiener Staatsoper, Mailänder Scala und New Yorker „Met“. Erika Köth war zur gefeierten Primadonna Assoluta der zaghaft zu neuem Selbstbewusstsein erstarkenden deutschen Opernszene avanciert. Wo immer sie in Sachen Mozart, als „Konstanze“, „Zerlina“, „Susanna“ oder „Pamina“ auf der Bühne stand, ob sie die „Sophie“ im „Rosenkavalier“ oder „Gilda“ sang, als „Traviata“ litt und starb, geizte das Publikum nicht mit Ovationen, überschlugen sich die Kommentare der Feuilletonisten. Ihr Credo: „Besessen muss man sein, singen wollen mit Haut und Haar, mit Leib und Seele“. Und: „Dienen, nicht verdienen wollen.“ Ein gewichtiges Stück Berufsethik, das sie auch stets ihren Schülern mit auf den Weg gab. Starkult war ihr zuwider: „Ich muss total in dem aufgehen, was ich musikalisch versuche darzustellen. Vor allem muss ich mein Publikum lieben, ganz gleich, ob ich in Covent Garden oder auf der improvisierten Bühne einer Turnhalle singe“, sagte sie. Die Ausdrucksskala ihrer berückend leichtfüßigen, so unverwechselbar timbrierten Stimme war immens. Keine Zweite kommt mir in den Sinn, die „Pamina“ und „Königin der Nacht“, jene zwei Ur-Antipoden des Prinzips Weib, gleicherweise überzeugend verkörperte. Dirigenten-Koryphäen wie Ferenc Friscay, Hans Knappertsbusch und Keilberth, Karajan und vor allem aber Karl Böhm waren Partner auf Augenhöhe. „Mozart und Böhm – das war eine unbeschreibliche Synthese von musikalischer Schöpfung und künstlerischer Umsetzung“, schwärmte sie einmal. Nach Königsbach war sie eher zufällig geraten. Irgendwann zu Beginn der 60er Jahren hatte sie mit Freunden eine Landpartie unternommen, man machte Picknick in der Neustadter Gegend, in sanfter Hügellage eines Weinbergs. In der Gesellschaft befand sich der Königsbacher Ortsbürgermeister. „Hier müsste man leben dürfen!“, hatte sie ausgerufen angesichts des zauberhaften, aber damals noch vollkommen unerschlossenen Areals. Wenige Monate später kam die Offerte. Irgendwie hatte der Königsbacher Orts-Chef es geschafft, einen Bebauungsplan auf den Weg zu bringen, das Gelände erschließen zu lassen. Erika Köth und ihr Mann, ein Speyerer, waren die ersten Bauherren. Das Neubaugebiet wuchs in den Folgejahren um sie herum. Der unverstellte Blick in die Ebene und auf Weinberge blieb aber erhalten. Praktischerweise nannte man die erste Straße im neuen Gebiet auch gleich nach der prominenten „Pionierin“. Nach 1985 hatte ich mit Erika Köth vor allem im Herbst Kontakt, wenn die „Neustadter Meistersingerkurse“ anstanden. Sie unterrichtete ja schon länger an den Musikhochschulen Köln und Mannheim, hatte 1978 in München mit einer letzten umjubelten Mimi in Puccinis „Boheme“ der Bühne Ade gesagt, um sich ganz der Nachwuchspflege zu widmen. Bühnenerfahrung und subtiles Gespür für die speziellen Talente ihrer Schützlinge führten ihr die Hand, wenn sie unterrichtete; auch beim Entwurf der Dramaturgie für das jeweilige Abschlusskonzert. Sie wusste: Die Jury – in aller Regel prominent besetzt – würde hohe Maßstäbe anlegen und im Publikum saßen auch regelmäßig Intendanten mit scharfem Blick und Ohr für zukünftiges „Rampenfutter“. Im Rückblick muss ich zugeben, dass es mir damals sehr geschmeichelt hat, dass sie nie versäumte, mich den Jurymitgliedern einzeln vorzustellen, wie sie uns Presseleute stets zuvorkommend behandelte. Es waren unter denen, denen ich da die Hand schüttelte, ja die hochverehrten „Sänger-Götter“ meiner Generation vertreten, Sena Jurinac, Christa Ludwig, Heinz Hoppe, Rudolf Schock oder Sylvia Geszty, die dann nach Köths Tod die Neustadter Kurse übernahm. Die waren für etliche junge Sängerinnen und Sänger, und nicht nur für die preisgekrönten, eine wichtige Wegmarke in Richtung Karriere, zumal Erika Köth sie weit über den Tag hinaus betreute und im Hintergrund ihre Fäden zog. Mein letzter Besuch bei Erika Köth fand wenige Wochen vor ihrem Tod statt. Ihr liebevoller Ehemann Ernst Dorn, der sich sonst stets etwas im Hintergrund gehalten hatte, bedeutete mir diesmal besorgt, ich möge meine Gesprächspartnerin nicht zu lange strapazieren. Sie war schon schwer gezeichnet von ihrer Krebserkrankung, schmal und deutlich geschwächt. Auch jetzt schaffte sie es wieder, mir die innere Beklemmung (die natürlich ganz andere Ursachen hatte als beim ersten Kennenlernen) wie wegzupusten. Weder jammerte sie, noch hatte sie ihre natürliche Fröhlichkeit eingebüßt. Sie wirkte erstaunlich gelassen und im Gespräch, das vor allem um ihre Meistersingerkurse und wie es weitergehen sollte, zirkulierte, festigte sich mein Eindruck, dass sie sich nicht nur einfach sehr gut im Griff hatte. Nein, sie wirkte enorm gefasst, mehr noch: fast heiter. Sie hatte, wie sie es selber formulierte, „jetzt, so spät, aber nicht zu spät“ zum Glauben gefunden. In ausführlichen Gesprächen mit ihrem geistlichen Beistand trieb sie intensiv „Bibelkunde“, hinterfragte ihr Dasein, „das ich als unendlich reich, ausgefüllt und privilegiert empfinde“, ganz neu. Sie habe die Fülle des Lebens genossen und könne jetzt loslassen. Auf mich wirkte Erika Köth sehr authentisch in diesem Moment und ich bin sicher, sie ist wirklich getröstet gestorben.

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