WATTENHEIM Jubiläum 800 + 1: Wattenheim feiert Geburtstag
Eigentlich sollte die Geburtstagsparty von November 2020 bis November 2021 laufen. In einem Schriftstück vom 17. November 1221 hatte nämlich Bischof Heinrich II. von Worms bestätigt, dass der Leininger Graf Friedrich I. das Pfarrsatzrecht zu Wattenheim und sein dortiges Besitztum dem Kloster Höningen geschenkt hat. Das war die erste gesicherte urkundliche Erwähnung des Ortes. Solche Details sind in einem 55-minütigen Film zu erfahren, an dem die Interessengemeinschaft Gemeindearchiv drei Jahre lang gearbeitet hat. „Wir haben viel improvisiert, weil zu etlichen inhaltlichen Details kein Bildmaterial zur Verfügung stand“, sagte Boris Roudensky, der zusammen mit Mathias Hemmer das Lebenswerk des 2013 verstorbenen Heimatforschers Anton Meißner fortsetzt.
Drei Jahre am Film gearbeitet
Entstanden ist ein sehr informatives Werk, bei dem auch viele Erinnerungen wach werden, etwa an das 2008 abgerissene Wahrzeichen, den 35 Meter hohen Wasserturm. Der Film, der nach einem Kurzvortrag von Hemmer über das 1420 niedergeschriebene örtliche Recht (Weistum) mehrmals gezeigt wurde, beginnt bei der ersten Besiedlung der Gemarkung. Diese wird durch Funde aus der Zeit um 800 vor Christus belegt. Wattenheim war einst ein sehr bedeutender Ort, wo das Forstamt, die Post, die Telegraphenanstalt, die Einnehmerei (Vorläufer des Finanzamtes), unzählige Gewerbebetriebe und ab 1867 die einzige Apotheke weit und breit ihre Sitze hatten. Auch die Gendarmerie, die für den Bereich der ehemaligen Verbandsgemeinde Hettenleidelheim zuständig war, hatte in Wattenheim ihre Wache mit Arrestzelle. 1842 wurde in dem Dorf, das damals 1475 Einwohner und damit weit mehr als Eisenberg hatte, die größte Schule der Region eingeweiht.
Udo Diemer, dessen Mutter Hausmeisterin war, erzählte lachend: „Ich war der einzige Schüler, der acht Jahre lang immer trockenen Fußes in den Unterricht kam.“ In einem Nebengebäude sei 1953 ein Volksbad eingerichtet worden, blickte der 75-Jährige auf drei Wannen und sechs Duschen. Viel weiter zurück in die Vergangenheit ging es in dem denkmalgeschützten Hof von Rudolf Schmidt und Angelika Weich-Schmidt. Der Schlussstein über einem Gewölbekeller trägt die Jahreszahl 1788. „Damals wurden auch Scheune und Stall gebaut“, erläuterte der Hausherr, der betagte Geräte und Gefährte für die Nachwelt bewahrt. Bis 1783 habe in dem Anwesen ein Bäcker gelebt, sagte er zu einer Brezel über einer Tür. Im hinteren Bereich des 1700 Quadratmeter großen Grundstücks hat das Ehepaar einen traumhaften Garten angelegt, mit vielen Rosen, romantischem Teich und chinesischen Seidenhühnern.
Sammlung erstmals gezeigt
Letztere bekommt man selten zu Gesicht, ebenso wie eine Pickelhaube mit Rosshaar, einen Bettwärmer aus Kupfer und ein Schlotterfass. „Das hat der Bauer mit Wasser gefüllt am Gürtel getragen“, erklärte Friedrich Luy, der die vor rund 60 Jahren von seinem Vater begonnene Sammlung historischer Gebrauchsgegenstände weiterführt und anlässlich des Dorfjubiläums erstmals der Öffentlichkeit präsentierte. In dem Wasserbad habe ein Wetzstein gesteckt, mit dem unter anderem die Sense geschärft werden konnte.
Spinnräder, eine reich verzierte Schmucktruhe, Brustpanzer und Helm eines Kürassiers (Soldat) aus dem Jahr 1884 waren dort ebenso zu sehen wie Bücher: die knapp 300 Jahre alten „Evangelischen Betrachtungen“ des Theologen Johann Jakob Rambach (1693 bis 1735) und eine Bibel von 1774 lagen auf dem Tisch.
Puppenstuben in Schuhkartons
Von 2022 waren die knapp 50 halbrunden Windlichter im Pausenhof der Grundschule. „Meine Drittklässler haben sie aus Fließbeton gefertigt“, erläuterte Lehrerin Melanie Dohn. Formgebend sei jeweils ein Luftballon gewesen, der nach dreitägiger Trocknungszeit des zementhaltigen Materials entfernt werde. „Anschließend haben wir die Halbkugeln mit goldener Acrylfarbe gestrichen“, so die Pädagogin. Die Viertklässler haben unter anderem Puppenstuben in Schuhkartons gebastelt, richtig mit Tapete an den Wänden und Seifenstückchen im Badezimmer. Von den Erst- und Zweitklässlern waren farbenfrohe Gemälde im Stil des Pop-Art-Künstlers James Rizzi ausgestellt.
Beim Haus Fernekeß waren der sechsjährige Noah und der acht Jahre alte Matteo gerade dabei, aus einem runden Stück Leder und zuvor von kleinen „Seilern“ geflochtenen Schnüren mittelalterliche Taschen zu machen. Guggux-Hexe, gewandet in Leinen-Cotten mit Surcot und Brouche, leiteten die Kinder beispielsweise auch in der Herstellung von Armschmuck und dem Backen von Stockbrot an. Da es auf dem Festplatz um die Mittagszeit nichts zu essen gab – der knapp 600 Kilogramm schwere Ochse am Spieß war noch längst nicht gar – tummelten sich die Geburtstagsgäste am Stand mit thailändischen Spezialitäten im Hof des Burgmuseums. Drinnen hat Arnulf Schott auf 42 Quadratmetern bekannte Festungsanlagen detailgetreu aus Pappe nachgebaut.
16-jährige Schriftstellerin
Der Fantasie entsprungen ist die Geschichte von Emma Layes Debütroman „Apokalypso“. Im ersten Lockdown habe sie angefangen, ein Comic zu erstellen, dann aber ein Buch daraus gemacht, sagte die 16-Jährige, die ihr Werk vor einer Stellwand mit eigenen Zeichnungen in der Festhalle präsentierte. Es geht um eine Zeitreise in die Nach-Menschen-Ära. „Die Idee entstand, weil wir im Bio-Unterricht darüber gesprochen haben, ob es Tier-Mensch-Hybriden geben kann“, erklärte sie.
Draußen auf der Bühne führten Kinder, die beim ATSV von Steffi Nagel trainiert werden, einen Tanz auf. Alle trugen mit Jubiläums-Motiven selbst gestaltete T-Shirts. Auf dem Rücken standen die Namen, sodass Bürgermeister Carsten Brauer (CDU) keine Probleme hatte, die kleinen Tänzer vorzustellen. Ratsmitglied Franz Pings (SPD), der am Getränkestand Bier zapfte, berichtete von guter Resonanz und toller Stimmung am Abend zuvor, als die Gruppe Spätlese spielte. Für Samstag war die Band Revoc gebucht. Es gab noch jede Menge weiterer Programmpunkte und am Sonntag ging die Feier in dem hübsch dekorierten Dorf weiter. Wer zwischendurch mal abschalten wollte, konnte sich in die – ebenfalls liebevoll geschmückte – katholische Kirche St. Alban zurückziehen. Das Gotteshaus ist täglich von 10 bis 12 Uhr geöffnet. Pater Clifford Chikeobi Modum sagte zu dem Jubiläum: „Wer seine Geschichte nicht kennt, verliert die Orientierung in der Gegenwart und die Zukunft bleibt ihm unvorstellbar.“