Grünstadt Gelungene musikalische Balanceakte
Ein interessantes Nebeneinander von flott und zupackend interpretierter sowie rein technisch bestens ausgeführter Barockmusik, über deren weiterlaufendes Generalbassfundament sich teils gekonnte Jazz-Kantilenen erhoben, bot der Kulturverein am Sonntag in der Friedenskirche. Es spielte das verstärkte Instrumentaltrio Il Giratempo – was wohl besagen will: der Zeitenlauf.
Dass ein schon um 17 Uhr angesetztes Konzert an einem für Ausflüge aller Art bestens geeigneten Sommersonntag deutlich weniger Publikum anzieht als seine Vorgänger früher im Jahr bei kühlerer Witterung oder später am Tag, liegt auf der Hand; Kulturvereinsvorsitzender Volker Handwerk fing das in seiner erfrischend knappen und herzlichen Begrüßung geschickt mit der Bemerkung auf, er freue sich, dass trotz allem, was sonst noch sei, so viele gekommen waren. Diese nun erwiesen sich als aufgeschlossen und aufmerksam, sogleich stellte sich eine richtige Wohlfühlatmosphäre ein, und was vorn in der dritten Reihe zu laut gewesen sein mag – Saxofon und Gesang – klang hinten im Eck vorzüglich. Es sang die Mezzosopranistin Laila Salome Fischer, es jazzte der Jazzsaxofonist Magnus Mehl aus Rottweil. Das harmonische Fundament legte Il Giratempo in der Besetzung Max Volbers, Cembalo und Blockflöte, Shen-Ju Chang, Viola da Gamba, und Vanessa Heinisch, Motor des Crossover-Projekts, mit Theorbe und Barockgitarre. Nun aber endlich hinein in die Musik: „L`Eraclito amoroso“ von Barbara Strozzi (1619-77) macht den Anfang. Der Gesang schwebt von Anfang an kraftvoll, klar, entschieden, leuchtend über einem ostinaten, also immer wiederkehrenden Bassmotiv – ein Leichtes also, über diesem weiterlaufenden Fundament druckvolle, expressive Jazz-Kantilenen des Saxofons einzuschieben. So unterschiedlich beides ist: es fügt sich bestens zusammen. Die Kombination ist auch klanglich hochdelikat und vor allem überraschend und hochinteressant. „Illustratevi, o cieli“ aus Claudio Monteverdis „Rückkehr des Odysseus“ – zusammen mit seiner „Krönung der Poppea“ die älteste Oper auf unseren Theaterspielplänen – singt Laila Salome Fischer zupackend und expressiv, jede Zeile des Gesangs wird instrumental wiederholt und vom Saxofon kommentierend ausgeziert. Auch das erscheint als sehr gelungen. Max Volbers greift nun zur Blockflöte und spielt mit Gambe und Theorbe – eine Langhalslaute mit klangverstärkenden Resonanzsaiten – die Sonate seconda von Giovanni Battista Fontana, was er mit Eleganz, emotional belebt und in sehr schöner dynamischer Abstufung tut. Auch Vanessa Heinisch mangelt es nicht an Temperament, indes Shen-Ju Chang für schöne klangliche Verbindung sorgt. Es folgen Sätze von Giulio Caccini und Cyprien de Rore – letzterer erst jazzig, dann instrumental gebracht. Dann recht überraschend der noch heute an Pfingsten in der heiligen Messe gesungene Hymnus „Veni Creator Spiritus“ („Komm, Schöpfer Geist“), der auf Hrabanus Maurus im 9. Jahrhundert zurückgehen soll. Fischer singt die schlichten gregorianischen Strophen, indes ihre Kollegen ein immer dichteres instrumentales Liniengeflecht darüberknüpfen. Auch das hochinteressant. Vor der Pause noch einmal Barbara Strozzi: „E pazzo il mio core“. „Das lyrische Ich ärgert sich über sich selbst, weil es in der Liebe immer wieder dieselben Fehler macht“, fasst Fischer den Text zusammen. Die markante, ausdrucksstarke Melodie trägt sie mit Kraft und großer Lautstärke vor: Das lyrische Ich ärgert sich offenbar sehr. Es folgt ein freier Saxofon-Kommentar, dem die Theorbe, wie beim Rezitativ, die Satzzeichen setzt. Bei aller Bewunderung für die Stimmmacht der Sängerin und die Lungenkraft des Saxofonisten: weniger laut wäre schöner gewesen, und hier gab es auch mal Saxofonkommentare, die sich eher störend über die barocke Musik schichteten. Zweimal vor der Pause, zweimal nach der Pause: Barbara Strozzi galt der Schwerpunkt des Konzerts: Sie soll als Frau im 17. Jahrhundert die Musikszene Venedigs aufgemischt haben. Insofern hätte man gern etwas mehr über diese wenig bekannte Komponistin erfahren. Der Kulturverein betreibt manchen Aufwand mit vierfarbig gedruckten Handouts und Karten. Er sollte sich auch an das Wichtige machen, das andernorts längst Standard ist: Die Programmzettel mit einigen knackigen Hintergrundinformationen nicht nur zu Professoren und Auszeichnungen der Künstler, sondern vor allem zur gespielten Musik - und in diesem Fall auch mit den italienischen Texten und Übersetzungen - aufwerten. Das ist besonders verständnisfördernd bei einer Musik, die so sehr aus der Vertonung der Textaffekte schöpft wie die zu Zeiten Monteverdis und Strozzis. Von beiden gab es in der zweiten Hälfte sehr angenehm vorgetragene Stücke, die immer wieder das herrlich leichte und lebhaft funkelnde Cembalospiel Max Volbers` leuchten ließen. Zunächst „Addio Roma“ aus Monteverdis „Poppea“. Wenige Cellotöne von großer Ausdruckskraft, ein schmerzlicher Abschied, zunächst verhalten, dann mit großer Gebärde gesungen: Das ist Monteverdis typische Monodie, ganz der Sprachmelodie abgeformt, dazu wunderbar perlende gebrochene Cembaloakkorde. Zunehmende Erregung bei Laute und Sängerin, am Ende feinstes Piano – und anerkennender Applaus. Dann gefällt der herrliche Schlager „Si dolce“. Eine Ciaconna von Bernardo Storace wird von Cembalo und Saxofon improvisatorisch fortgesponnen. Wer nun gedacht hätte, die Saxofon-Improvisationen würden von der barocken Musik ausgehen, Metamorphosen zum Jazz und vielleicht wieder zurück erleben, sah sich getäuscht. Der gelernte Jazzer bleibt bei seinem Stil und setzt Überraschungseffekte, indem er sich nach zwei Trugschlüssen – das zweite Mal schon im Klatschen – noch mal einschaltet. Das ist schon recht amüsant, ebenso wie die geradezu groteske Zugabe: Laila Salome Fischer schrappt über eine Kindergitarre und singt atemberaubend seltsam „Der Hölle Rachen“ aus Mozarts Zauberflöte. Brandender Applaus.