Grünstadt Ein Stein. Ein Name. Ein Mensch.

Gunter Demnig bei der zweiten Stolperstein-Aktion 2014 in Grünstadt
Gunter Demnig bei der zweiten Stolperstein-Aktion 2014 in Grünstadt
Das Konzept

Ein Stein. Ein Name. Ein Mensch. Das ist das Konzept des Kölner Künstlers Gunter Demnig. Er hat seit 1995 im Rahmen seines „Kunstprojekts für Europa“ Stolpersteine vor dem letzten selbstgewählten Wohnort von Menschen verlegt, die Opfer des Nationalsozialismus wurden. Die Steine mit den Gedenktafeln aus Messing liegen mittlerweile in 1265 Gemeinden in Deutschland und in 21 Ländern Europas, ist auf Demnigs Webseite zu lesen. Dort findet sich auch ein Zitat aus dem jüdischen Talmud: „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ Zwar sind die Steine so in Gehwege oder Straßen eingelassen, dass tatsächlich niemand darüber stolpern kann. Stolpern ist hier anders gemeint. Den Tätern soll nicht die Genugtuung gegeben werden, dass sie nicht nur den Menschen selbst ausgelöscht haben, sondern auch noch die Erinnerung an ihn. Das Projekt Für den Grünstadter Friedel Sauer ist es ein Herzensanliegen: Der pensionierte Geschichtslehrer und frühere CDU-Stadtrat und Beigeordnete engagiert sich seit Jahren dafür, an die Opfer des Holocaust zu erinnern. Das war mit einigen Hürden verbunden: Zunächst kam nicht genug Geld zusammen, dann weigerten sich Hauseigentümer, dass Stolpersteine vor ihren Grundstücken verlegt werden. Der ökumenische Friedenskreis, in dem Friedel Sauer Mitglied wurde, nahm sich der Sache an. Im Jahr 2012 konnte Gunter Demnig in Grünstadt schließlich die ersten neun Gedenksteine vor Häuser setzen, in denen Menschen jüdischen Glaubens gelebt hatten, die von den Nazis deportiert und ermordet wurden. Zwei Jahre später kamen zehn weitere der kleinen Mahnmale dazu. Am 28. Juni wird Gunter Demnig elf Steine verlegen: vier in der Fußgängerzone, zwei in der Obergasse/Ecke Neugasse und jeweils einen in der Berggasse, der Zeppelinstraße, der Bahnhofsstraße, der Obersülzer Straße und dem Kreuzerweg. Was dieses Mal neu ist Bei den ersten beiden Aktionen hatte Friedel Sauer die Hausbesitzer angeschrieben und gefragt, ob vor ihren Anwesen Steine verlegt werden dürfen. Nur wenn diese Zustimmung vorlag, wurden die Stolpersteine gesetzt. Das ist dieses Mal anders: Er habe sich in Alzey erkundigt, wie das dort gehandhabt werde, sagt Sauer. „Wir fragen nicht, weil die Steine auf öffentlichem Gelände und nicht auf Privatgrund kommen“, lautete die Antwort. „Da habe ich für mich beschlossen, das machen wir jetzt auch so“, erzählt Sauer. Auch Bürgermeister Klaus Wagner (CDU) habe dem zugestimmt. Ebenfalls neu: Erstmals wird es einen Gedenkstein für Menschen geben, denen es gelang, rechtzeitig aus Deutschland zu entkommen. Es handelt sich um die Familie Lauchheimer, die ein Schuhgeschäft in der Hauptstraße hatte. Als die Situation für Juden in Nazi-Deutschland immer brenzliger wurde, habe Adolf Lauchheimer das Geschäft verkauft und sei mit seiner Familie in die USA ausgewandert, berichtet Sauer. Wobei ausgewandert der falsche Ausdruck sei, denn es war alles andere als freiwillig. Der Stein für die Lauchheimers sei ein besonderes Anliegen der gebürtigen Grünstadterin Margarete Murray, geborene Hahn. Ihr Vater sei bei Kriegsende in amerikanische Kriegsgefangenschaft geraten und wurde in einem Lager in Deutschland festgehalten. Ein amerikanischer Soldat habe ihn angesprochen und gesagt: „Du bist doch aus Grünstadt, so wie du redest.“ Der GI war auch ein Grünstadter. Es handelte sich wohl um einen Sohn der Lauchheimers, der dann seine schützende Hand über Murrays Vater hielt. Die Finanzierung Finanziert wurden und werden die Stolpersteine durch Spenden. Jeder Stein mit Messingplakette kostet 120 Euro, das sind bei elf Steinen 1320 Euro. Dazu kommen laut Friedel Sauer noch die Kosten für die Übernachtung und den Vortrag, den Gunter Demnig am 28. Juni hält. Die finanzielle Seite läuft über die evangelische Kirche, bei zwei Kollekten seien 2000 Euro zusammenkommen. Weitere Spenden seien nicht erforderlich. Die Beteiligung der Schulen Die erste Stolperstein-Aktion 2012 fiel in die Ferienzeit. 2014 war das Leininger-Gymnasium als Partner dabei. In diesem Jahr werden Oberstufenschüler der Integrierten Gesamtschule (IGS) bei der Verlegung der Steine Erläuterungen zu den Personen geben. Die Materialien dazu gibt ihnen Friedel Sauer an die Hand. Die Lehrerinnen des Deutsch- und des Geschichtsleistungskurses wollen die Sache im Unterricht begleiten. Ein Schicksal von vielen Friedel Sauer hat sich intensiv mit dem Schicksal von Ludwig Sinsheimer befasst, viel über ihn recherchiert. Ludwig Sinsheimer, der ältere Bruder des Journalisten und Schriftstellers Hermann Sinsheimer, wurde 1873 in Mannheim geboren. 1874 zog die Familie nach Freinsheim. Ludwig studierte Jura. 1901 ließ er sich als Anwalt in Grünstadt nieder, wo er mehr als 30 Jahre arbeitete. 1928 kaufte er in der Zeppelinstraße ein Wohnhaus. Sinsheimer war Spezialist für Weinrecht, 1922 wurde ihm der Ehrentitel Justizrat verliehen. Weil er in Briefen an elsässische Zeitungen über die Behandlung von Juden in Deutschland berichtete, wurde er im Januar 1934 von der Gestapo in Mannheim verhaftet und kam in Untersuchungshaft. Im Februar musste er seine Anwaltszulassung „freiwillig“ zurückgeben. Im Dezember 1935 verurteilte ihn der Volksgerichtshof in Berlin zu einem Jahr Gefängnis. Wegen der fast zweijährigen Untersuchungshaft kam Sinsheimer auf freien Fuß, war aber seelisch gebrochen. Im Sommer 1936 verkaufte er sein Haus in Grünstadt und zog nach Mannheim. Von dort wurden er und seine Schwester Eugenie am 22. Oktober 1940 im Rahmen der Wagner-Bürckel-Aktion nach Frankreich zunächst ins Internierungslager Gurs verschleppt, dann ins Lager von Noé, wo beide 1942 starben.

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