Grünstadt Bis zuletzt gehofft

Auf die Spuren einstiger jüdischer Bürger haben sich am Sonntagmittag rund 30 Interessierte bei einem Rundgang durch Grünstadt begeben. Kultur- und Weinbotschafterin Anja Rudolph berichtete vor Stolpersteinen und ehemaligen Häusern von Juden über das Schicksal der in der NS-Zeit vertriebenen oder ermordeten Menschen.

Anja Rudolph hat sich viele Wochen mit den Geschichten der jüdischen Grünstadter auseinandergesetzt. „Vieles war schwer verdaulich“, erzählt Rudolph der RHEINPFALZ. Zur Vorbereitung auf den Rundgang hatte sie sich viel mit Richarda Eich unterhalten, die am Buch „Jüdisches Leben in Grünstadt“ mitgewirkt hat. Auch habe sie im Internet recherchiert und Kontakt zu Nachfahren Grünstadter Juden im Ausland gehabt, vor allem zu Verwandten von Gustav Seelenberger (1914 bis 2005). Seelenberger war der Enkel des aus Biedesheim stammenden Kaufmannes gleichen Namens (1845 bis 1908), der 1899 die Möbelfabrik Heinrich Schumacher in Grünstadt übernahm. „Er war ein angesehener Arbeitgeber von 120 Menschen“, erzählt Rudolph am Polizeikreisel. Von dort kann man die Villa in der Obersülzer Straße 12 sehen, die Gustav Seelenberger gehörte. Sein Sohn Albert (1882 bis 1943) und dessen Frau Martha (1888 bis 1942) errichteten ein Haus in der Kirchheimer Straße. Die Zerstörung dieses Anwesens und der Möbelfabrik sowie die Verhaftung des Ehepaars und ihres Sohns Gustav in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 (Tochter Margot war einen Monat zuvor in die USA emigriert) ist vielen Zeitzeugen noch in Erinnerung. Trotz allem und obwohl es auch Gustav geglückt war, im Juni 1939 nach Chile auszuwandern, waren Albert und Martha Seelenberger nicht bereit, das Land ihrer Vorfahren zu verlassen. Wie auf einem Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof im Osten der Stadt zu lesen ist, glaubten die beiden bis zuletzt, dass es doch noch eine Gerechtigkeit geben müsse. Sie kamen im Konzentrationslager um. Josef Neuberger hat den Eindruck, dass das Gedenken in der Stadt nicht hinreichend gepflegt wird: „Wir wohnen seit 20 Jahren in Grünstadt. Den jüdischen Friedhof haben wir nur per Zufall entdeckt.“ An der ehemaligen Synagoge, die aufgrund der engen Bebauung „nur“ innen zerstört und nicht niedergebrannt wurde, nennt Rudolph ein paar Zahlen: „1608 gab es in der Stadt drei Juden.“ 1834 – damals hatte Grünstadt 3522 Einwohner – war die Glaubensgemeinschaft auf 458 Mitglieder angewachsen. 1900 gab es 182 Juden in Grünstadt, 1933 waren es 128, 1940 nur noch vier. Unter diesen letzten vier war der Stoffhändler Salomon Stiefel (ermordet 1943 in Lublin), für den vor der Villa Brenner in der Poststraße 19 (während der NS-Diktatur: Horst-Wessel-Straße) ein Stolperstein liegt. In diesem Haus und dem gleichartigen Gebäude nebenan haben laut Rudolph die Familien Jacobi und Adler gewohnt, die in Neuleiningen-Tal eine Steingutfabrik betrieben. In der Poststraße 14 hätten die Nazis durch die Zwangseinweisung jüdischer Bürger ein „Judenhaus“ eingerichtet. „Ich habe einiges Neues erfahren“, sagt Christian Hennecke über die vom Altertumsvereins Grünstadt-Leiningerland angebotene Führung. Martina Hauenstein findet: „Jetzt gehe ich mit ganz anderen Augen durch die Straßen.“ Für etliche Opfer der Nazi-Gräuel gibt es noch keine Stolpersteine. Bruno Walter kann das angesichts der Millionenbeträge, die für andere Projekte in der Stadt ausgegeben werden, nicht verstehen. Die Anfertigung und Verlegung eines kleinen polierten Mahnmals kostet 120 Euro.

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