Interview Banger Blick in die Heimat: Eine Chinesin und eine Taiwanesin aus der Region im Dialog

Zwischen Taiwan und China schwelt schon lange ein Konflikt.
Zwischen Taiwan und China schwelt schon lange ein Konflikt.

Als China kürzlich mit militärischen Muskelspielen rund um Taiwan seine Macht demonstrierte, ging die Angst vor einem weiteren Krieg um. Am 10. August wurden die Manöver gestoppt. Ist die Gefahr damit gebannt? Anja Benndorf hat mit einer Taiwanesin und einer Chinesin aus der Region gesprochen.

Zwei Asiatinnen aus der Region äußern sich gegenüber der RHEINPFALZ zum Taiwan-Konflikt: Die eine stammt aus dem Inselstaat und die andere wurde in China geboren. Beide sind seit Jahrzehnten in der Bundesrepublik, haben studiert und die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Frauen, die in Deutschland eine neue Heimat fanden, wollen anonym bleiben.

Warum wollen Sie nicht erkannt werden?
Chinesin: Viele Landsleute, die hier wohnen, haben eine andere Meinung als ich. Ich habe Sorge, dass meine Äußerungen eventuell negative Auswirkungen für meine Familie und Freunde haben könnten, die noch in China sind. Die politische Atmosphäre dort ist schlimm, es gibt kaum Datenschutz. Bei Posts im Internet wird alles mit Geschichten umschrieben: „Wir waren zusammen eine Tasse Tee trinken“ steht beispielsweise für „Ich wurde von der Polizei verhört“. Klare Beiträge werden oft tief in der Nacht veröffentlicht und die Verfasser hoffen, dass sie von möglichst vielen Menschen auf der ganzen Welt gelesen werden, bevor die chinesische Regierung sie wieder löscht.

Taiwanesin: Im Internet wird sehr hart zwischen Taiwanesen und Chinesen diskutiert. Das ist ein regelrechter Krieg in den Sozialen Medien und kann mitunter sehr unangenehm werden.

Aber Sie sprechen dieselbe Sprache. Sind Sie denn nicht eigentlich ein Volk?
Chinesin: Nein, Taiwan ist ein typisches Einwanderungsland. Aber es bestehen viele Ähnlichkeiten und Verzahnungen mit den Chinesen.

Taiwanesin: Ja, ein Bruder und eine Schwester von mir leben und arbeiten zum Beispiel in Shanghai. Taiwan war ständig unter fremder Herrschaft. Die Ureinwohner lebten in den Bergen und waren ähnlich den Indianern in Amerika. Unsere heutige Landessprache ist das offizielle Peking-Chinesisch und wir nutzen die traditionellen Originalschriftzeichen. Das ist vergleichbar mit dem Hochdeutschen hier. Im Chinesischen existieren unzählige Dialekte. Die Festlandchinesen haben ihre Schriftzeichen und die Aussprache vereinfacht.

Seit 1945 gehört die „abtrünnige Provinz“ Taiwan zu China und Ziel von Präsident Xi Jinping ist eine Wiedervereinigung, notfalls mit Gewalt. Vor Kurzem sah es so aus, als wollte er nun einen Krieg vom Zaun brechen. Dann hieß es am 10. August, die Militärübungen seien erfolgreich abgeschlossen. Am Samstag verletzten Maschinen seiner Armee erneut taiwanesischen Luftraum. Wie ist das einzuschätzen?
Chinesin: Bis vergangenen Dienstag war der Taiwan-Konflikt im Internet ein Top-Thema in China. Oft sehr aggressiv-patriotisch wurde gefordert, dass Taiwan zurückgeholt werden müsse. Als Xi Jinping am nächsten Tag erklären ließ, er sei um eine friedliche Lösung bemüht, waren diese Nachrichten im Netz schlagartig verschwunden. Die chinesische Regierung ist eine Black Box. Man weiß nie, was sie wirklich vorhat. Allerdings: Seit Ende des Zweiten Weltkriegs wartet China ab und hat Taiwan bislang nicht annektiert.

Taiwanesin: Das Problem ist weniger, dass Taiwan sich eine Demokratie erkämpft hat und China dieses andere System nicht dulden kann. Die jetzige Präsidentin Tsai Ing-wen strebt ganz offen die Unabhängigkeit an, was von 52,8 Prozent der Taiwanesen befürwortet wird. Ein weiteres knappes Viertel der Bevölkerung möchte, dass der aktuelle Status Quo erhalten bleibt. Die Kriegsgefahr besteht vor allem, weil Taiwan ein Hochtechnologieland ist und dort rund 65 Prozent aller Halbleiter auf der Welt produziert werden. Außerdem haben die Amerikaner die bergige Insel als wichtigen strategischen Standort im südchinesischen Meer erkannt. Nachdem Donald Trump 2016 Kontakt mit Tsai Ing-wen aufgenommen hatte und damit die international anerkannte politische Isolation von Taiwan durchbrach, nahmen die Militärmanöver der Chinesen rund um die „abtrünnige Provinz“ stark zu.

Chinesin: Die Vereinigten Staaten von Amerika werden von vielen Chinesen als größter Feind betrachtet.

War die Reise der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, ein normaler Staatsbesuch oder eine Provokation?
Taiwanesin: In der jetzigen Lage war es eine große Provokation und völlig unnötig.

Chinesin: Ich stehe für westliche Werte, für Demokratie, Menschen- und Kinderrechte und bin kein Fan von Xi Jinping, aber dieser Besuch Pelosis war nicht okay. Die USA sagen zu den Taiwanesen: „Wir retten euch vor den Chinesen“, aber eigentlich geht es nur um den Erhalt der eigenen Macht. Dass die Amerikaner keine Verantwortung für die Menschen übernehmen, haben wir unter anderem an den Ortskräften in Afghanistan gesehen.

Meinen Sie, dass China den jetzt für sie günstigen Moment, in dem die ganze Welt mit der Ukraine beschäftigt ist, für eine Wiedervereinigung mit Taiwan nutzen wird?
Taiwanesin: Käme es dazu, wäre das der Dritte Weltkrieg, denn die USA stehen für die Stabilität Taiwans ein. 66 Prozent der Taiwanesen befürchten nach einer aktuellen Umfrage aber nicht, dass es zu militärischen Auseinandersetzungen kommen wird. Und ich auch nicht, denn Xi Jinping hat gesehen, dass der Westen sich mit den Sanktionen gegen Putin einig ist. Und gerade in der jetzigen Situation will er eine weitere Schwächung der chinesischen Wirtschaft nicht riskieren.

Chinesin: Das denke ich auch. Andererseits ist ein Mensch, der nach der selbst eingeleiteten Verfassungsänderung eine solche Macht hat wie Xi Jinping unberechenbar. abf

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