Grünstadt „Auch Deutsche sollen von uns lernen“
So klein das Auditorium war, so erfreulich groß ist die Anzahl von Kandidaten für die Wahl zum Beirat für Migration und Integration (BMI) der Stadt Grünstadt. 16 Männer und Frauen zwischen Schüler- und Rentenalter, abstammend aus sieben Nationen, haben sich am Mittwochabend im Weinstraßencenter vorgestellt. Der Vorsitzende Bayram Türkoglu berichtete eingangs von der Arbeit des BMI.
Als Höhepunkte bezeichnete er die Organisation eines seit 2010 bestehenden Lerntreffs für Grundschüler mit Migrationshintergrund sowie der ebenfalls seit vier Jahren laufenden Deutschkurse. „In über 200 Fällen konnten wir beraten, den Weg weisen, übersetzen und in anderer Form helfen, etwa beim Ausfüllen von Formularen“, erzählte Türkoglu. „Bei manchen Behörden wünsche ich mir einen besseren Umgang mit Migranten“, kritisierte er. Oft ändere sich der Ton erst, wenn sich der BMI einschalte. Trotz fehlenden Budgets, aber dank Unterstützung durch die Stadt, Organisationen und Sponsoren „konnten wir viel erreichen“, resümierte die stellvertretende Vorsitzende Ainie Boussalah (56). Dennoch gebe es noch einige große Ziele: Kommunales Wahlrecht für alle, Einbürgerung ohne Verlust der eigenen Staatsbürgerschaft (auch für Nicht-EU-Bürger), muslimischer Friedhof, Islamunterricht an den Schulen und eine Partnerschaft zwischen Grünstadt und einer türkischen Stadt. Bislang habe der Beirat nur wenig an den Stadtrat herangetragen, sagte der Erste Beigeordnete Bernhard Ellbrück. Das werde sich aber nach einer landesweiten Neufassung ändern, zeigte er sich überzeugt. Wie berichtet, wird der neue BMI aus neun Mitgliedern bestehen, darunter drei berufene Personen des öffentlichen Lebens, oft Stadträte. Das Wort „Integration“ durch „Toleranz“ ersetzen möchte Rodrigo Wageck-Ruiz de Chavez. Der aus Mexiko stammende 35-jährige Facharzt meinte: „Auch die Deutschen sollen von uns etwas lernen.“ Enttäuscht über die maue Resonanz und darüber, dass nicht einmal alle Kandidaten anwesend seien, zeigte sich Eleni Thimiani (42), die seit fünf Jahren im BMI aktiv ist. „Als ich mit elf aus Griechenland kam, gab es keinen Beirat, der geholfen hat“, beschrieb sie ihre Motivation, sich erneut zu bewerben. „Die Probleme sind nahezu immer noch die gleichen wie vor 20 Jahren“, sagte Olivier Farge, der schon zwei Jahrzehnte im Grünstadter BMI und 15 Jahre im Beirat auf Kreisebene – davon zehn als Vorsitzender – aktiv ist. Der 49-Jährige sieht aufgrund der enormen Flüchtlingswelle große Probleme auf die Region zukommen. Sein Sohn Etienne (21) schlug in die selbe Kerbe: „Ich möchte die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylanten verbessern.“ Zudem wolle er die Jugend vertreten, die zu wenig Beachtung erfahre. Letzteres möchte auch der mit 17 Jahren jüngste Kandidat, Konstantinos Benias. Das „Wir-Gefühl“ zu stärken ist Herzensangelegenheit der Ruanderin Solange Buch (35), die sich aufgrund eigener anfänglicher Integrationsprobleme und wegen ihrer sozialen Orientierung als Diplompädagogin berufen fühlt, im BMI mitzuarbeiten. Wegen seiner Sprachkenntnisse meint der 54-jährige Hannan Abdalo einen wertvollen Beitrag im BMI leisten zu können. Bei Bayram Türkoglu ist ein Riesen-Pluspunkt sicherlich seine Erfahrung: Er war von 1994 bis 2001 im Ausländerbeirat aktiv, musste dann aufgrund seiner Einbürgerung aussteigen, und steht seit 2009 dem BMI vor. Der dreifache Vater kam 1980 nach Deutschland, gründete 1985 den Türkischen Sportverein in Grünstadt und 2006 die Türkische Gemeinde Rhein-Neckar. (abf)