Eisenberg Zur Sache: Der Contergan-Prozess und seine Folgen

Das Medikament Contergan mit dem Wirkstoff Thalidomid war bis Anfang der 1960er Jahre rezeptfrei als Beruhigungs- und Schlafmittel erhältlich. Der Hersteller, der Pharmakonzern Grünenthal, empfahl das Mittel auch gegen morgendliche Schwangerschaftsübelkeit. Wie sich herausstellen sollte, verursachte es schwere Fehlbildungen bei Neugeborenen. So konnten diesen Gliedmaßen und Organe fehlen. Missbildungen, die man zunächst auf Kernwaffentests zurückführte. Als der Zusammenhang zum Medikament Contergan festgestellt wurde, waren weltweit zwischen 5000 bis 10.000 geschädigte Kinder geboren. Zudem kam es zu einer unbekannten Zahl von Totgeburten. Der Prozess gegen den Hersteller begann am 18. Januar 1968 vor der Ersten Großen Strafkammer des Landgerichts in Aachen gegen zunächst neun, später fünf Angeklagte, die von 20 Anwälten vertreten wurden. 312 Geschädigte traten als Nebenkläger auf. Am 242. Verhandlungstag erklärte sich der Richter als befangen und schied aus dem Verfahren aus. 1970 schlossen die Eltern der Geschädigten mit Grünenthal einen Vergleich, der besagte, dass der Arzneimittelhersteller 100 Millionen Deutsche Mark in die Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“, später „Contergan-Stiftung“ zahlt, die Projekte Contergan-geschädigter Menschen fördert. Der Bund ergänzte die Einzahlungen um mehrere 100 Millionen Deutsche Mark und zahlt seit 1997 die monatlichen Renten – bis zu 450 Euro – für die Geschädigten vollständig, da die Stiftungsmittel aufgebraucht sind. Der Skandal hatte Einfluss auf das Arzneimittelrecht und die Zulassung von Medikamenten. Mit der Gesetzesänderung wurde erstmals ein Nachweis für die therapeutische Wirksamkeit gefordert, die in kontrollierten Studien nachzuweisen war. Zuvor war es ausreichend, die pharmazeutische Herstellungsqualität und die Unbedenklichkeit nachzuweisen. Die Rechtsprechung um Contergan hatte ebenso Auswirkungen auf die Produkthaftung, auf die Verantwortung von Führungskräften und auf den Umgang der Behörden mit Haftungsfragen. Der Wirkstoff Thalidomid ist als Arzneimittel der Firma Celgene in den USA seit 1998 für eine schwere Lepraform zugelassen und wird seit 2009 auch in Deutschland unter Beachtung strenger Sicherheitsauflagen in der Krebsbekämpfung verwendet. Man geht von Umsätzen um 300 Millionen Dollar pro Jahr aus. Das Verfahren als solches wurde 1971 vom Landgericht Aachen nach der Zahlung eines Millionenbetrags von Grünenthal und der Bundesregierung eingestellt. Anfang 2016 lebten hierzulande etwa 2400 Contergan-Geschädigte.

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