Grünstadt Wer nicht rennen will, muss singen

Stimmstarkes Goldkehlchen: der Autor.
Stimmstarkes Goldkehlchen: der Autor.

nd täglich grüßt der Jogi-Bär: Auch wenn die Weltmeisterschaft mittlerweile so weit entfernt scheint wie die SPD von einem würdevollen Wahlergebnis in Bayern – als Fußballfan wird man in schöner Regelmäßigkeit an das historische Scheitern der Nationalmannschaft in Russland erinnert. Beispielsweise durch das groteske Schauspiel im Zuge des Özil-Rücktritts. Die drollige Debatte um den Begriff „Die Mannschaft“. Und natürlich durch einen groß angekündigten Umbruch im Selbstverständnis der Nationalmannschaft, der allen Ernstes darin gipfelte, dass man als finales Aufbruchssignal einen Co-Trainer entließ. Noch mal: einen Co-Trainer! Jüngster Coup der Grindel-Truppe: Dem historischen Scheitern bei der WM eine gleichsam historische Schlappe gegen die Niederlande folgen zu lassen. Sehr gewieft, denn durch den inflationären Gebrauch verliert der Zusatz „historisch“ etwas von seiner Schärfe. Dieses Vorgehen lässt sich übrigens beliebig fortsetzen: Manuel Neuers Auftritt als besserer Kreisliga-Torhüter beim 0:1 war geradezu historisch, ebenso die stümperhaften Dribblings von Julian Draxler im Umschaltspiel. Dem Spiel folgte ein historisches Interview von Mats Hummels, der als einziger Mensch mit erfolgreich absolviertem Grundschulabschluss tatsächlich die deutsche Mannschaft als das bessere Team gesehen hatte. Gleichsam ließ er sich zu einer umfassenden Medienschelte hinreißen und schob in einer historischen Schuldzuweisung auch noch den undankbaren Fans den Schwarzen Peter für das miserable Auftreten der Nationalelf zu. Man muss Hummels seine Blödeleien allerdings nachsehen: Da sich momentan kein Spieler zu einem fragwürdigen Foto mit einem irrlichternden Staatschef hinreißen lässt, muss der Sündenbock ja irgendwo herkommen. Gleichwohl kann man den Spielern das teilnahmslose Gebaren auf dem Platz nicht länger durchgehen lassen! Sie müssen merken, dass ihr Handeln (beziehungsweise ihr Müßiggang) Konsequenzen nach sich zieht. Historische Konsequenzen! Dafür braucht es Maßnahmen, die man eigentlich seit der Vogts-Ära überwunden glaubte und die sich auf dem schmalen Grat zwischen Rechtsstaatlichkeit und Fremdscham bewegen. Die Älteren unter Ihnen ahnen es bereits: Gemeint sind musikalische Zivilisationsbrüche, die in den 1970er bis 1990er Jahren gang und gäbe im öffentlich-rechtlichen Rundfunk waren. Bei unwürdigen Gesangsauftritten wurden die Nationalkicker dazu genötigt, sich an der Seite von Peter Alexander, Udo Jürgens oder den Village People vor einem Millionenpublikum lächerlich zu machen. Das Ergebnis sind unvergessene Klassiker wie „Buenos Dias Argentina“, „Ole Espana“ oder „Far Away in America“ – allesamt tongewordene Fehlpässe und Abseitsstellungen. Betrachtet man fassungslos die Aufnahmen von jener Zeit, springt einem die Angst in den Augen der Spieler geradezu entgegen. Für Jogi Löw könnte dies die ultimative Disziplinarstrafe darstellen, um die müden Nationalwaden wieder munter zu machen: Wem ein historischer Auftritt mit Thomas Anders im Samstagabendprogramm droht, der ackert im nächsten Spiel wie Jürgen Kohler bei Regenwetter! Und wer tatsächlich immer noch nicht rennen will, der muss singen. DIE KOLUMNE Unser Autor kann auf eine lange und erfolglose Karriere in den Niederungen des Amateurfußballs zurückblicken. Hier schreibt er wöchentlich über Schwalbenkönige, Kabinenrituale und Trainingsweltmeister – rein subjektiv natürlich, denn die Wahrheit liegt sowieso auf dem Platz.

Was ein Song bewirken kann, zeigte die deutsche Fußballnationalmmannschaft bereits 1974: Damals nahm die Elf um Franz Beckenbaue
Was ein Song bewirken kann, zeigte die deutsche Fußballnationalmmannschaft bereits 1974: Damals nahm die Elf um Franz Beckenbauer (r.) das Lied »Fußball ist unser Leben« auf und holte anschließend den WM-Titel.
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