Grünstadt Produkt mit sieben Siegeln

Was bedeuten die verschiedenen Bio-Zertifizierungen? Wer steckt dahinter? Welche Unterschiede gibt es? Ein Überblick.

Bei dem Verein Foodwatch sieht man die Vielzahl an Siegeln, die landwirtschaftliche Produkte aus biologischem Anbau zertifizieren sollen, kritisch. Der Verein setzt sich dafür ein, Informationen über Lebensmittel transparenter zu machen. „Die Leute werden im Supermarkt regelrecht davon erschlagen. Das ist fast schon eine Art Siegeldschungel“, sagt Foodwatch-Sprecher Dario Sarmadi. Ein Problem sei, dass es keine einheitlichen Standards für Bioprodukte gebe. „Die einzelnen Verbände gewichten ihre Kriterien ganz unterschiedlich. Das macht es undurchsichtig.“ Das kann Joachim Witt, der regelmäßig im Grünstadter Naturkostladen Herrlisch einkauft, bestätigen. „Der Biobegriff ist irgendwie suspekt geworden.“ Über die Unterschiede der einzelnen Siegel wisse er wenig. „Da verlasse ich mich auf die Beratung im Laden“, sagt der Senior.

Gesetzlich verankert: EU-Siegel

Das bekannteste Bio-Siegel ist wohl das der EU. Das hellgrüne Rechteck und die weißen Sterne, die den Umriss eines Blattes bilden, dienen seit 2010 EU-weit als Siegel für Produkte aus dem ökologischen – also umweltverträglichen – Landbau. „Produkte, die dieses Siegel tragen, müssen die Kriterien der EU-weiten Ökoverordnung erfüllen“, erläutert Foodwatch-Sprecher Sarmadi. So ist zum Beispiel der Einsatz von Gentechnik oder synthetischen Pflanzenschutzmitteln nicht erlaubt. Außerdem müssen Bio-Landwirte mehr Platz für die Haltung ihrer Tiere einplanen als herkömmliche Landwirte. Wie das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft informiert, gilt das Siegel verpflichtend für alle vorverpackten ökologischen oder biologischen Produkte, die aus einem der EU-Mitgliedsstaaten kommen. Das deutsche Pendant – das weiße Sechseck mit der Aufschrift „bio“ – gibt es seit 2001. Es richtet sich ebenfalls nach den EU-Kriterien und kann zusätzlich zum EU-Siegel verwendet werden. Nach Angaben des Ministeriums wurde das deutsche Biosiegel im Jahr 2017 in Deutschland von rund 5000 Unternehmen für mehr als 77.000 Produkte verwendet. Einmal jährlich überprüfen staatlich zugelassene Kontrollstellen die Unternehmen, zudem gibt es unangekündigte Stichproben. Bei Missbrauch des Siegels drohen Sanktionen – von Bußgeldern bis hin zur Freiheitsstrafe. Neben dem EU-Siegel gibt es aber auch Biosiegel von privaten Anbauverbänden und Handelsketten. „Dort sind die Kriterien teilweise noch strenger“, informiert Dario Sarmadi.

Strengere Richtlinien bei Bioland

So verbietet Bioland zum Beispiel den Einsatz von Fisch- oder Tiermehl. Der private Verband, der in Deutschland und Südtirol tätig ist, verlangt von seinen Landwirten außerdem eine gesamte Umstellung des Betriebs auf Bio. Das ist mehr, als für das EU-Siegel vorgegeben ist. „Dadurch werden Verwechslungen und Vermischungen von konventionellen mit Bioland-Produkten vermieden“, erläutert Bioland-Sprecher Gerald Wehde. So werde auch verhindert, dass nicht zugelassene Mittel in die Bioprodukte gelangen. Die Erzeugnisse des Verbands lassen sich am Siegel mit dem weißen Schriftzug auf grünem Grund erkennen. Laut Wehde arbeiten derzeit über 7300 Landwirte, Imker, Gärtner und Winzer nach dessen Kriterien. Im vergangenen Jahr geriet Bioland in die Kritik. Die Tierrechtsorganisation Animal Rights Watch (Ariwa) veröffentlichte Videomaterial aus drei Betrieben, auf dem unter anderem Tiere in verdreckten Ställen zu sehen waren. An einer Aufklärung dieser Umstände sei der Organisation aber offenbar nicht gelegen gewesen, sagt Bioland-Sprecher Wehde dazu. „Die Aufnahmen waren damals schon ein Jahr alt.“ Zudem hätte Ariwa die Namen der drei Betriebe erst nach mehrmaliger Nachfrage genannt. Bei Kontrollen hätten dort aber keine Verstöße festgestellt werden können. „Unsere Kontrollen haben gezeigt, dass es den Tieren in den Betrieben gut geht und die Videoaufnahmen keinen Dauerzustand abbilden.“ Dass Ariwa den Verband nicht früher informiert habe, sei ärgerlich, denn Bioland nehme solche Hinweise ernst. „Schwerwiegende Verstöße gegen das Tierschutzgesetz und Bioland-Richtlinien können zur Kündigung der Mitgliedschaft führen. Diesen Fall hatten wir beispielsweise im letzten Jahr auf einem Ziegenhof.“

Enthornungsverbot bei Demeter

Ein weiteres Beispiel ist Demeter. Der Verein sei der älteste Bioverband in Deutschland, informiert Demeter-Pressesprecherin Susanne Kiebler. Demeter nutzt als Logo einen weißen Schriftzug auf orangenem Grund. Die eigenen Richtlinien gingen weit über die der EU hinaus. „Ein Beispiel: Demeter-Kühe haben Hörner“, informiert Kiebler. Das sei nicht selbstverständlich: „Hörner passen nicht in eine Landwirtschaft, die möglichst viel Ertrag auf möglichst wenig Fläche erzielen will.“ Deshalb würden viele Jungtiere enthornt oder kämen durch Züchtung bereits ohne Horn zur Welt. Auch der Zusatz von natürlichen Aromen ist bei Demeter verboten, bei den EU-Richtlinien ist das dagegen erlaubt. Der Grünstadter Naturkostladen Herrlisch legt nach Angaben des Inhabers Niels-Holger Albrecht seinen Fokus auf Demeter-Produkte. „Dort gibt es einfach die strengsten Richtlinien. Weil das Erzeugen der Produkte aufwendiger ist, sind sie aber auch am hochpreisigsten“, sagt Albrecht. Kritische Stimmen werfen dem Verband Esoterik vor, denn die Landwirte arbeiten in ihren Betrieben biodynamisch nach den Lehren von Rudolf Steiner. So bearbeiten sie ihre Böden mit bestimmten Präparaten. Eines davon ist das Hornmist-Präparat. Dabei werden Hörner mit Kuhfladen gefüllt und im Boden vergraben. Laut der Demeter-Internetseite hätten diese dann ein halbes Jahr „in der Erde Zeit, kosmische Kräfte und die Energie der tierischen Hülle zu sammeln“. Demeter sieht in der Verwendung biodynamischer Präparate kein Problem. „Neben einer vielfältigen Fruchtfolge sorgen sie dafür, dass die Humusschicht kontinuierlich wächst“, informiert Kiebler. Darüber hinaus gibt es weitere Verbände, die Richtlinien für Bioprodukte vorgeben. Naturland hat in Deutschland aktuell mehr als 3500 Mitgliedsbetriebe. Weltweit arbeiten rund 54.000 Bauern in 52 Ländern nach deren Richtlinien. Nach den Kriterien von Biokreis arbeiten 1300 Landwirte. Weniger bekannt sind Biopark und Gäa.

Rangordnung schwierig

Die Siegel in eine Rangordnung zu bringen, um dem Verbraucher zu zeigen, wo die Richtlinien am strengsten sind, sei schwierig, sagt Foodwatch-Sprecher Dario Sarmadi. „Die Kriterien werden ganz unterschiedlich gewichtet. Je nachdem, welcher Aspekt für den Verbraucher im Zentrum steht, lassen sich die Siegel auch unterschiedlich anordnen.“ Das Problem sei zudem, dass die Tiergesundheit weder in den EU-Richtlinien noch bei den privaten Verbänden berücksichtigt werde. „Dabei sollte es doch ein wesentlicher Aspekt sein, wie es dem Tier eigentlich geht. Die Krankheitsraten sind bei der Biolandwirtschaft ähnlich hoch wie bei der konventionellen“, berichtet Sarmadi. „Nur weil auf der Packung Bio draufsteht, heißt das noch nicht, dass das Tier auch gesund gelebt hat.“ Für Verbraucher sei es im Allgemeinen dennoch sinnvoller, ein Produkt mit Bio-Siegel zu kaufen. „Zum Beispiel unter dem Aspekt, wie viel Platz die Tiere haben, ist das sicher die bessere Wahl.“ Statt einen Weg durch den „Siegeldschungel“ zu suchen, plädiert Sarmadi für ein Ende der Siegel. „Wir müssen dahin kommen, dass die Leute sich gar nicht mehr die Frage stellen müssen, ob sie nun das tierfreundliche und nachhaltige Produkt nehmen. Stattdessen brauchen wir solche Standards für alle Produkte.“

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Das Siegel des Bio-Vermarkters Bioland
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