Grünstadt Niemals geht man so ganz

Harry Müller gibt aus Altersgründen seine Stelle an der Musikschule auf.
Harry Müller gibt aus Altersgründen seine Stelle an der Musikschule auf.

Das Rentnerdasein – das kann sich Harry Müller nicht vorstellen. „Ich habe immer Vollzeit gearbeitet“, sagt der stellvertretende Leiter der Musikschule Leiningerland in Grünstadt, der auch der Abteilung Zupfinstrumente vorsteht und gegenwärtig noch rund 70 Schüler hat. Mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze von 65,5 Jahren wird der Gitarrist mit Leib und Seele zu den Sommerferien seine Stelle aufgeben. „Ich bleibe aber als Minijobber“, kündigt er an. Auch an Musikprojekten werde er weiter mitwirken, ebenso möchte er in der Bigband der Musikschule aktiv bleiben. Ganz aufzuhören, kommt für Müller also nicht infrage. „Mir würde extrem etwas fehlen“, sagt er, obwohl auf ihn durch seine anderthalbjährige Enkelin neue Aufgaben als Opa warten. Aber Müller, der die Musikschule mit aufgebaut hat, erklärt: „Ich will auf jeden Fall noch den Umzug der Schule in den Leininger Oberhof, der gerade saniert wird, miterleben.“ Dort habe alles angefangen, schaut er zurück auf die ersten 15 Jahre nach der Gründung der Musikschule 1976 durch Andreas Dodt. In Eigenleistung seien die Klassenräume gebaut worden. Im gegenwärtigen Schulhaus in der Schlachthofstraße ist alles sehr beengt. „Ich hätte gern einen Raum, in dem das ganze Equipment einer Band, inklusive Schlagzeug, aufgebaut stehen bleiben könnte“, sagt Müller mit Blick auf die Projekt-Ensemble-Arbeit, die den Unterricht nach seiner Überzeugung erst richtig abrundet. Deshalb habe er Veranstaltungsreihen wie „Guitar & Friends“ ins Leben gerufen. In den 43 Jahren, die er jetzt an der als Verein organisierten Musikschule arbeitet, habe sich vieles verändert. Der Kampf ums Geld habe zu einem ständigen Auf und Ab geführt. Zudem habe der gesellschaftliche Wandel Auswirkungen. Früher hätten viele Schüler einfach Bands gegründet. „Bis vor zehn, 15 Jahren hatten wir sieben Musikgruppen an unserer Schule. Heute existiert nicht eine einzige.“ Die Zahl der Kinder, die ein Instrument lernen wollen, schrumpfe. Ursachen seien neben der Ablenkung durch Neue Medien auch die in der Regel voll berufstätigen Eltern, die ihre Sprösslinge nicht mehr zum Unterricht bringen könnten, und die Ganztagsschule, die das verfügbare Zeitfenster massiv einschränke. Dodt habe den Mitte der Siebziger unüblichen Gruppenunterricht eingeführt. Bei besonderem Interesse oder Talent sei jedoch Einzelunterricht angezeigt, so der erfahrene Lehrer und erzählt von Eike Walter, einer der Gitarrenhelden und Betreiber der Heldenschmiede in Asselheim. Er sei ein eher unauffälliger Schüler gewesen, „den ich so durchgeschleppt habe“. Doch so mit 13 habe Eike ihm eine Liste mit Songs vorgelegt, die er gern spielen wollte. „Bis zum Abitur habe ich ihn dann allein unterrichtet und er bekam Spaß an der E-Gitarre.“ Müllers Motivation, ein Instrument zu lernen, waren die Beatles. „Ich sagte mir, das will ich auch können, und gründete eine Band“, erinnert sich der gebürtige Frankenthaler, der in Hettenleidelheim aufwuchs. Er spielte unter anderem Progressive Rock mit vielen Eigenkompositionen in der Gruppe Punished Sun (später: Sun), mit der auch zwei Platten aufgenommen, aber nie Geld verdient wurde. Bei 8Atü sah es etwas besser aus. „Es war eine tolle Zeit, weil so die Entwicklung zum Musiker möglich wurde.“ Schon damals hat Müller seinen späteren Lehrerkollegen Dieter Mayer kennengelernt, mit dem er 1984 das Duo Flute, Strinx & Voice gründete. „Wir waren international unterwegs. Bis heute spielen wir nur das, was uns gefällt“, sagt der 65-Jährige. Zunächst wollte er aber Schlagzeuger werden. „Mein Vater meinte allerdings, dass Drums zu laut wären für eine Mietwohnung, und so bin ich umgeschwenkt auf Gitarre, was ich nie bereut habe“, erzählt Müller. Auf einem Versandhaus-Instrument begann er mit zwölf Jahren autodidaktisch zu üben. Als Auszubildender, als Zivildienstleistender und anschließend während seiner Berufstätigkeit als Chemielaborant nahm Müller Unterricht bei einem Dozenten der Musikhochschule Mannheim. „Die BASF hat mich ein Jahr lang jeden Freitag dafür freigestellt“, blickt er zurück. Über die Aufnahmeprüfung für Begabte erhielt Müller 1976 auch ohne Abitur einen Studienplatz und konnte sogleich stundenweise in Bensheim und an der neu gegründeten Musikschule Leiningerland Unterricht geben. „Ab 1979 hatte ich dann eine volle Stelle.“ Mitte der Achtziger übernahm er den Fachbereich Zupfinstrumente. Müllers Nachfolger sind ehemalige Schüler von ihm: Volker Riegler als Fachbereichsleiter und Michael Heinzelmann als Lehrer. ZUR PERSON: Harry Müller Harry Müller wurde im Dezember 1953 in Frankenthal geboren. Als Kleinkind zog er mit seiner Familie nach Hettenleidelheim, wo er die Volksschule besuchte. Nach der Mittleren Reife in Eisenberg absolvierte er eine Lehre als Chemielaborant. Es folgten der Zivildienst im SOS Kinderdorf Pfalz und ein Jahr Berufstätigkeit bei der BASF. Über die Begabtenprüfung konnte Müller ohne Abitur von 1976 bis 1979 an der Hochschule für Musik in Mannheim studieren. Seit 1976 unterrichtete er an der Musikschule Leiningerland, rund zehn Jahre später übernahm er den Fachbereich Zupfinstrumente, 1998 die stellvertretende Schulleitung. Müller hat einen Sohn und eine Enkelin.

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