Grünstadt „Nicht auf das Geschwätz Dritter verlassen“

„Haarscharf am Knast vorbeigeschlittert“ – so hat es Richter Thomas Henn am Schöffengericht Frankenthal formuliert – ist ein 40-jähriger türkischstämmiger Erwerbsloser, der sich wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten musste.

Dem Grünstadter wird zur Last gelegt, bei einer Auseinandersetzung am Fasnachtsdienstag dieses Jahres im Lokal „Legend“ in seiner Heimatstadt auf einen Bekannten mehrfach mit einer Glasscherbe eingestochen zu haben. Das Opfer, ein 28-jähriger Deutsch-Türke, der als Nebenkläger auftrat, zeigte die Spuren seiner Verletzungen: lange Narben am Hinterkopf und auf beiden Handrücken. Da ihm – bestätigt vom medizinischen Bericht der BG-Unfallklinik Ludwigshafen, wo der Geschädigte nach der Tat operiert wurde – mehrere Sehnen und Muskeln in den Händen durchtrennt worden waren, habe er nach wie vor Einschränkungen und nach längerer Belastung auch Schmerzen. „Ich bin in der Gastronomie tätig. Nach zwei, drei Tagen Arbeit zieht es kräftig, vor allem in der rechten Hand“, berichtete er. Was war geschehen? Nach weitestgehend übereinstimmenden Schilderungen des geständigen Angeklagten und der geladenen Zeugen kam es am späten Abend des 13. Februar im „Legend“ plötzlich zu einem Streit. Der stark alkoholisierte 40-Jährige war in das Lokal gekommen und hatte alle Anwesenden per Handschlag begrüßt. Auch dem 28-Jährigen streckte er die Hand entgegen, zog sie aber wieder zurück, als er ihn erkannte. Das Gegenüber habe gegrinst. Vor sechs, sieben Jahren habe jener schlecht über seine Schwester gesprochen, erläuterte der Arbeitslose. Das habe ihn damals „extrem sauer“ gemacht, aber sein Vater habe ihm untersagt, etwas zu unternehmen. „Nachdem meine schwer erkrankte Freundin 2016 gestorben war“, erzählte der 40-Jährige, habe der Geschädigte gehöhnt: „Das geschieht ihm gerade Recht.“ Das sei ihm von einem Kumpel etwa vier, fünf Wochen vor dem Faschingsdienstag zugetragen worden. Der Nebenkläger bestreitet, so etwas gesagt zu haben. Bei der Begegnung im „Legend“ sei er ausgerastet, erinnerte sich der Angeklagte. Auf Türkisch habe er den in einer Ecke sitzenden Bekannten beschimpft und unter anderem gebrüllt: „Grins` mich nicht so an!“ Im nächsten Augenblick nahm der Hereingekommene nach Zeugenaussagen eine Vase (oder Tasse) vom Tisch, schlug sie gegen die Wand, stürzte sich mit einer Scherbe auf den 28-Jährigen und stach ihm in den Kopf. Das Opfer, das sich aus seiner Position nicht wehren konnte, hielt schützend die Hände über den Kopf, die der 40-Jährige dann auch attackierte, wie die Zeugen berichteten. Schließlich gelang es den Umstehenden, den Aggressor wegzuziehen und eine Frau brachte den stark blutenden Geschädigten ins Krankenhaus. Drei Monate lang musste dieser laut Klinikbericht Schienen an den Händen tragen, vier Monate war er nach eigener Aussage arbeitsunfähig. Ein versuchtes Tötungsdelikt schloss Staatsanwältin Anne-Marie Knappitsch aus, da der Angriff spontan erfolgte. Aufgrund der Schwere der Verletzungen erkannte sie aber „eine erhebliche Gewaltbereitschaft“ des durch die starke Alkoholisierung enthemmten Angeklagten. Eine verminderte Schuldfähigkeit sah sie nicht. Dazu habe er zu zielgerichtet gehandelt. Knappitsch forderte für den mehrfach – auch einschlägig – vorbestraften Arbeitslosen zweieinhalb Jahre Gefängnis. Dessen Rechtsbeistand Matthias Weihrauch sprach von „einem minderschweren Fall“, da die positiven Aspekte die negativen überträfen. Er warf in die Waagschale, dass sein Mandant 2008 zum letzten Mal strafrechtlich in Erscheinung getreten und dass er geständig sei, die Tat unter enormem Alkoholeinfluss begangen und sich selbst bei der Polizei gestellt habe sowie von den Zeugen „als sonst lieber Mensch“ beschrieben worden sei. Sein Plädoyer: zwei Jahre auf Bewährung. Richter Henn gab zu Bedenken, dass der 40-Jährige dem Jüngeren „wohl dauerhafte Schäden“ zugefügt hat, weshalb zweieinhalb Jahre Haft eigentlich angebracht wären. Mit Blick auf die Umstände, die für den Angeklagten sprechen, wurde dieser vom Schöffengericht aber nur zu zwei Jahren, ausgesetzt auf eine vierjährige Bewährung, verurteilt. Tragen muss er die Kosten des Verfahrens, des Nebenklägers und 1500 Euro, die er dem Opfer zu zahlen hat. Henn sah den 40-Jährigen scharf an: „In Zukunft sollten Sie sich nicht mehr auf das dumme Geschwätz Dritter verlassen.“ Stattdessen, so riet er, solle mit demjenigen, der gelästert haben soll, geredet werden. „Und zwar nüchtern!“ Bernd Vogt, der Anwalt des Nebenklägers, sagte auf RHEINPFALZ-Nachfrage: „Wir werden auf jeden Fall Schmerzensgeld einfordern.“

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