Grünstadt Grünstadt: Jazz von heute für Filme von vorgestern

Harold Lloyd erklimmt den Wolkenkratzer.
Harold Lloyd erklimmt den Wolkenkratzer. Foto: Schifferstein

Irrsinnig schnell ist der Stummfilm „Ausgerechnet Wolkenkratzer“ (1923), in dem Harald Lloyd einen Aufsteiger vom Land spielt, der Geld auftreiben muss, um das gute Leben, das er seiner Freundin versprochen hat, zu finanzieren. Das witzige Werk, das im Original den Titel „Safety Last“ trägt, war vor 96 Jahren ein Kassenknaller. Mit viel Hintergrundwissen zum Film versorgte Klaus Petry, der stellvertretende Vorsitzende des Kulturverein, das Publikum, das zahlreich in die Grünstadter Filmwelt geströmt war.

Das Kinokonzert ist eine Kooperation zwischen den Betreibern des Lichtspielhauses und dem Kulturverein. Dieses Mal hatte der Kulturverein Werner Küspert & Kollegen, ein Jazz-Quartett eingeladen, um den Film mit Musik zu unterlegen. Die vier Musiker übernahmen die Rolle des früher üblichen Kino-Pianisten, der die Dramaturgie des Gezeigten mit seinem Spiel üblicherweise unterstrich.

Küspert & Kollegen sind ausgesprochene Experten, wenn es darum geht, den Jazz von heute für Filme von vorgestern neu aufzubereiten. Der Zuschauer erlebte neben dem Film auch ein Jazz-Konzert, eine bislang einmalige Kombination bei den Kino-Konzerten, die sonst auf die klangliche Untermalung der gezeigten Filme ausgerichtet war. Die Musik hatte selbstverständlich einen klaren Bezug zur Handlung auf der Leinwand, vor allem Saxofonist Till Martin übernahm es, die Wirkung der Bilder mit Klangeffekten zu unterstützen. Ihm verdankt Harald Llyod eine schlitzohrigen Unterton, dank seiner Akzente bekommen die Kletterszenen am Wolkenkratzer eine besondere Dramatik.

Konzert funktioniert fast auch ohne Film

Das ist allerdings nicht die Hauptintension der Musiker, die zum Film eine eigenständige Begleitung schaffen, quasi ein Konzert zum Schwarz-Weiß-Eindruck. Gerade dafür eignet sich der Streifen „Ausgerechnet Wolkenkratzer“ besonders gut. Was erklingt, scheint eine fortgeschrittene Version von Cool-Jazz zu sein, manchmal hat es Anklänge dieser angenehmen Jazz-Spielart, ein anderes Mal wieder ist alles sehr eigenständig, fast losgelöst vom Film, dennoch eine ideale Untermalung.

Neben Martin am Saxofon wirken Dietmar Fuhr am Kontrabass, Bastian Jütte am Schlagzeug und an der Gitarre Werner Küspert. Das Effektheischende passiert ausschließlich auf der Leinwand, die Musik ist eigenständiges Erleben, läuft quasi parallel zum Film. Der wiederum könnte theoretisch sogar ohne Untertitel und Musik auskommen. Harald Llyod ist neben Chaplin und Keaton einer der großen Drei des amerikanischen Stummfilms. Die Brille charakterisiert ihn, heute würde man ihn wohl einen Nerd nennen, aber einen, der mit Tricks und manch unfeinem Handeln zu beeindrucken weiß. Den Wolkenkratzer soll eigentlich ein Freund, der das kann erklimmen, doch den verfolgt ein Polizist, den die beiden vorab veralbert haben und nun auf Rache sinnt.

Alles ist auf Spektakel angelegt

Alles ist auf Spektakel angelegt, schon nach wenigen Szene gibt es die ersten Lacher, wenn Lloyd den falschen Koffer greift, dann statt auf den Zug auf eine Kutsche aufspringt, um sofort im Anschluss der Bahn hinterherzurennen. Gut gefiel die umfangreiche Einführung von Klaus Petry, der sich mit der Materie intensiv auseinandergesetzt und enormes Fachwissen über Harald Lloyd zusammengestellt hat. Er empfiehlt den Film, der frei bei YouTube angesehen werden kann, auch als Klassiker, der zu Hause fast 100 Jahre nach seinem Entstehen noch für Lacher sorgen kann. Die Kinokonzerte haben eine festen Platz in der Reihe der Sternstunden, sie sind auch dank dieses wiederum besonderen Abends eine kulturelle Bereicherung für Musik- und Kinofreunde gleichermaßen.

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