Grünstadt Grünstadt: Die Tragödie am Nikolaustag

Geschichten aus der Geschichte: Am 6. Dezember 1942 sind in Kirchheim fünf Menschen bei einem Luftangriff auf das Leiningerland gestorben. Nun hat Adolf Koch in einem alten Koffer Fotos entdeckt, die sein Vater vor 75 Jahren von den Schäden im Dorf gemacht hatte.

«KIRCHHEIM.»Der schwere Luftangriff am Nikolaustag 1942 sei die erste wirklich einprägsame Erinnerung von Koch an seine Kindheit, sagt der heute in Neustadt lebende Ex-Kirchheimer, der 82 Jahre alt ist. Zwar seien auch zuvor schon mal Flugzeuge der Alliierten über Kirchheim gesichtet worden, hätten jedoch noch nie einen gezielten Angriff geflogen, so Koch. Deswegen seien in Kirchheim auch noch keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen getroffen worden, Fenster und Türen wurden nicht verdunkelt. Auch nicht im Hause Koch in der Hollergasse. Bis die Bomber kamen. Koch: „Der Angriff begann gerade während der Viehfütterung. Das Dach unserer Scheune war durch den Luftdruck komplett abgedeckt worden. Und durch den Feuerschein der brennenden Häuser konnte man glauben, auch sie würden brennen. Voller Angst sind meine Eltern und ich in den Hauskeller gerannt.“

Vier Luftminen abgeworfen

Insgesamt seien, so Koch, an diesem grausamen Nikolausabend vier schwere Luftminen abgeworfen worden: „Eine am Ortsrand Richtung Kleinkarlbach hin, die zweite in den Wingert meiner Eltern und eine weitere – die mit den verheerendsten Folgen, – in den nordwestlichen Teil des Dorfes.“ Wo die vierte Bombe eingeschlagen ist, weiß Koch nicht mehr. Verständlich, war er damals doch erst sieben Jahre alt. Trotzdem haben sich viele Details des Bombardements ins Gedächtnis des bis 1967 in Kirchheim lebenden Mannes eingebrannt. „Die Bombe im Wingert riss ein riesiges Loch in den Boden. Auf einer Fläche von etwa 30 auf 30 Metern waren alle Rebstöcke weg und die benachbarte Obstbaumreihe auf zirka 30 Meter weggerissen.“ Allerdings hätten die ersten drei Bomben auf Kirchheim noch verhältnismäßig wenig Schaden angerichtet. Ganz im Gegenteil zur vierten, die das mit älteren Häusern bebaute Wohngebiet Ecke Mühlgasse und Hintergasse getroffen hat. Koch: „Dabei starben fünf Menschen. Es wurden zehn bis zwölf Häuser total zerstört und viele weitere schwer beschädigt. Zudem fielen im gesamten Dorfbereich auch viele Brandbomben, die im Unterdorf Wohn- und Bauernhäuser in Brand setzten. Auch die zwischen Kirchheim und Bissersheim gelegene Bruchmühle brannte total ab.“ Erst am nächsten Morgen habe man die Schäden so richtig feststellen und die Toten ermitteln können, „die alle verschüttet waren und ausgegraben wurden. Der kleine Emil war auch darunter, er war ein Schulkamerad von mir“, erinnert sich Koch.

Fotos in altem Koffer gefunden

Am Tag nach diesem grausamen Nikolausabend müssen die Fotos seines Vaters entstanden sein, die Koch nun auf dem Speicher in einem alten Koffer gefunden hat. Wie dessen Vater und Großvater auch war Ludwig Adolf Koch selbstständiger Maurer und hatte von daher einen ganz besonderen Blick auf die Ruinen. Seine damals gemachten Fotos hatten da zunächst wohl eine viel praktischere Bedeutung für einen späteren Wiederaufbau der Gebäude. „Die zerstörten Häuser wurden aber erst nach Kriegsende wieder aufgebaut, auch von meinem Vater“, betont Koch. Heute könnten die Fotografien seines Vaters einen ganz anderen Zweck erfüllen. Nämlich den, die Erinnerung an diesen grausamen Nikolaustag wach zu halten und der Zeit des Friedens den höchsten Wert einzuräumen, so Koch: „Wohl den wenigsten Kirchheimern ist doch bewusst, dass sich heute dieser für das Dorf verheerende Luftangriff zum 75. Mal jährt.“ Um gegen das Vergessen vorzugehen, hat er sich mit seinem Kofferfund an die RHEINPFALZ gewandt.

Befürchtungen wurden bestätigt

Nach seinem jüngsten Besuch des Kirchheimer Friedhofs sieht er sich in seinen Befürchtungen bestätigt: „Wie erschüttert war ich, als ich nun das Grabmal der Kirchheimer Kriegsopfer auf dem Friedhof sehen musste: von Unkraut überwuchert, die Namenssteine mit Moos total unleserlich, nicht ein einziger Blumenschmuck.“ In Anbetracht dessen, dass sich die Tragödie im Dorf zum 75. Mal jährt, sollte man, so Koch, den dort Ruhenden, „gedenken und wenigstens die Grabstätte wieder in Ordnung bringen. Ein Blumenstrauß von der Gemeinde wäre auch kein Fehler.“ Kirchheims Ortsbürgermeister Robert Brunner (CDU) sagt zur Kritik am Zustand der Grabstätte, diese werde regelmäßig gepflegt. Er könne den persönlichen Wunsch des Zeitzeugen nach Blumen als Geste der Erinnerung für diesen speziellen Tag verstehen. „Bislang ist es noch nie gemacht worden“, sagt Brunner. Es sei allerdings auch noch nicht als öffentliches Anliegen formuliert worden. Brunner verweist darauf, dass ja am Volkstrauertag den Toten des Krieges gedacht werde. Zur Sache Beim Bombenangriff auf das Leiningerland am Nikolaustag 1942 wurde auch Grünstadt getroffen: Das Kirchenschiff der Martinskirche brannte komplett aus.

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