Grünstadt Elf Zeugen und immer neue Tat-Versionen

Vier quälend lange Stunden hat das Amtsgericht Grünstadt versucht, einen Streit aufzuarbeiten, der beim Bockenheimer Winzerfest 2016 in der Nacht von Freitag auf Samstag wegen eines Taxis eskaliert war. Knapp zwei Jahre danach, saß jetzt ein 47-Jähriger aus einer Stadt im Taunus wegen gefährlicher Körperverletzung auf der Anklagebank.

Als gesichert gilt, dass zwei Personengruppen zu den letzten Besuchern gehörten, die das Festzelt verließen und dann bei dem gleichen Unternehmen eine Fahrt nach Grünstadt bestellten. Als nur ein Wagen erschien, kam es in Höhe der Aral-Tankstelle zum Streit. Als gesichert gilt weiter, dass die kleinere Gruppe von vier Personen bereits im Taxi saß, als die größere Clique den langsam fahrenden Wagen anhielt und für sich reklamierte. Nach der – nicht gerade freundlichen – Aufforderung, auszusteigen, sollen die Fäuste geflogen sein, es soll zu Beschimpfungen und auch Tritten gekommen sei. Fünf Personen klagten anschließend über kleinere oder größere Verletzungen. Am schlimmsten hatte es einen 44-jährigen Grünstadter erwischt, der auf der Beifahrerseite des Neunsitzers eingestiegen war. Die Tür sei aufgerissen worden und er sei von zwei Seiten attackiert worden, sagte er aus. Er habe irgendwann auf dem Rücken quer auf den Vordersitzen gelegen und versucht, sich mit Füßen und Händen vor den Schlägen und Tritten zu schützen. Der Mann trug Prellungen und blaue Flecken am ganzen Körper davon. Als einen der beiden Angreifer identifizierte er den Angeklagten. „Ich habe nichts getan, warum soll ich also bezahlen?“, lehnte der zum Auftakt der Verhandlung eine gütliche Einigung ab. Er habe etwas abseits gestanden und den Beginn der Auseinandersetzung nicht mitbekommen. Als er gerufen wurde, habe er versucht, seinen Freund zurückzuhalten, so der Angeklagte. Dieser Mann, der mehrmals als „Glatzkopf“ bezeichnet wurde, war offensichtlich auf den Fahrgast auf dem Vordersitz losgegangen. „Ich bin dazwischen gegangen“, sagte der 47-Jährige. Dann habe der Beifahrer nach ihm getreten. Elf Zeugen hat das Gericht angehört: aus den beiden Gruppen, Familienangehörige und Unbeteiligte. Ihre Wahrnehmungen unterschieden sich nicht nur in Details. „Wie bei der Kennedy-Kugel“, stöhnte der Anwalt des Angeklagten. „Auch dazu gibt es viele Varianten.“ Der 27-jährige Taxifahrer legte sich fest. Er sei von mehreren Personen angehalten worden, die glaubten, „sie hätten das Taxi bestellt“, sagte er. Sowohl der Glatzkopf als auch der Angeklagte hätten auf den Mann auf dem Beifahrersitz eingeprügelt. Ein Mann, der bereits in der Mittelreihe des Großraumtaxis saß, gab an, er habe versucht, die Streitenden auf den Vordersitzen auseinanderzuhalten. Auch er will gesehen haben, dass der Angeklagte aktiv eingriff. „Schlichten sieht bei mir anders aus“, betonte er auf Nachfrage von Strafrichterin Kerstin Schäfer. Die Frau des Angeklagten stützte die Aussage ihres Mannes. Der Mann auf dem Beifahrersitz habe ihre Clique bedroht. Dass jemand geschlagen wurde, könne sie nicht bestätigen. Deutlich wurde bei der Zeugenbefragung vor allem eines: im und um das Taxi herum muss es chaotisch zugegangen sein. So sagten einige aus, dass versucht worden sei, alle in das Auto zu bekommen. Was wohl auch an der Körperfülle einzelner scheiterte. Andere wollen von diesem Versuch nichts bemerkt haben. Und ein 50-Jähriger, der einräumte, dass im Lauf des Abends „ein paar Schorle geflossen sind“, hatte im Taxi am Fenster der mittleren Sitzreihe „eine alte Bekannte“ entdeckt. Deshalb habe er sich „weit in das Auto hineingebeugt“ und sich mit der 45-Jährigen „lautstark unterhalten“. Dass der „Glatzkopf“ und der Angeklagte geschlagen und geprügelt hätten, könne sie nicht bestätigen, sagte als letzte Zeugin eine 43-Jährige, die einige Meter vom Taxi entfernt stand. Sie habe aber gesehen, dass der Mann auf dem Beifahrersitz „plötzlich ausgetreten“ habe. „Schon wieder eine neue Version“, kommentierte die Staatsanwältin leicht genervt. Schließlich stand die Frage im Raum, ob das Verfahren gegen den Mann aus dem Taunus gegen eine Geldauflage eingestellt wird, oder ob der „Glatzkopf“, oft als Haupttäter genannt, noch bei einem Fortsetzungstermin gehört werden sollte. Verteidiger und Anklagevertreterin waren sich einig, dass seine Aussage das Geschehen vermutlich auch nicht wirklich erhellen würde. Das Angebot, 300 Euro für eine gemeinnützige Einrichtung zu zahlen, war der Staatsanwältin aber zu niedrig. „Immerhin stehen mindestens sechs Monate im Raum“, argumentierte sie. Schließlich einigte sie sich mit dem Anwalt auf die Zahlung von 1000 Euro zugunsten einer Stiftung für krebskranke Kinder. Das Verfahren gegen den „Glatzkopf“ war übrigens eingestellt worden. Er hatte freiwillig 2500 Euro an den Geschädigten gezahlt und sich so „freigekauft“.

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