Eisenberg Eisenberg: Bestseller-Autor über das Leben auf der Straße

Will dem Staat nicht auf der Tasche liegen: Richard Brox lebt immer noch auf der Straße.
Will dem Staat nicht auf der Tasche liegen: Richard Brox lebt immer noch auf der Straße.

Richard Brox lebt seit 30 Jahren auf der Straße. Über seine Erfahrungen hat er das Buch „Kein Dach über dem Leben“ geschrieben – ein Bestseller. Am heutigen Mittwochabend, 19 Uhr, liest er in der Eisenberger Buchhandlung Frank in der Kerzenheimer Straße 11 aus seinem Werk. Reiner Bohlander sprach mit ihm über das Elend der Straße, zunehmende Gewalt gegen Obdachlose und zukünftige Pläne.

Richard Brox, wo erreiche ich Sie gerade?

Ich bin in Essen in einem Wohnheim. Dort sitze ich gerade in einem Ruheraum. Da kann man schön telefonieren. Eine eigenen Wohnsitz haben Sie aktuell nicht? Nein, ich lebe draußen. Aber ich bin nicht obdachlos. Ich habe mittlerweile ein großes privates Netzwerk. Meist übernachte ich aber in Wohnheimen. Wissen Sie, ich teste die Unterkünfte für Obdachlose. Aber klar ist auch: Über eine eigene Wohnung würde ich mich schon gerne freuen. An was liegt es, dass sie derzeit keine eigene Wohnung beziehen können? Da müssten zwei Komponenten zusammenpassen. Erstens: Der Vermieter müsste mich so akzeptieren, wie ich bin. Und zweitens: Das Sozialamt müsste die Miete übernehmen. Ihr Buch ist ein Bestseller, wirft das nicht genug Tantiemen ab, damit sie sich eine Wohnung leisten können? Da irren Sie sich. Die Erlöse dieses Buches gehen alle in ein Projekt, das ich ins Leben gerufen habe. Mein Traum war es, ein Hotel mit integriertem Hospiz für alleinstehende, allein lebende und vereinsamte Obdachlose, deren Krankheitsverlauf im Endstadium ist, zu gründen. Zusammen mit dem Verein „Kunst hilft geben für Arme und Wohnungslose in Köln“ soll so eine Einrichtung auch bald entstehen. Derzeit ist nur noch die Frage der Örtlichkeit unklar. Sonst sieht es schon sehr gut aus. Wie viele Obdachlose hätten dort Platz? Es wäre für vier bis acht Personen ausgelegt. Wissen Sie: Meist stirbt ein Obdachloser, der an Krebs oder Aids erkrankt ist, einsam in einer Klinik. Doch viele, die vom Arzt die Diagnose bekommen, dass sie nur noch vier Wochen zu leben haben, begehen Selbstmord. Da will ich entgegensteuern. Einer der letzten Obdachlosen, die ich beim Sterben begleitet habe, war ein Mann aus Ludwigshafen. Er hatte Leberkrebs und ist elend zugrunde gegangen. An diesem Punkt habe ich mir gesagt: So, jetzt reicht, jetzt muss die Öffentlichkeit erfahren, was vor sich geht. Die Obdachlosen sind die Untersten in der Gesellschaft. Ihnen muss auch geholfen werden. Natürlich gibt es auch gute und böse Menschen unter ihnen, aber die gibt es auch in den oberen Schichten. Wer Schutz braucht, muss ihn bekommen. Wie finanzieren sich? Durch Spenden, außerdem Leergutsammeln. Warum beziehen Sie denn keine Sozialleistungen? Ich möchte einfach dem Staat nicht auf der Tasche liegen. In Ihrem Buch schreiben Sie auch über Ihre Kindheit? Ja, diese Erlebnisse werde ich auch in Eisenberg ansprechen. Ich hatte eine schwere Kindheit, Meine Mutter war polnische Jüdin, mein Vater Widerstandskämpfer. Beide waren krank, hatten aufgrund ihrer KZ-Aufenthalte Traumata. Ich wurde in Heimen untergebracht, habe dort sexuellen Missbrauch in Einrichtungen für Schutzbefohlene erlebt und will auch darüber reden. Wissen Sie, auch im Obdachlosenmilieu gibt es solche Dinge, die angesprochen werden müssen. Insgesamt kämpfe ich gegen Antisemitismus, gegen die Leute, die Juden und die Sinti und Roma verachten und bin ein echter Demokrat. Denn das ist die Form einer Gesellschaft, die einfach die beste ist. Stimmen, die das Gegenteil behaupten, gegen die muss man aufstehen. Wie Rita Süßmuth schon gesagt hat: Es ist nicht die eingeworfene Scheibe, es ist bereits die diskriminierende Wortwahl gegenüber anderen, die Gesellschaften ins Wanken bringt. Sie sagen, Sie leben immer noch draußen, ist das Leben für Obdachlose in den vergangenen Jahren aus Ihrer Sicht härter geworden? Es ist brutaler als noch vor einigen Jahren. Die Gewalt gegenüber Obdachlosen ist mehr geworden. Die Hemmschwelle einfach kleiner als früher. Das alles ist momentan auf keinem guten Weg. Wie geht es Ihnen eigentlich selbst? Ich bin 53 Jahre alt, jüngst wurde bei mir Diabetes festgestellt, und meine Cholesterinwerte sind zu hoch. Ich weiß, ich muss aufpassen, aber ich werde weiter für mein Projekt und meine Sache kämpfen. Wie kommt Ihr Buch eigentlich bei Obdachlosen an? Viele Exemplare wurden an Obdachlose verschenkt, das Buch liegt in den Obdachlosenheimen aus. Es gibt die Obdachlosen, die es gut finden, was ich geschrieben habe und es mutig finden, was ich von mir preisgebe. Es gibt aber auch Obdachlose, die mich dafür verachten. Ist ein zweiter Teil schon am Entstehen? Ja, ein zweites Buch wird bald herauskommen. Und es wird weitere Details geben. Ein bisschen wird es im Stil von Günter Wallraff geschrieben sein. Es werden weitere Details bekannt, die bahnbrechend sein könnten. Auf was können sich die Besucher Ihrer Lesung am heutigen Mittwochabend in Eisenberg einstellen? Ich werde Passagen aus meinem Buch lesen. Dabei gehe ich dann auch in die Details. Ich werde eine Stunde aus meinem Buch lesen und danach freue ich mich auf eine gute Diskussion. Selbstverständlich werde ich danach für Widmungen zur Verfügung stehen. Wo werden Sie danach übernachten? Liebenswerterweise hat man mir ein günstiges Hotelzimmer für eine Nacht in der Umgebung besorgt.

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