Grünstadt Ein Leben voller Chancen

Assia Bencherif in ihrem Bistro Jacko’s in Grünstadt.
Assia Bencherif in ihrem Bistro Jacko’s in Grünstadt.

«GRÜNSTADT.»Chancen – das würde wohl die Überschrift sein, wenn Assia Bencherif ein Buch veröffentlichen würde. Mit 17 Jahren ist sie als Spätaussiedlerin mit der Mutter und zwei Geschwistern aus Usbekistan in die Pfalz gekommen, mit 27 Jahren hat sie ein Bistro in der Grünstadter Fußgängerzone eröffnet. Jetzt ist Bencherif 37 Jahre alt und sagt: „Ich bin dankbar für die Chance, die mir jeder gegeben hat.“

Es gibt da dieses Foto, das Assia Bencherif beim Pflücken von Baumwolle auf einem Feld in Usbekistan zeigt. Manchmal deute ihr Mann auf das Bild, um ihr zu zeigen, wo sie herkomme und was sie alles geschafft habe, sagt Assia Bencherif. Sie war 17 Jahre alt, als die Mutter, eine deutschstämmige Frau, mit ihr, ihrer 18-jährigen Schwester und dem elfjährigen Bruder aus dem zentralasiatischen Land Usbekistan nach Deutschland übersiedelte. Der Vater, ein Usbeke, war gestorben. Die Freunde, die Familie väterlicherseits blieben zurück. „Wir haben zwar was hinterlassen, aber dafür haben wir was Neues gewonnen“, blickt Bencherif zurück: „Wir waren offen.“ Sie lernte Deutsch, machte den Führerschein, ließ sich zur zahnmedizinische Verwaltungsassistentin ausbilden, arbeitete in einem angesagten Kaiserslauterer Lokal, war sieben Monate lang arbeitslos, plante, ein Bistro aufzumachen, besuchte dafür Existenzgründerseminare, bekam ein halbes Jahr lang 300 Euro/Monat als staatlichen Zuschuss für die Existenzgründung, verwirklichte ihren Lebenstraum und eröffnete ein Bistro. Doch der Weg war nicht leicht. Viele Menschen hätten ihr abgeraten, den Schritt zu gehen, erst bei der dritten Bank, bei der sie vorstellig wurde, klappte es mit einem Kredit. Sie und ihr Mann Dries, der sie in all den Jahren unterstützt hat, ließen nicht locker, am 21. Juni 2008 schlossen sie schließlich das Jacko’s in der Hauptstraße zum ersten Mal auf. „Ich hatte mit Herzblut und Mut aufgemacht, da wurde mir der Wind aus den Segeln genommen“, sagt Bencherif heute. Sie segelte weiter – obwohl die Fußgängerzone damals eine Baustelle war und es eine Zeit lang brauchte, bis sie, die Unbekannte aus dem Kaiserslauterer Raum, sich in Grünstadt etablieren konnte. Wie sie es geschafft hat? Mit Durchhaltevermögen und mit einer Familie, die ihr beistand. „Ohne die Familie wäre das gar nicht machbar gewesen.“ Nicht nur die finanzielle Unterstützung durch ihren Mann, der als Mitarbeiter einer Firma in Kirchheimbolanden ein festes Einkommen hat, sondern auch die mentale Unterstützung von Mann, Mutter und Geschwistern seien in der Zeit enorm wichtig gewesen. Im Nachhinein, sagt Bencherif, sei sie froh, dass sie so jung war, als sie den Schritt in die Selbstständigkeit wagte: „Ich kann jedem raten, seine Wünsche, Pläne und Träume zu verwirklichen und nicht auf später zu verschieben.“ Denn mit zunehmender Lebenserfahrung finde man neue Sachen gefährlicher. Eine Geschäftsgründung ist kein Spaziergang, Naivität fehl am Platz: „Man sollte sich das sehr gut überlegen. Meistens wird unterschätzt, was für Arbeit dahinter steckt.“ Die Bürokratie, aber auch die Mitarbeiter-Suche erforderten Ausdauer. Im Moment beschäftigt sie acht Angestellte, zwei davon in Vollzeit. Auch die Mutter und die Schwester von Assia Bencherif arbeiten in Küche und als Frühstücks-Frau im Bistro, mit Aneta Pings, die seit mehr als sieben Jahren im Bistro arbeitet, habe sie zudem eine große Stütze. Das Schöne sei, dass sie bei der Arbeit die vier Tageszeiten recht intensiv miterlebe: Morgens Mütter mit Kindern, Frauen oder Paare, die sich zum Frühstück treffen, mittags die Büroleute, die schnell und leicht essen wollten, nachmittags die gemütlichen Kaffee- und Kuchen-Freunde und abends die Weintrinker. „Wir sind mitten im Leben“, sagt Bencherif. Yessenia Dinger aus Neuleiningen kann das bestätigen: Wenn sie in Grünstadt etwas trinken gehe, dann ins Jacko’s erzählt die 39-Jährige, die mit ihrer Tochter öfter im Bistro zu Gast ist: „Das Ambiente ist schön, es ist klein und familiär und die Chefin ist nett.“ Sie fühle sich im Jacko’s wie zu Hause. Es ist ein Zuhause mit einer Speisekarte, die sich alle zwei Jahre ändere, wie Chefin Assia Bencherif erzählt. Eines aber bleibt: „Käsekuchen darf nicht fehlen.“ Sie backt ihn selbst. Manchmal denkt sie dabei an ihre Kindheit in Usbekistan und die deutsche Oma, die in der Küche steht, und Schwarzwälder und Käsekuchen backt und findet es faszinierend, welchen Einfluss die Vergangenheit hat. Beide Mentalitäten – die usbekische mit der großen Gastfreundschaft und die deutsche mit ihren Zurückhaltung und der Ordnung – hätten sie geprägt. Assia Bencherif ist wie ihr Mann Dries, ein Deutsch-Algerier, muslimisch erzogen worden. Und obwohl Assia in Usbekistan, und Dries Bencherif in Deutschland und Algerien groß geworden ist, gibt es dadurch so etwas wie ein tieferes Verständnis des anderen, das Gefühl: „Ich muss mich nicht erklären.“ „Das Leben ist hart als selbstständige Frau“, sagt Assia Bencherif. Aber sie hat auch gelernt, dass man es überall schaffen, überall leben kann. Die Grünstadter hätten ihr eine Chance gegeben. Dafür ist sie dankbar.

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