Grünstadt Ein Abend der Gegensätze

Überzeugend: Sopranistin Gunilla Scopelliti und Anna Anstatt am Klavier.
Überzeugend: Sopranistin Gunilla Scopelliti und Anna Anstatt am Klavier.

Krasse Gegensätze haben das Werkstattkonzert des Kirchheimer Liedersommers am Mittwoch im Weingut Kolb bestimmt. Teilnehmer der Meisterkurse für Liedgestaltung sind das Wagnis eingegangen, Lieder uraufzuführen, deren Texte Schüler des Leininger-Gymnasiums geschrieben haben und die von Kompositionsstudierenden der Musikhochschule Mannheim in Musik verwandelt wurden. Dazwischen waren Kunstlieder von Schubert, Schumann oder Brahms zu hören. Ein gelungener Spagat zwischen neuen und alten Formen.

Der Zuhörer ist gefordert, er muss sich einlassen auf teils sehr moderne Klänge, auf Tonfolgen, die dem Ohr nicht unbedingt schmeicheln, die allerdings die Assoziationen eingefangen haben, die bei den Komponisten geweckt wurden, als sie die Texte gelesen haben. Sicher werden die acht uraufgeführten Werke nicht den Nachhall haben wie die Lieder bekannter Komponisten, die teils mehr als zwei Jahrhunderte überdauert haben und immer noch gesungen werden. Doch das ist auch nicht die Kernaussage, die sich durch dieses Werkstattkonzert beinahe automatisch ergibt. Die Musik ist ein Entwicklungsprozess, ein Spiegel der Zeit, eine Auseinandersetzung mit der Umwelt und deren Themen. So wundert es auch nicht, dass mediale Fragen, wie beispielsweise der Umgang oder besser sogar die Abhängigkeit von Computer, Mobiltelefon und Internet gleich mehrfach in den Texten zu finden sind. Sinnfragen werden von den Autoren der verschiedensten Verse gestellt, Zustände und Lebensumstände beklagt. Beispielsweise von Susann Birkenhagen, deren Gedankengänge der Bariton Buyan Li aus China – begleitet von Anna Anstatt und Annalisa Orlando am Klavier (vierhändig) – singt. Die Anforderungen, die der 1994 geborene Komponist Jonathan Schmieding an die Ausführenden stellt, sind enorm. Auf staccatohaften Klavierklängen muss der Sänger lange, gezogene Töne aufbauen, dabei sind die Harmonien teils sehr anstrengend gewählt. Schmieding wird allerdings den Worten gerecht, davon kann sich der Zuhörer anhand des wirklich gut gestalteten Begleithefts des Werkstattkonzerts überzeugen. Wer mag, kann mitlesen und das Geschehen auf der Bühne erfassen. Sehr gelungen ist auch die Mondnacht von Schumann, die auf einem Gedicht von Eichendorff basiert. Sie wird dem Text „Ohnmacht“ von Mahle Huguet gegenübergestellt. Versetzt lesen die beiden Rezitatorinnen Mahle Huguet und Nadja Kaiserseder die Texte, bevor die überzeugend agierende Sopranistin Gunilla Scopelliti das Kunstlied zum Besten gibt. Es sind acht solche Blocks, in denen Lieder aus der Vergangenheit solchen neuen Kompositionen gegenübergestellt werden. Jede Begegnung von Musik und Text ist eigenes Wagnis, was dem Motto des Werkstattkonzerts „Darum lasst uns alles wagen“ bestens gerecht wird. Eine solche Gegenüberstellung sticht aus dem Programm dann aber doch heraus: Es ist die Komposition Regina Litvinovas, die auf einem Text von Johanna Riedel mit dem Titel „Sternenhimmel“ basiert. Hier kommt neben dem Flügel, den Litvinova selbst bedient, auch ein Synthesizer zum Einsatz, die Rezitation übernimmt dabei Christian Scheuber. Waren schon manche Klänge, die dem Flügel von Klavierbaumeister Josia Rexze entlockt wurden, fordernd für das Ohr, so lotete diese Komposition wahrlich die Grenze des musikalisch Erfassbaren aus. Trotz der vielen unterschiedlichen Komponenten, die in diesem Konzertprogramm zusammengefügt waren, strebte das Geschehen auf der Bühne einem Höhepunkt entgegen, als alle Sänger, neben der Sopranistin Scopelliti auch die japanische Sopranistin Ayumi Futagawa zusammen mit Buyan Li am Ende des Konzerts „Traum durch die Dämmerung“, vertont von Richard Strauss (1864-1949), darboten. Gewagte Tonfolgen mit angenehmen Melodien zu verbinden, dieses Wagnis wurde am Ende mit dem Applaus der begeisterten Zuhörer belohnt: für die schreibenden, komponierenden, singenden und musizierenden Akteure gleichermaßen.

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