Grünstadt Die eine oder andere Träne fließt

Am Ziel: die Radpilger Elkin Richter und Rainer Schäfer vor der Kathedrale.
Am Ziel: die Radpilger Elkin Richter und Rainer Schäfer vor der Kathedrale.

Der Asselheimer Elkin Richter und der Ebertsheimer Rainer Schäfer sind seit 25. Mai unterwegs, ihr Ziel ist es, von der Pfalz in den spanischen Pilgerort Santiago de Compostela zu radeln – 2300 Kilometer. Heute berichten sie, was sie auf der Schlussetappe erlebt haben

Mittwoch, 13. Juni.

Von Comillas nach Villaviciosa (124 Kilometer, 2125 Höhenmeter). Der starke Gegenwind hat nachgelassen, wir kommen gut voran und sind um die Mittagszeit in Llanes, einem lebhaften Badeort in Asturien. Wir machen am Hafen Pause. Da es noch früh ist, beschließen wir, bis Villaviciosa zu fahren. Da spielt uns mal wieder das Navi einen Streich. Wir sollen runter von der N632, auf eine anfangs noch gute, aber schmale Straße. Sie wird bald zum Weg und dann zum Trampelpfad. Der echte Camino für die Wanderer. Zum Umkehren ist es zu spät. Auf der Karte sehen wir, dass die Nationalstraße nur einen Kilometer entfernt ist. Bis dorthin schieben wir unsere Räder durch Schlammlöcher. Das macht keine gute Stimmung. Wir sind nicht gerade gut aufeinander zu sprechen. In einem kleinen Ort sehen wir, wie ein Mann mit einem Hochdruckreiniger einen Bootsrumpf reinigt. Wir fragen, ob wir unser Räder abstrahlen dürfen. Schnell ist der Dreck der letzten 1500 Kilometer runter. Da rollt es sich viel leichter. Das Navi will uns noch einmal auf den Wanderweg führen, doch nicht mit uns! Wir erreichen Villaviciosa kurz vor 19 Uhr. Ab ins Bett: Der Tag war lang. Donnerstag, 14. Juni. Von Villaviciosa nach Novellana (98 Kilometer, 1952 Höhenmeter ). Es fällt von Tag zu Tag schwerer, morgens aufs Rad zu steigen. Man merkt nicht nur die körperliche Erschöpfung, auch die seelische Verfassung leidet. Wir haben etwas den Enthusiasmus verloren. Zuerst geht es nach Gijon. Von oben sieht man den gewaltigen Bau der Universität. Nach einer rasanten Abfahrt kommen wir direkt daran vorbei. Alle großen Städte an der Nordküste haben breite Strände, mit feinem Sand. Im Touristenbüro heimsen wir den Stempel ein. Die Dame hinter dem Tresen rät, wir sollten auf keinen Fall dem Pilgerpfad folgen, der ist eher etwas für Bergsteiger. So umfahren wir den steilen Berg. An der Costa Verde entlang fahren wir nach Novellana, ein Ort mit einer tollen Herberge. Nach einem guten Essen: Gute Laune im Überfluss. Freitag, 15. Juni. Von Novellana bis Luarca (37 Kilometer, 802 Höhenmeter). Die Wolken hängen praktisch auf der Straße. Der Nieselregen geht in Dauerregen über, bald ist alles durchnässt. Nach zwei Stunden wird uns kalt. Die Brille beschlägt und muss abgesetzt werden. Der Regen sticht in den Augen. Noch sechs lange Kilometer bis Luarca. Es geht bergab, die Kälte kriecht in die Finger. Es wird schwierig, die Bremsen zu bedienen. Im Hotel duschen wir heiß und föhnen Schuhe und Kleidung einigermaßen trocken. Abends gehen wir etwas essen. Die Straßen sind leer – die Bars voll. Es läuft das Spiel Spanien gegen Portugal. Als wir in ein Restaurant gehen, steht es 2:1 für Portugal. Dann Jubel: 2:2. Nach der Vorspeise noch mehr Jubel. 3:2 für Spanien. Beim Kaffee wieder ein Aufstöhnen. Ronaldo schießt per Freistoß den Ausgleich. Samstag, 16. Juni. Luarca nach Lourenza (81 Kilometer, 1205 Höhenmeter). Wir sind früh ohne Frühstück gestartet. Es regnet nicht mehr. Die Straßen sind noch feucht, in der Sonne wird es schnell schwül. In Navia wollen wir den ersten Stempel für den Tag, doch das Büro ist samstags zu – eine falsche Info im Internet. Dann machen wir eben Frühstückpause. Schnell noch die Bremsen nachgestellt, die Beläge sind schon ganz schön runtergefahren. Weiter geht’s nach Ribadeo. Dort bekommen wir unseren ersehnten Stempel. Jetzt fahren wir ins Landesinnere. Die Ortschaften werden weniger, die Berge rücken näher. Wir müssen die ersten längeren Anstiege überwinden. In Lourenza finden wir das letzte freie Zimmer in einer Pension, sonst hätten wir in der Pilger-Herberge übernachten müssen. Mit zwei Mexikanern und einer Deutschen, Annegret, kommen wir ins Gespräch, besichtigen die Kirche und trinken danach ein Glas Rotwein. Abends sitzen wir noch mit Annegret zusammen. Sie ist 64 Jahre alt und schon seit dem 23. Mai auf dem Camino del Norte unterwegs, täglich zwischen 25 und 35 Kilometer. Sie bestätigt unsere Vermutung, dass bei Regen die meisten Pilger auf die Straße ausweichen, weil der Wanderweg unpassierbar wird. Sonntag, 17. Juni. Von Lorenza bis Guitiriz (68 Kilometer, 1250 Höhenmeter, 765 Meter über dem Meer). Nun geht es richtig in die Berge. Das Hochplateau hinter der Küste muss erklommen werden. Ein Anstieg über drei Kilometer lässt uns ganz schön schwitzen. Danach geht es wieder runter. Weit oben in den Bergen sehen wir ein Autobahnviadukt. Wir ahnen, das wir da hinauf müssen. Der Anstieg zieht sich mit durchschnittlich sechs Steigungsprozenten über zwölf Kilometer hin. Immer kurvenreich am Berghang entlang. Da es nicht zu steil ist, lässt es sich erstaunlich gut fahren. Eine Stunde später haben wir die Autobahn unter uns gelassen und uns rund 600 Meter nach oben geschraubt. Auf der gut ausgebauten Nationalstraße begegnen uns über mehrere Stunden maximal 20 Autos. Oft weisen Schilder darauf hin, mindestens 1,50 Meter Abstand zu einem Radfahrer zu halten. So kommen wir wohlbehalten in Guitiriz an. Montag, 18. Juni. Von Guitiriz nach Lavacolla (60 Kilometer). Jetzt sind es nur noch gut 70 Kilometer bis Santiago de Compostella. Wir überlegen uns, bis kurz vor Santiago zu fahren. Wir wollen dann am Dienstagmorgen ausgeruht an der Kathedrale ankommen. Auf immer noch kaum befahrener Straße geht es durch Eichenwälder gemütlich dahin, entlang der Bahnstrecke Lugo – La Coruña. Das ist eine Schmalspurbahn. Die Züge sehen ungewöhnlich aus und machen mit ihren Dieselmotoren einen riesigen Lärm. Dann kommt die Abzweigung nach Santiago. Vor diesen letzten 40 Kilometern ist uns etwas mulmig: Vor allem der Lkw-Verkehr wird zunehmen. Wir fahren auf dem Seitenstreifen. Aber die Lkw-Fahrer verhalten sich vorbildlich, reduzieren die Geschwindigkeit und fahren mit großem Abstand an uns vorbei. In Lavacolla stellen wir fest, dass auch viele andere Pilger eine Rast einlegen. Es gibt dort bestimmt fünf Herbergen. Abends gehen wir noch etwas trinken. Ein Schild hinter der Bar bringt uns zum Lachen. Darauf steht in vier Sprachen: „Liebe Pilger, bitte die Bar nur mit Schuhen betreten.“ Darunter ein durchgestrichener nackter Fuß. Dienstag, 19. Juni. Wir haben unruhig geschlafen und sind früh aufgewacht. Wir wissen nicht, ob es an der schlechten Matratze gelegen hat oder ob sich doch die Aufregung bemerkbar macht. Wir packen und machen erst einmal etwas typisch Deutsches: An einer Waschanlage reinigen wir die Räder. So nehmen wir sauber geputzt die letzten zehn Kilometer in Angriff. Unablässig strömen Pilger nach Santiago. Vor dem Ortsschild fotografieren sich Gruppen gegenseitig. Auch wir wollen ein Foto, und das Lachen kommt von ganz alleine. Dann kommen wir in eine Fußgängerzone und stehen nach wenigen Metern auf dem großen Platz vor der Kathedrale. Es ist geschafft. Wir freuen uns riesig, und die eine oder andere Träne läuft über die Backe. Wir setzen uns erst einmal an den Rand und genießen die Atmosphäre. Immer mehr Pilger treffen ein. Manche jubeln laut, springen herum und liegen sich in den Armen. Andere setzen sich still an den Rand. Wir gehören zu der zweiten Gruppe. Nachdem wir uns gefasst haben, umrunden wir die Kathedrale und lassen das Treiben auf uns wirken. Dann möchten wir unsere Räder unterstellen. An der Post neben dem Pilgerbüro kann man nur Rucksäcke deponieren: Die Kathedrale darf man nicht mit Gepäck betreten. Im Pilgerbüro holen wir uns unsere Zertifikate ab. Dazu muss man seinen Personalausweis vorlegen. Im Pilgerpass wird genau nachgeschaut, ob die Reise lückenlos dokumentiert ist. Nur dann erhält man das begehrte Dokument. Am Hauptpostamt können wir unsere Räder sicher unterstellen. Leider kommen wir zu spät zur Pilgermesse in der Kathedrale. Das werden wir morgen nachholen, Wir besichtigen dafür ausgiebig die Kathedrale und berühren auch die Reliquie im Schrein. Dann erkunden wir die Altstadt und fahren zu unserem Hotel nahe dem Stadtzentrum. Schnell duschen und umziehen. Anschließend zerlegen wir auf der Hauptpoststelle unsere Reisegefährten – unsere Räder und Anhänger – für den Heimtransport und verpacken sie. Die spanische Post transportiert sie gegen Gebühr nach Deutschland. Ein super Service. Mittwoch, 20. Juni. Um 12 Uhr sind wir in der Pilgermesse. Die Kathedrale ist so voll, dass kein Sitzplatz mehr zu bekommen ist. Zum Abschluss geht unser Wunsch in Erfüllung: Wir erleben, wie der riesige Weihrauchkessel, der Botafumeiro, durch die Kathedrale schwingt. Beeindruckend! Zwei zufriedene und glückliche Radpilger verabschieden sich mit einem fröhlichen Buenos Camino. Falls ein Leser Lust verspürt, es uns nachzumachen, geben wir gerne unsere Erfahrung weiter. Die Radpilger Rainer Schäfer und Elkin Richter haben innerhalb von drei Wochen 2300 Kilometer mit dem Rad auf dem Jakobsweg zurückgelegt. Das Ziel war der spanische Wallfahrtsort Santiago de Compostela.

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