Donnersbergkreis Der Herr der Träume darf jetzt ausschlafen

Mehr als 40.000 Mal begleitete Chefarzt Dr. Rainer Andres im Laufe seines Berufslebens ins Reich der Träume. Allerhand lustige G
Mehr als 40.000 Mal begleitete Chefarzt Dr. Rainer Andres im Laufe seines Berufslebens ins Reich der Träume. Allerhand lustige Geschichten erlebte er in dieser Zeit.

Eines werde ganz sicher nicht passieren in seinem Ruhestand, in den er offiziell zum 1. Mai verabschiedet wurde. Er wird sich nicht langweilen, da hat Dr. Rainer Andres keine Zweifel. 15 Jahre lang war er Chefarzt der Anästhesie am Westpfalz-Klinikum Kirchheimbolanden. Sein nächstes großes Ziel heißt „Kreuzfahrt auf dem Douro in Portugal“.

Wie viele Narkosen er im Laufe seines 34-jährigen Berufslebens als Anästhesist gesetzt hat, das lässt sich nur schätzen, aber mehr als 40.000 waren es sicher. Und ebenso oft hat er es geschafft, Menschen die Angst vor der Narkose zumindest ein wenig zu nehmen. „Seltsamerweise haben die Leute viel mehr Angst vor der Narkose als vor der Operation“, hat er in all den Jahren immer wieder erfahren. Sich ausgeliefert fühlen, nicht mehr wach werden, diese Vorstellung versetze die Menschen in Schrecken. Manche wollen die OP unbedingt verschlafen, andere wollten lieber alles mitkriegen. Die fragt er dann gerne mal, „Gell, Sie glauben auch, wenn den Piloten der Schlag trifft, dann landen Sie das Ding noch.“ Doch Gott sei Dank seien schwerere Narkosezwischenfälle heute extrem selten. Im Laufe seines Berufslebens hat Andres manche Veränderung gesehen und zum Teil auch mitgemacht. „Als ich hier angefangen habe, im Jahr 2003, waren in der Anästhesie Fachärzte auf 7,2 Stellen für 2300 Operationen im Jahr zuständig. Heute sind es 12,2 Stellen für 5300 Patienten“, nennt er beeindruckende Zahlen. „Und die Patienten werden ja alle älter“, so Andres. „Damals waren die 80-Jährigen selten, heute macht das fast die Hälfte der Patienten aus“, und das mache den Beruf des Anästhesisten anspruchsvoller. „Wenn man einen alten Menschen durch eine Fünf-Stunden-OP bringen muss, dann ist das schon anstrengend.“ So komme es auch, dass das sogenannte Durchgangssyndrom heute keine Seltenheit mehr darstelle. Gemeint ist damit die vorübergehende völlig Desorientierung, die überwiegend alte Menschen nach einer Narkose treffen kann, die aber fast immer nach wenigen Tagen vollständig verschwindet. Dass jemand da „hängenbleibt“, wie es oft befürchtet werde, das habe er selbst noch nie erlebt. Verändert hat sich im Laufe seines Berufslebens auch die Qualität der Narkosen. Eine ideale Narkose verlaufe nach der Vorstellung eines Anästhesisten wie bei einem Lichtschalter, an dem man ,an’ und ,aus’ drückt, sagt Andres. Heute komme man diesem Ideal immer näher. Narkosen seien immer besser verträglich, Übelkeit und Erbrechen im Anschluss äußerst selten. „Wir trauen uns heute auch, schwerstkranke Patienten zu anästhesieren“. Er rate seinen Patienten immer „Bleiben Sie entspannt, und suchen Sie sich noch einen Traum aus“. Und mit einem freundlichen Gespräch begleite er die Menschen dann in dieses Reich der Träume. Einmal, ließ Andres in sein Erinnerungsschatzkistchen blicken, habe ein Patient einen Witz erzählt, als er die Narkose eingeleitet habe. „Und als er wieder wach wurde, erzählte er prompt an der Stelle weiter, an der er eingeschlafen war“. Auch an jenes Ehepaar erinnert er sich gerne, das er im Disput vorfand, als er nach dem kurz zuvor operierten Mann sehen wollte. „Mein Mann glaubt mir nicht, dass die Operation schon vorbei ist“, flehte ihn die entnervte Ehefrau um fachmännische Unterstützung an. Erst das Pflaster über der Narbe konnte den Patienten davon überzeugen, dass er den Eingriff komplett verschlafen hatte. Zu seinen Lieblingsanekdoten zählt das Anästhesiegespräch mit einer, wie Andres sagt, recht fülligen Dame. „Auf meine Frage, ob das Gewicht von 148 Kilo so stimme, antwortet sie: ,Ja, gell, viel erotische Nutzfläche’.“ Eine weitere Dame wurde in den OP gebracht und hielt in der Hand ein Blatt Papier mit der Aufschrift „Hüfte links.“ Generell gelte, wie die Menschen in die Narkose gehen, so wachen sie wieder auf. Deshalb sei es wichtig, dafür zu sorgen, dass sich die Patienten entspannen, und dafür nutze er außer den Medikamenten auch beruhigende Worte. „Es geht bei der richtigen Narkose nicht nur um Größe und Gewicht, man muss auch ein Bauchgefühl für die Patienten entwickeln“, sagt er. „Als Medizinstudent wollte ich Psychiater werden, und manchmal denke ich, so weit davon entfernt ist die Anästhesie oft gar nicht“. Erste Station war eine Wunschstelle im Klinikum Mannheim bis 1996. Dort fast nur „intensiv gemacht“. 1996 kam er ans Westpfalz-Klinikum nach Kaiserslautern, ab 2003 dann als Chefarzt nach Kirchheimbolanden. Bis heute lebt er in Mannheim, aber „ich bin aus Mannheim manchmal schneller da als die Kollegen, die aus Nußbach kommen“, sagt Andres. Doch verbunden fühlt er sich Kirchheimbolanden auf jeden Fall, „ 99 Prozent meiner Dinge inklusive meiner Autos kaufe ich in Kirchheimbolanden“. Zwar werde ihm das freundschaftliche Genecke mit seinen Kolleginnen und Kollegen sicher fehlen, aber „ich freue mich schon sehr, nicht mehr morgens um Fünf aufstehen zu müssen“, so der Ruheständler. „Zudem reise ich leidenschaftlich gerne, und es gibt noch so viele Plätze, die ich noch gerne kennenlernen möchte“, sagt er. Als nächstes, nach der Douro-Kreuzfahrt, stehe im August die Donau auf dem Plan und im September die Seidenstraße. Im Januar geht die Reise dann nach Neuseeland, die Südsee und Australien – „noch bin ich fit, das muss ich ausnutzen“, freut sich der ehemalige Anästhesiechef. Er denke auch darüber nach, sich an der Uni Mannheim für Musikwissenschaften einzuschreiben, denn klassische Musik sei eine weitere seiner Leidenschaften. Zunächst aber wolle er ein wenig zur Ruhe und langsam im Ruhestand-Modus ankommen. Beispielsweise beim tagelang in der Ecke Sitzen und Lesen. „Ich bin Science-Fiction-Fan, ES darf aber auch mal etwas Anspruchsvolleres sein.“ Den Schritt in den Ruhestand geht er ein Jahr vorzeitig. „Die Taktzahl im Krankenhaus hat sich ständig erhöht, da hab ich mir irgendwann gedacht: Ich lass das jetzt mal die Jungen machen“, sagt er. Noch fühle er sich fit für seine Reisen und anderes. Doch, „gerade in unserem Beruf erfährt man das immer wieder: Keiner von uns weiß wirklich, wie viel Zeit ihm noch bleibt“.

x