Grünstadt „Damit Aynur nicht noch einmal zum Opfer wird“

Mit 16 Jahren wird Aynur (gespielt von Almila Bagriacik, rechts) in die Türkei geschickt, um ihren Cousin zu heiraten. Zwei Jahr
Mit 16 Jahren wird Aynur (gespielt von Almila Bagriacik, rechts) in die Türkei geschickt, um ihren Cousin zu heiraten. Zwei Jahre später kehrt sie nach Berlin zurück – hochschwanger und übersät mit blauen Flecken.
Frau Maischberger, Ihr Film hat mich so wütend gemacht, dass ich fast meinen Block nach dem Fernseher geworfen hätte – weil eine junge Frau nicht selbstbestimmt leben darf, stattdessen wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt wird. Für mich ist das unvorstellbar. War das die Reaktion, die Sie sich auch von den Zuschauern erhoffen?

Wütend wollen wir natürlich niemanden machen. In erster Linie wollen wir die Menschen für das Leben von Hatun Aynur Sürücü interessieren. Wir wollen sie in Erinnerung rufen, und das ist erst einmal ohne Emotionen verbunden. Dann würden wir uns aber auch wünschen, dass dieser Film dazu führt, dass Menschen darüber reden wollen. Darüber, was in unserem Land auch passiert. Aynurs Schicksal trifft zwar nur einen kleinen Teil von Frauen in Deutschland, aber dennoch keinen zu vernachlässigenden. Deshalb fanden wir es gut zu fragen, warum Gleichberechtigung und das Recht auf Selbstbestimmung nicht überall in Deutschland gelten, obwohl sie im Gesetz verankert sind. „Nur eine Frau“ basiert auf dem Fall von Hatun Aynur Sürücü, die 2005 in Berlin von ihrem Bruder erschossen wurde. Wie sind Sie an die Recherche rangegangen? Der Fall Hatun ist wahnsinnig gut dokumentiert. Es gibt einen Dokumentarfilm vom RBB, die Autoren Matthias Deiß und Jo Goll haben ein Buch geschrieben und es gibt unheimlich viele Reportagen und Nachrichtenmaterial. Beim Prozess gab es natürlich Zeugenaussagen und psychologische Gutachten von Aynurs Brüdern. Wir haben aber auch die Kronzeugin, die den Tathergang geschildert hat, haben die Aussagen von Aynurs Freunden, ihrem Meister und von Mitarbeitern des Jugendamts. Wir hatten das Gefühl, dass in diesem ganzen Material die Familienmitglieder zu Wort gekommen sind. Die einzige Stimme, die in diesem Chor gefehlt hat, war die der ermordeten jungen Frau. Unser Drehbuchautor Florian Oeller hat ihr diese Stimme zurückgegeben, sie aus all dem Material rekonstruiert. Was Ihre Entscheidung für die für einen dokumentarischen Spielfilm untypische Ich-Perspektive erklärt? Das war natürlich ein radikaler Ansatz für diesen Film. Wir wollten Aynur erzählen lassen, aus der Perspektive von heute, damit sie ihre Geschichte zurückgewinnen kann und nicht noch einmal zum Opfer wird. Damit war aber auch klar, dass „Nur eine Frau“ ein fiktionaler Film werden würde und kein dokumentarischer. Außerdem hatten wir uns entschlossen, die Familie zu diesem Zeitpunkt nicht zu kontaktieren – auch mit Blick auf die Internetpräsenz der Brüder in der Türkei (Anm. d. Red. Aynurs Mörder äußerte Medienberichten zufolge auf seiner Facebookseite Hasskommentare über Frauen und Deutschland), weil wir befürchtet hatten, dass wir den Film nicht so machen könnten wie wir wollen, oder überhaupt nicht hätten machen können. Im Film taucht immer wieder Original-Bildmaterial auf – Ausschnitte aus den Nachrichten, Fotos und kurze Videos von Aynur. Warum? Wir haben in der Vergangenheit viele Dokudramas produziert, also schon mit einer Mischung aus dokumentarischen Material und Spielfilm gearbeitet. Für diesen Film wollte ich unbedingt Sherry Hormann als Regisseurin. Sie kommt vom Spielfilm, ihr Ansatz war also ein anderer: Sie hat von der fiktionalen Handlung aus gedacht und hat nur wenige dokumentarische Anker im Film gesetzt. Sie sollen die Zuschauer daran erinnern, dass der Film auf einer wahren Begebenheit basiert. Aynurs jüngerer Bruder wurde später zu rund neun Jahren Haft verurteilt. Gleichzeitig kam Kritik an den Behörden auf: Von nachlässiger Prozessführung und dem Wegsehen bei sexueller Gewalt war die Rede. Auch die Behörden im Film kommen viel zu bürokratisch rüber. Glauben Sie, die Behörden haben im Fall Hatun versagt? Das Jugendamt würde ich da ausnehmen, das hat Aynur wirklich sehr geholfen. Die Mitarbeiter dort, die wir im Film auf eine Person verdichtet haben, haben ihr geholfen, aus der Familie zu gehen und in einem Haus für junge Mütter, später in einer eigenen Wohnung unterzukommen. Bei der Polizei ist es in der Tat so: So lange nichts vorgefallen ist, kann auch kein Schutz gewährt werden. Was das Gericht betrifft, war das Verfahren unglücklich, weil es einen Richterwechsel gegeben hatte. Am Urteil gab es danach viel Kritik, vor allem daran, dass Beweise nicht gewürdigt wurden. Als eine Wiederaufnahme des Verfahrens gelang, waren die Brüder allerdings schon in der Türkei. Dort gab es dann ein Verfahren, das mit Freisprüchen wegen Mangels an Beweisen beendet wurde. Das lag vor allem daran, dass die Kronzeugin aus dem Berliner Prozess nicht in die Türkei reisen wollte. Ihre wichtige Kernaussage fehlte also. Auch die Politik hat nach Hatuns Ermordung im Februar 2005 eine Debatte rund um Integration, Wertesysteme und Frauenrecht angestoßen. „Wertekunde“ sollte sogar Schulfach werden. Finden Sie, da wurde in den letzten 14 Jahren politisch genug bewegt? Ich glaube, es hat sich erstmal sehr viel bewegt. Häuser sind aufgemacht worden, in denen junge Frauen, die sich lösen wollen, die vor einer Zwangsverheiratung stehen, Zuflucht finden können. Aus unserer Beobachtung hat sich die Situation in den vergangen zehn Jahren allerdings nicht zum Besseren gewendet. Das liegt auch daran, dass sich die politische, ideologische Islamistenszene radikalisiert hat. Das hat natürlich auch eine Rückwirkung auf das Leben in einer solchen Community. Wir dachten jedenfalls, dass unser Film auf ein Umfeld trifft, in dem die Problemlage mindestens so scharf ist wie damals. Am 26. Mai sind in Rheinland-Pfalz Kommunalwahlen. Bissig formuliert zeichnet „Nur eine Frau“ ein negatives Extrembeispiel einer türkischstämmigen Familie in Deutschland. Haben Sie keine Angst, dass der Film von Rechtspopulisten als Stimmungsmache gegen Ausländer missbraucht wird? Da würde ich ganz entschieden widersprechen. Denn im Film sieht man, dass die Kronzeugin ebenfalls aus einer muslimischen Familie stammt. Sie hat sich mit ihrer Mutter dafür entschieden, alles aufzugeben, um letztlich den Gesetzen Geltung zu verschaffen, die in Deutschland gelebt werden. Auch Aynurs Meister im Film ist ein ganz normaler Muslim, so wie 98 Prozent der Muslime und Türken in Deutschland. Deswegen kann man den Film sicher nicht als Beleg dafür nehmen, dass die Muslime, Türken oder Ausländer in Deutschland generell ein Problem sind. Was wir mit dem Film zeigen, ist: Es gibt Strukturen innerhalb mancher dieser Gemeinschaften, die problematisch sind. Wenn ich beispielsweise einen Film mache über den Missbrauch in der katholischen Kirche, sage ich ja nicht im selben Atemzug: Der katholische Glaube an sich ist das Problem. Ich sage: Es gibt Strukturen innerhalb dieser Glaubensgemeinschaft, die problematisch sind. Unser Ziel als Journalisten ist es, auf das hinzuweisen, was schief läuft, und nicht den Glauben an sich als Problem darzustellen. Genau so würde ich das bei „Nur eine Frau“ verstanden wissen wollen. Die Sürücüs sind also eher die Ausnahme als die Regel? Dass wir ein Fundamentalisten-Problem haben in Deutschland, eine Schwarz-weiß-Debatte, das steht leider außer Frage. Übrigens auch eines von der extrem Rechten hier. Deswegen haben wir mit dem durchweg türkisch, kurdisch, irakischen, muslimischen Ensemble des Films ein Statement setzen wollen, dass es eine gemeinsame Mitte in Sachen Werte gibt. Die Kronzeugin im Film ist der Durchschnitt, die Sürücüs sind die Ausnahme. Als man mich gefragt hat, warum ich dieses Thema mache, habe ich gesagt: Warum nicht? Wenn es immer noch einen Bereich gibt, in dem die Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht gilt, muss ich das doch aufspießen – ohne zu gucken, wem das in die Hände spielen könnte. Aynurs Sohn Can ist heute um die 20 und lebt bei einer Pflegefamilie. Was glauben Sie, wird er zum Film sagen? Wir wussten gar nicht, wo wir ihn hätten suchen sollen. Seine Identität ist geheim, und das ist auch gut so. Unsere Regisseurin hat sich immer vorgestellt, er würde den Film sehen und etwas von der Kraft seiner Mutter mitnehmen. Aber tatsächlich wissen wir überhaupt nichts über diesen Jungen. Wir wissen nicht, wo in Deutschland er genau lebt, wie er heißt, ob er die Hintergründe seiner Pflegeschaft kennt. Er war damals fünf Jahre alt, als Aynur ermordet wurde. Er hat bestimmt Erinnerungen an diese Zeit – und ist vermutlich auch traumatisiert. Termine Sandra Maischberger stellt „Nur eine Frau“ am Samstag, 18. Mai, um 17 Uhr vor im Lux-Kino Frankenthal. Karten gibt es im Netz unter www.lux-kinos.de. Um 19 Uhr präsentiert die Moderatorin den Film auch im Kino Atlantis in Mannheim.

Sandra Maischberger moderiert eine ARD-Talkshow.
Sandra Maischberger moderiert eine ARD-Talkshow.
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