Eisenberg Auch in Kerzenheim und Hettenleidelheim gewütet

Als Anlass für das gewaltsame Vorgehen nahm die Nazi-Propaganda das Attentat eines jungen Juden auf einen Angestellten der deutschen Botschaft in Paris. Dass es sich bei dem Pogrom aber nicht um „spontane“ Auswirkungen der „Volkswut“ handelte, sondern es von langer Hand vorbereitet wurde, belegt die Erinnerung eines Zeitzeugen: „Am Tag vor den Auswüchsen kauften die führenden Eisenberger Nazis nochmals kräftig im Geschäft Fröhlich ein, zahlten jedoch keinen Heller, weil sie sich ins Schuldenbuch eintragen ließen.“ Ereignisse liegen lange Zeit im Dunkeln Auf unerklärliche Weise verschwand dieses Schuldenbuch nach 1945 aus dem Archiv des Bürgermeisteramtes und ist bis jetzt nicht mehr aufgetaucht. Jahrzehntelang lagen die Vorgänge, die sich am helllichten Tag des 10. November 1938 in Eisenberg für jedermann sichtbar auf offener Straße abgespielt haben, weitgehend im Dunkeln. Die beteiligten Akteure schwiegen, manche Zuschauer waren damals noch im Kindesalter, und die erreichbaren Quellen waren wenig ergiebig. Aber durch die vor einigen Jahren erfolgte Änderung des Landesarchivgesetzes, mit der die Sperrzeiten von personenbezogenen Akten verkürzt wurden, war es erstmals möglich, die umfangreiche Strafakte des damaligen örtlichen SA-Führers Karl Gebhardt im Landesarchiv Speyer einzusehen. Darin enthalten sind ebenfalls die Aussagen zahlreicher Zeugen aus der Zeit. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Laut Archivakte erhob die Staatsanwaltschaft am 2. Dezember 1949 folgende Anklage bei der Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern gegen: „Gebhardt Karl, geb. 14.10.1900 in Kaiserslautern, Schlosser, (...) verheiratet, vorbestraft, wird angeklagt (…) bei den Ausschreitungen gegen die Juden im November 1938 in Eisenberg, Kerzenheim und Hettenleidelheim als Rädelsführer einer öffentlich zusammengerotteten Menschenmenge Gewalttätigkeiten gegen Personen und Sachen verübt, somit andere aus politischen und rassischen Gründen verfolgt und damit ein weiteres Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. (...) Bei den Ausschreitungen am 10.11.1938 gegen die Juden spielte der Angeschuldigte eine führende Rolle. Er wurde beobachtet, als er mit sechs bis sieben SA-Männern, die unter seiner Führung standen, am Vormittag des 10. November 1938 in das jüdische Kaufhaus Fröhlich in Eisenberg eindrang. Gleich darauf flogen die Einrichtungsgegenstände durch die Fenster auf die Straße. Der Angeschuldigte hat persönlich den Waschtisch mit Marmorplatte aus dem Fenster geworfen. Während der Aktion war er oft am Fenster zu sehen, wobei er Gegenstände auf die Straße schleuderte. Nach der Zerstörung der Wohnungseinrichtung des Hauses Fröhlich befahl der Angeschuldigte, die Sachen zum Marktplatz zu bringen und dort zu verbrennen.“ Dann „fuhr der Angeschuldigte in Begleitung von SA-Männern, die er befehligte, mit einem Lkw nach Kerzenheim. Dorthin waren etwa sechs bis sieben Judenfrauen aus Eisenberg am Tage der Judenaktion geflüchtet. Der Angeschuldigte nahm diese in Kerzenheim gewaltsam fest und verbrachte sie mit dem Lkw nach Eisenberg zurück. In einer scharfen Linkskurve am Kerzenheimer Bach befahl er dem Fahrer Wilhelm Günther, er solle die Kurve scharf nehmen, auch wenn die Judenfrauen hinunter fallen würden. In Eisenberg zwang er die zurückgebrachten Judenfrauen, die vor ihren Wohnungen auf der Straße herumliegenden Trümmer ihrer Wohnungseinrichtung zusammenzulesen und die Straße zu säubern. Alsdann führte er die ihm unterstellten SA-Männer zu der jüdischen Metzgerei Michel Schwarzschild. In Anwesenheit zahlreicher Zuschauer drangen die Täter in das Geschäft und in die Wohnung ein und demolierten die gesamte Einrichtung. Als ein SA-Mann aus dem Fenster der Wohnung den vor dem Hause stehenden Angeschuldigten fragte, ob sie nun aufhören sollten, erwiderte er, sie sollten alles herauswerfen, was in der Wohnung stehe. Auf diesen Befehl hin flogen eine Nähmaschine, ein Radioapparat und eine Reihe weiterer Sachen aus dem Fenster. “ Anschließend „begab sich der Angeschuldigte nach Hettenleidelheim, wo die Judenhäuser Isaak und Simon Michel heimgesucht wurden. Er wurde beobachtet, als er mit einem gewissen Petry zusammen in das Anwesen des Juden Michel eindrang. Gleich darauf flogen auch hier Einrichtungsgegenstände durch das Fenster auf die Straße. Das gleiche wiederholte sich dann auch bei der Wohnung der zweiten damals in Hettenleidelheim ansässigen Familie Michel. Der Angeschuldigte leugnet, in irgendeiner Weise an der Durchführung der Judenaktion beteiligt gewesen zu sein. Er wird aber in der Hauptverhandlung durch Zeugen überführt werden. (…)“ Der Angeklagte wurde im April 1950 wegen zweier Verbrechen gegen die Menschlichkeit, in Tateinheit begangen, zu einer Gesamtstrafe von einem Jahr sechs Monaten Zuchthaus und zu den Kosten des Verfahrens verurteilt. Ein Eisenberger Zeitzeuge erinnert sich Ein Zeitzeuge, der damals acht Jahre alt war, hat dem Chronisten vor etwa zehn Jahren seine Erinnerung an das Geschehen erzählt: „Ich kann mich noch ganz genau an diesen Tag erinnern. Wir Buben spielten auf freiem Feld in der Gegend, wo heute die Realschule steht. Plötzlich hörten wir einen furchtbaren Krach und Scheppern aus Richtung Dorf. Da damals noch keine Autos in dem Maße wie heute fuhren, waren besondere Geräusche weithin zu hören. Wir vier oder fünf Buben rannten sofort los, um zu sehen, wo dieser Lärm herkam. Vom jetzigen Kreisel (Kerzenheimer-, Ripperter-, Neu-, Friedrich-Ebert-Straße) sahen wir am unteren Ende der Kerzenheimer Straße eine Menschenansammlung. Aus dem Kaufhaus Fröhlich wurden viele Sachen auf die Straße geworfen. Daher kam auch der Lärm. Wir sind dann die Kerzenheimer Straße hinunter gegangen und haben zugeguckt. Was ich damals bei diesem Anblick gefühlt habe, kann ich nicht mehr sagen. Was da auf der Straße lag, war alles kaputt. Frau Fröhlich musste mit blutenden Händen die Scherben zusammenscharren. Dabei waren braune SA-Uniformen und auch SS mit ihrer schwarzen Uniform. Die SA hat dagestanden und aufgepasst. Alle Beteiligten waren Eisenberger Einwohner. Das Ganze hat sich nachmittags zwischen zwei und vier Uhr abgespielt, denn um fünf Uhr wird es in dieser Jahreszeit schon dunkel.“ Dass ein Sofa der Familie später verbrannt wurde, erinnert er nicht. Auf Beschluss des Stadtrates wurden 2008 an den ehemaligen Häusern der Familien Fröhlich, Kerzenheimer Straße, und Schwarzschild, Ripperterstraße, Gedenktafeln angebracht.

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