Frankenthal Zu wenig Wasser unterm Kiel
Wenn Andreas Roehr täglich den Wetterbericht studiert, hofft er auf Regen. Der 39-Jährige ist Geschäftsführer von Contargo Rhein-Neckar. Die Firma betreibt Containerterminals im Mundenheimer Kaiserwörthhafen, in Mannheim und Germersheim. Das Unternehmen ist die Drehscheibe für den Warenverkehr in der Region – auf der Straße, Schiene und auf dem Rhein. Der Pegelstand von Europas größter Wasserstraße sinkt seit Wochen und erreicht bald eine kritische Marke. Der trockene Herbst hat die Situation noch verschärft. Die Schiffe, die von Ludwigshafen aus Waren zu Seehäfen in Rotterdam und Antwerpen transportieren, haben immer weniger Wasser unter dem Kiel. Das Mittelrheintal bei Kaub (Rhein-Lahn-Kreis) ist zum Nadelöhr geworden. Momentan liegt der Pegel dort bei gerade noch 62 Zentimetern – 2,24 Meter entsprächen dem langjährigen Mittel. Noch können Frachtschiffe dort fahren. Wenn aber das trockene Wetter anhält, wird der Pegel weiter sinken. „Ab 50 Zentimetern wird’s sportlich“, betont Contargo-Chef Roehr. Schon jetzt brauchen Logistikunternehmen das Vierfache an Schiffsraum, um die normalen Mengen zu transportieren. In der Praxis bedeutet dies: An ein Schiff werden bis zu drei Schubleichter (unmotorisierte schwimmende Frachter) gekoppelt – die Ladung wird also auf mehr Schiffsraum verteilt, um den Tiefgang zu verringern. Einzelne Schiffe können nur noch ein Viertel ihrer Frachtkapazität laden. Die Transportkosten steigen deshalb erheblich, weil neben der geringeren Auslastung der vorhandenen Schiffe das Chartern von Zusatzraum notwendig wird. Je mehr die Pegel fallen, umso höher ist die Nachfrage und desto mehr steigen die Preise. Um diese Mehrkosten zu decken, gibt es in der Binnenschifffahrt ab bestimmten Pegelständen sogenannte Kleinwasserzuschläge. „Wir sind seit 17. Juli im Kleinwasserzuschlagbereich. Das sind fast vier Monate“, verdeutlicht Roehr die Problematik. Zum Vergleich: Im Jahrhundertsommer 2003 gab es zwar noch niedrigere Pegelstände, aber nach einigen Wochen entspannte sich die Lage wieder. Da das Terminal im Ludwigshafener Kaiserwörthhafen Container auch auf Züge und Lastwagen verlädt, weichen die Logistiker auf diese Verkehrsmittel aus. Sonderzüge und eine Lkw-Flotte von 15 Fahrzeugen fahren die Frachtkisten auf dem Landweg zu den Seehäfen. Roehr: „Den Kunden ist der Transportweg egal, die Ware muss zu einem bestimmten Termin an einem Ort sein.“ Ein Großkunde von Contargo sitzt in Ludwigshafen. „Wir verladen allein für die BASF 40.000 Containereinheiten im Jahr“, berichtet Roehr. Offenbar zeigen die Bemühungen der Logistiker Wirkung: Das derzeitige Niedrigwasser hat den Chemiekonzern nach eigenen Angaben bisher nur geringfügig beeinträchtigt. Die geringere Wassertiefe habe mit dem Einsatz von mehr Schiffen und einer Verlagerung auf alternative Verkehrsträger ausgeglichen werden können, sagt ein BASF-Sprecher. „Sollte der Pegelstand jedoch weiter sinken, wird die Rheinschifffahrt komplett eingestellt werden. Dann ist auch für die BASF mit weiteren Einschränkungen zu rechnen“, meint der Konzernsprecher. Um unabhängiger von Niedrigwasserphasen zu sein, plant der rheinland-pfälzische Infrastrukturminister Roger Lewentz (SPD) eine tiefere Fahrrinne für den Rhein (wir berichteten im überregionalen Teil). Vor allem das Flussbett im Bereich des Nadelöhrs Mittelrheintal soll vertieft werden. Umweltschutzverbände wie der BUND protestieren dagegen, weil sie negative Folgen für das Ökosystem Rhein befürchten. Der Ludwigshafener Hafenchef Franz Josef Reindl findet den Vorstoß von Lewentz richtig: „Die Rheinvertiefung wäre sinnvoll, es gibt große Schwankungen beim Wasserstand.“ Außerdem könnte dadurch die Anzahl der Unfälle von Schiffen verringert werden, die im Mittelrhein immer wieder auf Untiefen auflaufen. Doch in der Logistikbranche herrscht auch Skepsis: „Ich kenne das Thema von der Elbvertiefung. Ich bin mir nicht sicher, ob eine Rheinvertiefung das Allheilmittel ist“, sagt Contargo-Chef Roehr. Gleichwohl müsse sich die Schifffahrt auf lang anhaltende Niedrigwasserphasen als Folge des Klimawandels einrichten, denen extreme Hochwasser folgten. Nach der Prognose des Wasser- und Schifffahrtsamts Mannheim wird sich in nächster Zeit an der Lage wenig ändern. „Es ist keine Entspannung in Sicht“, sagt Marc Hannig. Lange Niedrigwasserphasen im Herbst seien normal. So wird Contargo-Chef Andreas Roehr weiter täglich Wetterberichte studieren und auf Dauerregen hoffen. „Zwei bis drei Wochen voller Regentage wären gut“, sagt er.