Frankenthal Musik als Sand im Räderwerk

Von der Entmenschlichung der modernen Welt erzählt das Theater von Moritz Stoepel (rechts) und Christopher Herrmann.
Von der Entmenschlichung der modernen Welt erzählt das Theater von Moritz Stoepel (rechts) und Christopher Herrmann.

Die Basurconcert-Reihe, die mit vier Verstaltungen in Dirmstein angesiedelt ist, lehnt sich wieder an das Motto des rheinland-pfälzischen Kultursommers an: In diesem Jahr ist das „Industriekultur“. Schon am Sonntag, 18. März, geht es los. Hautnah sollen die Zuschauer wieder am Geschehen auf der Bühne teilhaben können, verspricht Johannes Pardall, der das Programm mit Markus Munzinger zusammengestellt hat.

Vordergründig scheint das Thema „Industriekultur“ mit den Spielstätten von Basurconcert wenig zu tun zu haben, räumt Pardall ein. Die Brücke werde inhaltlich geschlagen. So ist das erste Konzert am Sonntag, 18. März, um 17 Uhr, im Sturmfeder’schen Schloss Dirmstein dem Vater der Genossenschaftsidee gewidmet: dem vor 200 Jahren geborenen Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Der Nachmittag unter dem Titel „Eine Muse an der Mosel“ sei alles andere als trocken` Brot und räume mit Bildungsvorurteilen auf. Der Kultursoziologe und Radioautor Lutz Neitzert will die Zuschauer in die Anfangszeit der Romantik an Mosel und Rhein entführen: vom Vormärz der späten 1830er-Jahre bis zur gescheiterten Revolution von 1848. Raiffeisen war geprägt vom Zusammenschluss der Euterpier. Wie von einem anderen Stern müssen deren Anhänger auf die „Eingeborenen“ gewirkt haben, wenn diese „verhaltensauffälligen jungen Leute“, so Neitzert, wie Hippies zum Teil langhaarig und mit Vollbart und auch schon mal in Morgenrock und Hausschuhen singend durch verwilderte Gegenden streiften. Zu den bekanntesten Vertretern gehören neben Raiffeisen Leute wie Karl und Julius Baedeker sowie der Naturforscher Karl Wilhelm Arnoldi. Bei ihren Treffen sei es ihnen auch um die Verbesserung der Verhältnisse gegangen – waren doch gerade die Schriften eines jungen Trierers namens Karl Marx erschienen. Raiffeisen – der als Verwaltungsbeamter sowie als Bürgermeister in Koblenz, Winningen, Mayen Neuwied und im Westerwald tätig war – setzte die Genossenschaftsidee als karitative Organisationsform mit Krediten etwa für notleidende Landwirte um. Benannt hatte sich der „arkadische Freundesbund“ nach Zeustochter Euterpe, zuständig in Apollos Musentross für gute Laune, Lyrik und Musik. Quasi als Sand im Räderwerk wird die Lesung denn auch von Musik begleitet. Die junge, in Vilnius geborene Pianistin Sandra Urba – Stipendiatin des Förderprogramms „Yehudi Menuhin Live Music Now“ – und Johannes Pardall, im Hauptberuf Bratschist am Pfalztheater, spielen Robert Schumanns „Abegg“-Variationen für Klavier, seinen „Märchenbildern“ für Viola und Klavier, sowie Instrumentalarrangements von Liedern Johanna Kinkels, der einzigen Musikerin unter den Euterpiern. Weiter geht es im Programm von Basurconcert am Dienstag, 1. Mai, 17 Uhr, mit einer Kammermusik-Soirée im Weingut Janson-Bernhard in Zellertal-Harxheim. Die Harfenistin Konstanze Licht und das Pardall-Quartett spielen „Von Pleyl zu Pleyel – vom Musiker zur Weltmarke“. Darin gehen sie der Frage nach, was Joseph Haydns „Kaiserquartett“, Frédéric Chopins „Regentropfen“-Prélude, Hector Berlioz „Hymne à la Nation“ und die „Danses sacrée et profane“ von Claude Debussy mit der Marke Pleyel zu tun haben und warum der berühmteste Pariser Konzertsaal „Salle Pleyel“ heißt. Zurück im Dirmsteiner Schloss ist der Nachmittag an Pfingstmontag, 21. Mai, 17 Uhr, Charlie Chaplin und seinem Film „Moderne Zeiten“ gewidmet. Der Schauspieler war auch als Regisseur, Produzent, Schnittmeister, Choreograf, Tänzer, Sänger – und als Komponist tätig. Vor seiner Karriere beim Film wollte er Berufsmusiker werden. Später komponierte er die Musik zu all seinen Filmen selbst. Wolfgang Nieß spielt Chaplins Klavierarrangements und gibt Einblicke in dessen Biografie. Dirmstein die Dritte: Am Samstag, 23. Juni, 18 Uhr, gibt Musical-Darstellerin Astrid Vosberg den Chansonabend „Machet Euch die Erde untertan(?)“ im Kellergarten am Affenstein. Sie widmet sich den Fragen, die den ungebrochenen Fortschrittsglauben des Menschen durch Katastrophen wie den Untergang der „Titanic“ und den Ersten Weltkrieg erschütterten. Mal heiter-ironisch, mal wort- und musikgewaltig kommen Chansonniers und Literaten zu Wort wie George Grosz, Friedrich Hollaender, Frederick Loewe, Kurt Weill, Gerhard Wimberger und Erich Kästner. Begleitet wird Vosberg von Sandra Urba am Klavier und Markus Munzinger am Schlagzeug. „Bad Boy in Music“ steht am Sonntag, 26. August, 17 Uhr, in der Pfalzgalerie Kaiserslautern auf dem Programm. Kai Schumacher (Klavier), der von BR-Klassik als „Punk-Pianist“ gewürdigt wurde, widmet sich mit Mari Kitamoto (Violine), Friedemann Pardall (Violoncello) und Johannes Pardall (Viola) den Klavier- und Kammermusikwerken der amerikanischen Futuristen George Antheil (1900-1958), Harry Cowell (1897-1965) und Leo Ornstein (1892-2002) aus den 1920er- und 1930er-Jahren. Dazu gibt es Auszüge aus Antheils Autobiografie „Bad Boy in Music“. Zum Abschluss gibt es am Mittwoch, 3. Oktober, 17 Uhr, im Dirmsteiner Schloss Literaturtheater von Schauspieler Moritz Stoepel mit Musik des Cellisten Christopher Herrmann und Bildern der Fotokünstlerin Frau Eva. Sie werfen einen Blick auf die verletzliche Natur des Menschen im Räderwerk der Technisierung, Überwachung, Digitalisierung und Entmenschlichung der modernen Welt. Die Texte zum Programm „Ungeheuer ist viel. Doch nichts ist ungeheurer als der Mensch …“ stammen von Sophokles, Huxley, Orwell, Shakespeare, Villon, Lasker-Schüler, Hesse, Beckett und Baudelaire. Karten Eintritt: 17 Euro, ermäßigt sieben Euro. Reservierungen und Informationen unter Telefon 0172 6583690 oder per E-Mail an basurconcert@in-kl.de. Tickets mit Büfett für 26. August nur direkt bei der Pfalzgalerie Kaiserslautern, Telefon 0631 3647201, E-Mail info@mpk.bv-pfalz.de. Die Bewirtung in Dirmstein übernimmt der Kulturverein St. Michael.

Wie große Katastrophen den Fortschrittsglauben des Menschen erschütterten, erzählen Astrid Vosberg (rechts), Wolfgang Munzinger
Wie große Katastrophen den Fortschrittsglauben des Menschen erschütterten, erzählen Astrid Vosberg (rechts), Wolfgang Munzinger und Sandra Urba bei einem Chansonabend.
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