Frankenthal „Ja, was haben Sie denn geschrieben?“

„Sie heult ja jetzt schon.“ Verteidiger Alexander Klein glaubt zu wissen, wie er die Zeugin im Babymord-Prozess anpacken muss, damit sie aus der Emotion heraus unbedachte Dinge sagt. Fast sechs Stunden nimmt er die Mutter des im Mai 2016 getöteten Mädchens gestern vor dem Landgericht ins Verhör. Sein Ziel: die Glaubwürdigkeit der Mutter zu erschüttern.

Der Vorsitzende Richter Alexander Schräder greift gleich ein. Diese Äußerung des Verteidigers müsse nicht sein – darin schwinge mit, dass die Frau bei Fragen des Anwalts noch mehr heulen müsse. In der Tat sind schon zu Beginn Tränen geflossen, als Schräder Fragen gestellt hat. Klein nimmt den Tadel hin, versucht aber mit Kunstpausen, mit in stoischer Ruhe vorgetragenen Chatauszügen, mit Sprachnachrichten und Bildern, die Zeugin aus der Reserve zu locken. Der Anwalt glaubt, dass die Mutter seinen Mandanten, den Vater des getöteten Kindes, stärker belasten will, als es den Tatsachen entspricht: „Sie erzählen immer nur Negatives.“ Am Nachmittag, die Befragung ist schon mehrere Stunden im Gange, fragt Klein fast unvermittelt, ob die Frau eine Gruppierung, andere Leute habe, die sie zum Bestrafen des Angeklagten habe einsetzen wollen. Sie lässt den Anwalt nicht aussprechen, wirft ein: „Ach, Sie meinen ...“ Klein springt auf: „Ja, was haben Sie denn geschrieben?“ Sie kenne „jemand mit Bullterriern“, sagt sie, aber die Drohung habe sie nur so dahergesagt. Klein spielt eine Sprachnachricht ab: „Dafür habe ich Leute“, tönt es durch den Gerichtssaal. Viele Chatäußerungen hält Klein der Mutter vor, nicht alle mit eindeutig belastenden Hinweisen. Alltagsgeschichten – in einem normalen Leben. Aber hier ist ein Kind gestorben. Es geht um Totschlag oder Mord. Oft geht es um die Beziehung zwischen der Zeugin und dem Angeklagten, die zum Tatzeitpunkt aus ihrer Sicht beendet war. Die Chats vermitteln ein anderes Bild. „Das ist nur vorgespielt gewesen. Ich wollte mir die Zeit so angenehm wie möglich machen“, sagt die Zeugin. Der Anwalt hält ihr vor, in Chats habe sie oft ihre Liebe zum Angeklagten bekundet. „Ich habe nicht immer gesagt, dass jeder Tag mit ihm die Hölle war“, erklärt sie dazu. Gleichwohl: Ihr Freund habe Kritik nicht vertragen und darauf mit Schlägen reagiert. Trotzdem gibt es kritische Äußerungen von ihr im Chat. Ja, manchmal habe sie versucht, sich zu wehren. Vor der Schwangerschaft sei es ihm egal gewesen, wo Schläge landeten, sagt sie. Während der Schwangerschaft habe er sie meist ins Gesicht und auf die Beine geschlagen. Er habe sie auch vergewaltigt. Sie habe geglaubt, dass sie sterben müsse, wenn sie sich trenne. Selbst am Tag der Geburt soll der Angeklagte sie geschlagen haben, sodass sie ins Krankenhaus gehen musste. Klein möchte, dass die an der Geburt beteiligten Ärzte von der Schweigepflicht entbunden werden. Das verwehrt ihm die Zeugin. Eifersuchtsbekundungen gegenüber einer anderen Frau, mit der ihr Freund eine Beziehung gehabt haben soll: „Vorgespielt. “ Kurz vor 17 Uhr ist Anwalt Klein immer noch nicht durch mit seinen Fragen. Bis zu einem ganzen Tag brauche er noch, sagt er. Die Zeugin muss daher am 9. August erneut erscheinen. Andere Zeugen werden bereits am Donnerstag, 28. Juni, ab 9 Uhr gehört.

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