Frankenthal „Es gibt kein Richtig und kein Falsch mehr“

Sehen wenig Sinn darin, Freizeittänzer mit der korrekten Haltung und einem Katalog von Grundschritten und Figuren zu „quälen“: G
Sehen wenig Sinn darin, Freizeittänzer mit der korrekten Haltung und einem Katalog von Grundschritten und Figuren zu »quälen«: Gaby Hesse und Matthias Müller.

Wie Tanzunterricht heute aussehen soll, der die Bewegung zur Musik ohne Stress und mit Spaß vermittelt, damit haben sich am Pfingstwochenende rund 130 Tanzlehrer beim Staget-Kongress beschäftigt. Die dreitägige Fachtagung fand zum zweiten Mal in der Frankenthaler Tanzschule TIF statt. Die Initiatoren Gaby Hesse und Matthias Müller sprechen im RHEINPFALZ-Interview darüber, wie sie das Tanzen wieder populärer machen wollen.

Herr Müller, Stichwort Tanzlehrer-Kongress – wurde da an Pfingsten um die Wette getanzt? Matthias Müller:

Nein, im Gegenteil. Es gab von morgens bis abends 26 Vorträge und Workshops mit hochkarätigen Dozenten, darunter der Kommunikationsexpertin Sabine Altena, dem Moderator Oliver Fleidl und ADTV-Tanzlehrer Arndt Hilse. Da ging es unter anderem um die Themen souveränes Auftreten, Humor, Fachkompetenz im Unterricht und Lerntheorie. Es wurde gestritten und diskutiert und erst spätabends noch ein bisschen geschwoft. Die Beiträge liefen parallel in zwei Sälen, eine Beitragsreihe befasste sich mit Methodik und Didaktik im Gesellschaftstanz, die andere mit neuen Theorie- und Praxisansätzen in Einzeltänzen wie Hip-Hop. Hinter dem Staget-Kongress steckt die Europäische Stiftung Tanzen – was hat es damit auf sich? Gaby Hesse: 2017 gegründet als gemeinnützige Vereinigung, will die Stiftung das Tanzen wieder dahin rücken, wo es hingehört: als Alltagskulturgut in die Mitte der Gesellschaft. Das erreichen wir über unser Konzept „fluup“, das ich als eins von drei Gründungsmitgliedern mitentwickelt habe. „Fluup“ ist ein Transparenzzertifikat – eine Art Gütesiegel, das Tanzschulen durch Prüfungen, die Erfüllung bestimmter Kriterien und mit regelmäßigen Qualitätskontrollen erwerben können. Das gibt Tanzinteressierten die Sicherheit, hier die für sie richtige Art von Unterricht zu bekommen. Wenn Frauen tanzen wollen, bedeutet das für Männer meist Stress, Krampf, Flucht an die Bar – warum? Müller: Weil Tanzschulen zu lange nicht unterschieden haben zwischen sportivem leistungsorientierten Tanzen – Stichwort Turniere – und gesellschaftlichem, spaßorientiertem Tanzen als Kulturgut. Es wurden Grundschritte gepaukt, die Tanzhaltung war vorgeschrieben, und viele Freizeittänzer sind an einem Figurenkatalog gescheitert, der im Turniertraining seine Berechtigung hat, aber auch nur dort. Durch die Stiftung wollen wir Tanzen als Praxistanzen fördern, als Mittel der Integration, der nonverbalen Völkerverständigung, der gesundheitlichen Prävention und der sozialen Kommunikation. Tanzen ist die schönste Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen und Menschen miteinander zu verbinden. Die Leute sind heute nicht weniger bewegungsbegabt als früher, seit Jahrzehnten wird aber weniger getanzt. Das wollen wir ändern. Frau Hesse, Sie sind Tanzlehrerin in dritter Generation, Ihr Großvater Gerd Hädrich entwickelte in den 60er-Jahren das international anerkannte Welttanzprogramm. Fällt ihm die Enkelgeneration mit dem Staget-Kongress in den Rücken? Hesse: Auf keinen Fall! Zurzeit prüft die Unesco gerade das Welttanzprogramm für die Aufnahme in die Liste der immateriellen Kulturgüter. Die Zeiten haben sich geändert, deshalb wollen wir weg von der Normierung und hin zur Individualisierung, zur Praxistauglichkeit für jeden. Nehmen Sie zum Beispiel die Standardhaltung mit hochgezogenen Ellenbogen und überstrecktem Rücken: Das ist raumgreifend und damit fürs sportive Turniertanzen geeignet. Auf einer vollen Tanzfläche aber eckt man damit buchstäblich an. Und es sieht nicht gut aus, wenn sich beim Herrn die Schulterpolster des Jacketts hochschieben und die Dame einen steifen Hals bekommt. Frage an Sie beide: Wie muss Tanzunterricht heute aussehen? Hesse: Auf jeden Fall bedarfsorientiert und leistungsfrei. Er muss sich den Gegebenheiten, dem Anlass, dem Raum und vor allem dem Paar anpassen. Es gibt kein vorgegebenes Richtig und Falsch mehr. Müller: Unsere Devise ist: Wenn es mit der Frau in deinem Arm klappt, war es richtig. | Interview: Birgit Karg

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