Frankenthal Wunder der Stille

Die vier noch jungen Musiker zeigten eine Kunst des Aufeinander-Eingehens, die weit über bloß perfektes Zusammenspiel hinausging
Die vier noch jungen Musiker zeigten eine Kunst des Aufeinander-Eingehens, die weit über bloß perfektes Zusammenspiel hinausging.

Die vier noch jungen Musiker (Maryana Osipova und Alexander Sachs, Violinen, Dmitry Hahalin, Bratsche, und Michael Preuss, Violoncello), die sich nach dem amerikanischen Schriftsteller Eliot-Quartett nennen, konnten bei ihrem Auftritt am Freitagabend im Frankenthaler Congress-Forum in beinahe jeder Hinsicht begeistern. Besonders beeindruckend war dabei ihre Kunst, auch in leisen und sehr leisen Abschnitten subtil differenziert, geradezu aufregend zu spielen.

Schon zu Beginn, in Joseph Haydns bedeutendem, dennoch fast nie gespielten Streichquartett D-Dur op. 71/2 aus dem Jahr 1793 zeigte das Quartett eine Kunst des Aufeinander-Eingehens, die weit über bloß perfektes Zusammenspiel hinausging: In den subtilen Temponuancen, in den fein abgestimmten Lautstärken, in der Artikulation, in den Klangschattierungen und darüber hinaus in jeweils wechselnden Ausdruckswelten, ja Stimmungen schien es, als spiele nur ein einziger Interpret. Wie selbstverständlich waren daneben finger- und bogentechnische Virtuosität, absolut saubere Intonation und klangliche Eleganz. Die in Haydns Spätstil (ab 1792, nach Mozarts Tod, hatte sich seine Tonsprache ein weiteres Mal geändert) so wichtige scheinbar spielerisch, aber höchst kunstvoll ständig wechselnde Rhythmik der Melodie verlangt von den Ausführenden ein hohes Maß an geschmackvoller „Rhetorik“, was das Eliot-Quartett in allen vier Sätzen verwirklichte, ohne je zu übertreiben. Ebenso unauffällig perfekt waren die Übergänge zwischen den Formteilen und, vor allem im langsamen zweiten Satz, die raschen Wechsel zwischen sehr verschiedenen Stimmungen, die an geschickte Beleuchtungswechsel im Theater erinnerten. Durch die vielleicht allzu große Eleganz des Spiels der vier Musiker fehlte jedoch eine Dimension des Haydnschen Werks völlig: Die gerade in diesem Quartett meist nur im Verborgenen liegende, aber immer wieder hervorbrechende Wildheit war den Spielern wohl entgangen. Eine wahrhaft hinreißende Interpretation erfuhr anschließend Claude Debussys einziges Streichquartett, das durchaus zu Recht wegen gewisser Längen und einiger Stellen mit relativ schlichter Harmonik nicht zu den großen Meisterwerken des Komponisten gerechnet wird. So wie es diesmal gespielt wurde, glaubte man ein ganz anderes, geradezu aufregendes Werk zu erleben. Es gab rauschhafte Steigerungen, atemberaubende Spannungsabbrüche, flirrende „impressionistische“ Klänge und vor allem immer wieder unerhörte Zonen einer belebten Stille: Gerade in leisen und sehr leisen Abschnitten entwickelten die Vier eine Vielfalt an Klangfarben und Lautstärkenschattierungen, die man so intensiv kaum je gehört hat. Nach der Konzertpause wagten sich die jungen Künstler an ein Gipfelwerk der Kammermusik, Schuberts d-Moll-Quartett mit den Variationen über sein Lied „Der Tod und das Mädchen“. Auch hier kamen die Qualitäten des Ensembles wieder zur Geltung, besonders auch die Virtuosität aller vier Spieler (die jeder für sich eine besondere Würdigung verdient hätten). Es gab großartige Einzelstellen, etwa den geisterhaft-beängstigenden Beginn der 5. Variation des langsamen Satzes oder die ergreifende Coda des Kopfsatzes. Sehr störend aber war eine sicherlich beabsichtigte Überinterpretation durch ständige willkürliche Tempoänderungen. Die Dämonie, die in diesem Werk allgegenwärtig ist, war sozusagen nur stellenweise zu hören, und vollständig fehlte ein Charakterzug, der in Schuberts Werken aus dieser für ihn verzweifelt unglücklichen Zeit (1824) immer wieder vorkommt: der unerbittliche Gang des Schicksals. Es gab verdientermaßen langanhaltenden begeisterten Schlussbeifall. Als Dank folgte eine extrem kurze zärtliche Tschaikowski-Zugabe. Das Publikum und vielleicht auch die Ausführenden warteten allerdings vergeblich auf die sonst üblichen Wein- beziehungsweise Blumenpräsente ...

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